Die Darstellung der Leiden Johannas
1. Die Leiden Johannas als Imitatio Christi
Im Jahre 1928 dreht Carl-Theodor Dreyer diesen Stummfilm mit der hervorragenden
Maria Falconetti in der Hauptrolle. Der Titel dieses Films Die Passion
der Jeanne d‘Arc, der sich ausschließlich mit dem Prozeß in
Rouen befaßt, ist treffend gewählt, da es dem Regisseur
gelingt mit Großaufnahmen der Gesichter die ausweglose Situation
der Jeanne d’Arc darzustellen.
Bereits während der Verhandlung weiß Jeanne die Fangfragen
der Inquisitoren mit Überlegenheit und Durchblick zu beantworten,
wobei die als Text eingeblendete Sprache im Stummfilm auf das Wesentliche
reduziert wird - “Wenn du dich von der Kirche lossagst, bist
du allein!” - “Allein, ja - mit Gott.” (53)
Die Heiligwerdung erfolgt in Dreyers Film Schritt für Schritt durch das Selbstopfer. „Die Verherrlichung der Jeanne d’Arc sollte jedoch nicht vorschnell als archaische Flucht aus der sozialen Welt abgetan werden, weibliches Engagement koste nun einmal das Leben, täte Jeannes Radikalität Unrecht. Sie ist in ihrem Opfer kein Opfer, sondern Sieger gegen Obrigkeit, Kirche, Konvention, bis zum Äußersten, weil sie glaubt, weil sie die Heiligen gesehen hat.“ (54) In der Passion der Jeanne d‘Arc werden immer wieder Motive wie Kreuz, Dornenkrone, Schriftstücke Kreuz, Dornenkrone, Schriftstücke aufgegriffen, die einem weiteren Text mehr Nachdruck verleihen, der eng mit der Erzählung diese Films zusammenhängt: Die Geschichte vom Leiden und Sterben Jesu. (55) Das Ergebnis der Geschichte ist von Anfang an vorprogrammiert,
nicht nur, weil wir die historische Jeanne kennen, sondern auch,
weil wir die Geschichte der Passion kennen. Das Kreuz und die Dornenkrone
sind eigentlich die einzigen Jeanne nahestehenden Objekte, sie
garantieren die Unzweideutigkeit, daß die erzählenden
Parallelen sich in dem Originalfilmtitel wiederholen: La Passion
et la mort de Jeanne d’Arc. Hier lassen sich zweifelsfrei Parallelen zu der Verspottung Christi durch die Soldaten ziehen, wie zwei Beispiele aus den Evangelien zeigen: “Da nahmen die Soldaten des Stadthalters Jesus, führten ihn in das Prätorium, das Amtsgebäude des Statthalters, und versammelten die ganze Kohorte um ihn. Dann flochten sie einen Kranz aus Dornen; den setzten sie ihm auf und gaben ihm einen Stock in die rechte Hand. Sie fielen vor ihm auf die Knie und verhöhnten ihn, indem sie riefen: Heil dir, König der Juden! Und sie spuckten ihn an, nahmen ihm den Stock wieder weg und schlugen ihn damit auf den Kopf. Nachdem sie so ihren Spott mit ihm getrieben hatten, nahmen sie ihm den Mantel ab und zogen ihm seine eigenen Kleider wieder an.“ (57) „Die Soldaten flochten einen Kranz aus Dornen; den setzten sie ihm auf und legten ihm einen purpurroten Mantel um. Sie stellten sich vor ihn hin und sagten: Heil dir, König der Juden! Und sie schlugen ihm ins Gesicht.“ (58) An späterer Stelle folgt eine Szene, in der Jeanne erkrankt
ist und zur Ader gelassen werden soll. Diesbezüglich finden
wir bei Ruth Schirmer-Imhoff die Aussage Guillaume de la Chambres,
einem Arzt Johannas: "[...]Der Graf von Warwick sagte uns,
Johanna sei seines Wissens erkrankt, und er bäte uns, uns
ihrer anzunehmen, denn der König wollte um nichts in der Welt,
daß sie eines natürlichen Todes stürbe. Dem König
war viel an ihr gelegen; er hatte sie teuer gekauft, er wollte
nicht, daß sie stürbe, außer durch Richterspruch
bei lebendigem Leibe verbrannt; man sollte also Klarheit schaffen,
sie mit Sorgfalt untersuchen und sie heilen! [...]“ (59) An
dieser Stelle ist anzumerken, daß die Verurteilung Jeannes
als Ketzerin einerseits den französischen König Karl
VII. schmähen sollte und andererseits der Prozeß Johannas
in eine Zeit fiel, in der die Hexenverfolgung sich zunehmend in
Europa ausdehnte und insbesondere unter der Herrschaft des Hauses
Lancaster an der Tagesordnung„ war. (60) Dabei ist bezeichnenderweise
festzustellen, daß der Graf von Warwick dem Hause Lancaster
angehörte. Er galt als grob und brutal in seiner Verhaltensweise
und verband, ähnlich wie Heinrich der V. tiefe Frömmigkeit
mit eigennütziger List und Grausamkeit; alles was er tat,
diente dem Zweck, das Erbe des jungen Königs zu erhalten.61
Kerstin Klein
Quellen 53) Film Passion der Jeanne d’Arc (1928); Hesler, Seite 1 54) Hesler, Seite 2 55) vgl. Bordwell, Seite 90 56) Stolpe, Seite 361 57) Matth. 27,27-31a 58) Joh. 19,2-6 59) Schirmer-Imhoff, Seite 188 60) Lucie-Smith, Seite 252 61) ebd., Seite 25262 vgl. Duby, Seite 167; France, Seite 359 63) Schirmer-Imhoff, Seite 188 64) Stolpe, Seite 253 65) ebd., Seite 141 66) Schirmer-Imhoff, Seite 214 67) Krumeich, Seite 71 Mai 2005 |
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