Die Darstellung der Leiden Johannas
Historischer Hintergrund: Die Prozeßakten standen Pate
Als Jeanne in die Hände der Engländer gerät und in Rouen
vor Gericht gestellt wird, hat sie im Grunde nichts zu befürchten,
hat ihr doch die Heilige Katharina, versprochen, durch einen großen
Sieg befreit zu werden. Sie gesteht jedoch vor ihren Richtern ein,
sie wisse nicht, was die Heilige mit dem Martyrium gemeint habe, vielleicht
seien es ihre Qualen im Gefängnis fügt sie hinzu.
Die optischen und akustischen Erscheinungen Johannas und die mit
ihnen verbundenen Ratschläge entsprangen Shaw zufolge ausschließlich
ihrem Unterbewußtsein. Dies läßt sich besonders
an den Stellen belegen, wo sie ihr falsche Nachrichten übermittelten.
So versprachen ihr die Stimmen im Verlaufe ihres Prozesses, sie würde
befreit werden. An dieser Stelle möchte ich allerdings hinzufügen,
daß ihre Stimmen lediglich davon sprachen, daß sie befreit
werde: „Ja, wahrhaftig! Sie haben mir gesagt, ich würde
befreit, aber ich weiß weder Tag noch Stunde. Und ich solle
zuversichtlich und guten Mutes sein.“ (75) Aber nicht wie, das
heißt, theologisch betrachtet kann auch ihr bevorstehender
Tod als eine Erlösung von den Qualen im Gefängnis betrachtet
werden. Doch wie bereits die historische Jeanne, neigt auch die Filmfigur
zu der aus ihrem Wunschdenken resultierenden Annahme, ihre Befreiung
bestünde in ihrer Entlassung aus dem englischen Gefängnis.
Als auf dem Kirchhof von Saint-Ouen die letzte öffentliche
Verhandlung stattfindet, zeigt sich, daß die Inquisition mehr
daran interessiert war, daß der Ketzer seinen irrigen Anschauungen
abschwor, als an seinem heroischen Tode auf dem Scheiterhaufen. Denn
warum sonst hätten ihre Richter sie davon überzeugen sollen,
den Widerruf zu unterschreiben? Wären sie allein an ihrem Tod
interessiert gewesen, hätten sie sie ohne viel Federlesens gleich
hinrichten können, Beweise für ihre vermeintliche Ketzerei
lagen schließlich genug vor. Statt dessen verspricht man ihr,
sie werde in einem kirchlichen Gefängnis untergebracht und von
Frauen bewacht, wenn sie sich dem Willen der Kirche beugt und den
Widerruf unterschreibt. Die Richter Jeannes sehen ein schweres Vergehen in ihrer Männerkleidung und dem kurzen Haar, wobei sie sich wohl auf das 5. Buch Mose beriefen: "Eine Frau soll nicht die Ausrüstung eines Mannes tragen, und ein Mann soll kein Frauenkleid anziehen; denn jeder, der das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Greuel.“ (77) Es wird ihr folglich als Blasphemie angelastet, in dieser Kleidung die Heilige Kommunion empfangen zu haben. Ihr Eingeständnis, sie habe diese Kleider auf Anraten ihrer Stimmen angelegt, ist für ihre Richter ein Hinweis dafür, daß es sich dabei um diabolische Stimmen handeln muß. Ein Blick in die Bibel zeigt uns allerdings, daß sich im Neuen Testament, nach dem sich das so christlich orientierte Mittelalter doch eigentlich hätte richten müssen, kein Hinweis mehr über ein Verbot für Frauen Männerkleider zu tragen findet. Lediglich im 1. Brief der Korinther findet sich ein Hinweis darauf, daß die Frau ihre Haare lang zu tragen habe, da sie ihr von Gott als Schleier gegeben seien. „Die Frauen sollten verschleiert beten und damit zeigen, daß sie sich ihrem Mann unterstellen und auch die Sitten der Zeit respektieren.“ (78) Zugegebenermaßen entsprachen die militärischen Aktivitäten der Jungfrau von Orléans keineswegs den Gepflogenheiten ihrer Zeit, und daß sie sich einem Mann nicht unbedingt unterstellen wollte, zeigt auch das Beispiel eines jungen Mannes aus Toul, der gegen Jeanne vor Gericht zog, weil diese ihm wohl die Ehe versprochen hatte, es aber vorgezogen hatte, gegen die Engländer in den Kampf zu ziehen. Als Bruder Martin ihr zum letztenmal die Beichte abnimmt und ihr das heilige Brot reicht, ist ihr Gesicht ist angesichts des nahenden Todes zwar Tränen überströmt, doch sie spricht in gefaßter Haltung: „Der Schmerz wird groß sein, doch er geht zu ende – das Martyrium ist meine Rettung“ (79). Sie erkennt nun, daß ihre Befreiung, die ihre Heiligen ihr versprochen hatten, in ihrem Feuertod besteht, der sie von ihren irdischen Leiden erlösen wird. Ihre andächtigen Worte in dieser Szene erinnern an den letzten Satz der Jungfrau von Orléans in Schillers gleichnamigem Drama, der Johanna allerdings nicht auf dem Scheiterhaufen, sondern auf dem Schlachtfeld sterben läßt: „Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!“ (80) Angesichts dieses im Grunde gut recherchierten Historienfilms, mutet dieser Schluß ein wenig pathetisch an.
Kerstin Klein
Quellen 75) Schirmer-Imhoff, Seite 41 76) vgl. Grigulevic, Seite 151 77) 5. Buch Mose 22,5 78) Handbuch zur Bibel Seite 593 79) Film Johanna von Orléans (1948) 80) Schiller: Die Jungfrau von Orléans, in: Klassische deutsche Dichtung, Band XIII, Seite 723 Mai 2005 |
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