Die Darstellung der Leiden Johannas
Das Trauma als Ursache der seelischen Störung
In Luc Bressons außergewöhnlich moderner Johanna von Orléans-Fassung
beginnen die Leiden Johannas im Grunde zu dem Zeitpunkt, als ihre idyllische
Kindheit durch die Vergewaltigung und Ermordung der großen Schwester
ein jähes Ende findet. Seitdem wird sie einerseits von Schuldgefühlen
geplagt (Warum mußte ihrer Schwester dieses schwere Schicksal
widerfahren, warum hat sie nicht selbst an ihrer Stelle sterben können?)
und quälen sie die Rachegedanken gegenüber den so verhaßten
Engländern. Durch das einschneidende Kindheitserlebnis hat ihre
junge Seele schweren Schaden genommen. Es besteht kein Zweifel, diese
hysterisch kreischende, oft völlig kopflos wirkende Jungfrau von
Orléans erweckt den Eindruck einer Wahnsinnigen.
„Ist ergo das über Bessons (Nicht)Wertung hinausgehende als Metaphernfeld
für ein Menschenbild interessant, so berührt alles andere doch merkwürdig
wenig. Milla als Jeanne leidet unter ihren späteren Zweifeln und leidvoller
Erfahrung, doch unmittelbare Nähe zum Zuschauer entsteht nicht – das
dramatische Potential fehlt.“ (68) Dieser Besson-Film schockiert den Zuschauer
mit zum Teil immens brutalen Szenen und seine krankhaft, wahnsinnig anmutende
Johanna von Orléans, die nun wahrlich keinen Vorbildcharakter an den
Tag legt, hält den Zuschauer auf Distanz.
Auch die Schlußszene, in der Jeanne hingerichtet wird, ist an Gewaltpotential kaum zu überbieten: Jeanne ist bereits an den Pfahl gebunden. Im dichten Rauch erkennt man ein hochgehaltenes Kreuz. Was nun folgt, überschreitet bei weitem die Grenzen des guten Geschmacks: Die Verbrennung Jeannes wird nicht nur angedeutet, sondern – dem technischen Fortschritt sei Dank! – mittels Computeranimation in allen Einzelheiten bis zur völligen Verzehrung des menschlichen Körpers demonstriert. Manch einer mag hier tatsächlich ein Loblied auf die Möglichkeiten der Computeranimation singen, meines Erachtens sollten hier nur bei einem sensationsgierigem Publikum möglichst hohe Quoten erzielt werden. Es spricht eindeutig gegen das Verantwortungsgefühl des Regisseurs, der eine möglicherweise aus solchen Darstellungen resultierende Verrohung des Zuschauers billigend in Kauf nimmt. Luc Bessons pietätloser Inszenierung möchte ich an dieser Stelle entgegenhalten, daß sogar der langjährige Henker Geoffrey Thérage die Hinrichtung Jeannes als außerordentlich grausam bezeichnete, da er aufgrund der Höhe des Scheiterhaufens der Delinquentin nicht den sonst üblichen Gnadenstoß geben konnte. Der französische Regisseur „greift auf eine metaphorische (Bild-)Sprache
zurück“ (69), um den Enthusiasmus Johannas für die Gegenwart erklärbar
zu machen, insbesondere was die Inszenierung ihrer Visionen betrifft, – „wer
bräche nicht in schallendes Gelächter aus, wenn plötzlich geflügelte
Engel und goldgekrönte Heilige über die Leinwand schwebten, oder
wenn psalmodierende Stimmen zu hören wären?“ (70)
Kerstin Klein
Quellen 68) Fleming, Seite 6 69) Vogel, Seite 3 70) ebd., Seite 3 71) ebd., Seite 3 72) ebd., Seite 3 73) ebd., Seite 3 74) ebd., Seite 3 Mai 2005 |
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