Die Darstellung der Leiden Johannas
Ein Drama über die jeglicher Willkür ausgesetzte Einsamkeit
Die deutsche Version dieses bemerkenswerten Zweiteilers wurde gegenüber
der französischen Originalfassung zwar um nahezu zwei Stunden
gekürzt, doch da die Kürzungen in erster Linie durch das
Herausschneiden der Dokumentation vorgebenden Szenen mit den 'Zeitzeugen’ sowie
einzelner Handlungsszenen verursacht wurden, werden Inhalt und Qualität
des Films keineswegs beeinträchtigt. Auch der deutsche Titel des
zweiten Teils Johanna die Jungfrau - der Verrat ist keineswegs so irreführend,
wie es zunächst scheint, denn verraten wird sie hier in der Tat.
Karl VII., dem sie auf den Thron verhalf, rührt keinen Finger,
als sie in Gefangenschaft gerät und Jean de Luxembourg liefert
sie für eine entsprechend hohe Summe dem englischen Feind aus.
Überdies ist dem mit der Jeanne-d‘Arc-Thematik
vertrauten Zuschauer bereits nach kurzer Zeit klar, daß der
Regisseur auf eine umfassende Recherche wertgelegt hat und auf wissenschaftlich
fundierte Werke zurückgegriffen hat, um ein der historischen
Jeanne nahekommendes Bild zu zeichnen. So legt Rivette zwar tatsächlich
keinen Wert darauf, den Prozeßverlauf auszuwalzen, doch die
Einblendung eines Textes hält den Zuschauer auf dem laufenden.
So beispielsweise der Hinweis, daß am 24. Mai 1431 nach viermonatigem
Prozeß das Autodafé auf dem Kirchhof von Saint-Ouen
stattfindet. Rivette schildert sehr eindrucksvoll die Zeit Jeannes
im Kerker; einmalig gelingt ihm der Stimmungswechsel von Fröhlichkeit
und Tatendrang zur tiefen Melancholie.
Nach viermonatigem Prozeß verrät Jeanne ihre eigene Berufung, unterschreibt unter dem Druck ihrer Richter den Widerruf aus Angst vor dem Scheiterhaufen. Dann muß sie erkennen, daß sie weiterhin in englischer Gefangenschaft bleiben soll, sie „viehischen Wachsoldaten, Vergewaltigungsversuchen und geistiger Hungersnot“ ausgeliefert bleibt und ihr Todesurteil nun mit Gewalt provoziert werden soll“ (81), denn die englische Partei will sich nicht damit abfinden, daß Jeanne nach ihrem Widerruf zu lebenslänglichem Kerker verurteilt wird. Ihr Anliegen ist es, sie als Ketzerin auf den Scheiterhaufen zu bringen. Nicht allein aus persönlicher Rache, sondern vielmehr um den Ruf Karl VII. zu schädigen. An Stelle ausführlicher Beschreibungen von Filmszenen, seien hier die Aussagen zweier Zeitzeugen angeführt. Der Dominikaner Martin Ladvenu sagte anläßlich der Untersuchung von 1450 aus, Jeanne habe ihm anvertraut, daß die Engländer sie nach ihrem Widerruf furchtbar gequält hätten, mit Schlägen und Annäherungsversuchen. Ein englischer Mylord, wohl der Graf von Warwick, habe sogar versucht, sie zu vergewaltigen, was der eigentliche Grund dafür gewesen sei, daß sie wieder Männerkleidung angelegt habe. (82) Bei der Untersuchung im Jahre 1450 berichtet der Augenzeuge Jean
Massieu, daß Jeanne nach dem sie abgeschworen hat, nicht wie
zuvor vereinbart in ein kirchliches Gefängnis gebracht, sondern
in das englische Gefängnis geführt worden sei. Sie habe
wieder Frauenkleider angelegt, doch man habe ihre Männerkleider
in einem Sack in ihrer Zelle gelassen. Eines Morgens, so habe sie
ihm erzählt, nachdem er sich erkundigt habe, weshalb sie entgegen
ihres Versprechens wieder Männerkleidung angezogen habe, habe
man ihr die Frauenkleider weggenommen und wollte ihr sie auch nach
einer längeren Diskussion nicht wiedergeben. Und schließlich
habe ein menschliches Bedürfnis veranlaßt, die Zelle kurz
zu verlassen, wodurch sie gezwungen war, erneut die Männerkleider
anzulegen. (83) Am Morgen des 30. Mai 1431 betreten zwei Geistliche mit ernster
Miene Jeannes Zelle und eröffnen ihr behutsam, daß sie
zur rückfälligen Ketzerin erklärt worden sei und heute
vormittag auf dem Alten Markt verbrannt würde. Die schockierte
junge Frau erleidet daraufhin einen Nervenzusammenbruch. Die beiden
Geistlichen eilen herbei, wollen ihr Trost spenden. Sie hockt schluchzend
auf dem Boden, bittet um Erbarmen: „Schlagt mir lieber den
Kopf ab. Meinen Leib zu Asche werden lassen, mein Leib, der immer
rein blieb. Zerstört ihn nicht. Ich flehe Euch an...“ (84)
Massieu versucht hilflos, sie zu ermutigen: “Sei stark, Jeanne.“ (85)
Kerstin Klein
Quellen 81) Stolpe, Seite 15 82) Duby, Seite 136; Film Jeanne la pucelle (1993) 83) Duby, Seite 136 84) Film Jeanne la pucelle (1993); vgl. Duby, Seite 141; vgl. France, Seite 416 85) Film Jeanne la pucelle (1993) Mai 2005 |
|