Neue Rezensionen


Let My People Go!
In geborgener Zweisamkeit erwacht der Franzose Ruben (Nicolas Maury) neben seinem Freund Teemu (Jarkko Niemi), schlüpft in seine Postbotenuniform und verteilt die Briefe in seinem finnischen Wahlheimat-Städtchen. Als Ruben einem älteren Herren ein Einschreiben überreicht, nimmt das Unglück seinen Lauf: Der Mann will den Briefumschlag, der vor Geldscheinen überquillt, um keinen Preis annehmen und dem verdutzen Postboten vermachen. Bald entspinnt sich eine Rangelei, der ältere Mann erleidet einen Herzinfarkt und Ruben läuft mit dem Geld - es sind 199.980 Euro, wie eine Zählung ergibt - zu Teemu. Auch hier kommt es zum Streit und Ruben flüchtet mit dem kleinen Vermögen im Gepäck zu seiner jüdischen Familie nach Paris, die gerade das Passahfest vorbereitet. Dass der Koffer mit dem Geld am Flughafen abhanden kommt, ist da lediglich das erste Glied in einer Kette von zahlreichen kleinen und großen Missverständnissen und Zwischenfällen.
"Let My People Go!" bietet vorrangig leichte Unterhaltung, die von Dialogwitz und Situationskomik lebt.
Von Christian Horn.

Botschafter der Angst
Gut zehn Jahre nach der Kommunistenverfolgung in den USA und ein Jahr vor John F. Kennedys Tod kam 1962 dieser Film in die Kinos. Kennedys Ermordung führte dazu, dass "Botschafter der Angst" kurze Zeit aus dem Programm genommen wurde, denn an seinem Ende gibt es ein Attentat auf den Präsidentschaftskandidaten. Dieser Finish ist äußerst spannend inszeniert (Regie: John Frankenheimer). Denn ein Mann, Major Bennett Marco (Frank Sinatra in Topform), versucht alles, um den Anschlag zu verhindern. Er ist nicht mal ein Polizist, sondern ein Army-Veteran, der den Attentäter seit dem Korea-Krieg gut kennt und entdeckt, dass dieser nach einer Gehirnwäsche nichts für die Fremdsteuerung durch Kommunisten kann.
Kommunisten? Ist der Film ganz im Sinne des 1957 verstorbenen Joseph McCarthy, desjenigen Senators, der die Kommunistenjagd in den USA forciert hatte? Ja und nein. McCarthy sorgte für ein System aus Bespitzelung und Denunziation, ein System, das gegen alle gerichtet gewesen ist. Aber die Bedrohungslage, zeigt der Film, war sehr wohl da.
Von Michael Dlugosch.

Mansfeld (2013)
Der Regisseur Mario Schneider verbrachte seine Kindheit im Mansfelder Land, einer vom mittlerweile eingestellten Bergbau im wahrsten Sinne des Wortes gezeichneten Region im Südwesten Sachsen-Anhalts. Mit seinen Dokumentationen "Helbra" (2003) und "Heinz und Fred" (2006) widmete der Filmemacher dem Ort seiner Kindheit bereits zwei Filme - nun bereiste Schneider für die Dreharbeiten von "Mansfeld" erneut seine alte Heimat und drehte einen atmosphärischen Dokumentarfilm über die Kindheit im Allgemeinen und einen urtümlichen Mansfelder Brauch im Speziellen.
Der Brauch, der "Mansfeld" gewissermaßen als Aufhänger dient, ist das so genannte "Drecksaufest", ein seit hunderten Jahren bestehendes Pfingstritual, das symbolisch den Winter aus den Dörfern vertreibt. Kleine Jungen schwingen hierbei in traditionellen Trachten vier Meter lange Peitschen und schlagen damit Männer aus den umliegenden Dörfern in die Flucht, die sich während der Flucht im Schlamm suhlen und den Winter symbolisieren.
Von Christian Horn.

Der Biss der Schlangenfrau
Der Regisseur Ken Russell (1927 - 2011) hat den unterschiedlichsten Genres Filme beigesteuert. Sein erster abendfüllender Spielfilm war "Das Milliarden-Dollar-Gehirn" (1967) mit Michael Caine, ein Action-Kommerz-Produkt. Besondere Bedeutung erfuhren seine Musikfilme ("Tommy" nach der Rockoper von "The Who", 1974), darunter speziell Komponisten-Porträts ("Tschaikowsky - Genie und Wahnsinn" 1970, "Mahler" 1974 und "Lisztomania" 1975). In "Die Hure" (1991) sprach die Filmtitel-gebende Prostituierte direkt das Filmpublikum an, um aus ihrem Leben zu erzählen. Russell konnte auch anders: Er drehte "Gothic" (1986). In ihm erleben die Dichter Lord Byron, Mary Shelley und andere Gäste Byrons eine Nacht des Grauens. Der Film funktioniert wie ein großer Alptraum. Und er zeigte, dass Regisseur Russell in exzentrischer Weise Filme dreht. Dem steht "Der Biss der Schlangenfrau" 1988 in Nichts nach. Wieder begibt sich Russell ins Gruselgenre, diesmal indem er Billig-Horrorfilmen seine Reverenz erweist. Die ahmt er mit einer Portion Intellekt nach. "Der Biss..." ist kein Meisterwerk, aber er hat Spirit, und Amanda Donohoe als Titel-Antiheldin überzeugt.
Von Michael Dlugosch.

Der goldene Handschuh
Tippt man in die Suchmaske der Wikipedia "Fritz H" ein, bietet die Autovervollständigung gleich zwei deutsche Serienmörder an. Der eine ist Fritz Haarmann, der in Hannover junge Männer tötete, laut einem ihm gewidmeten Lied "mit dem Hackebeilchen". Götz George spielte ihn in "Der Totmacher" (1995). Der andere ist der im Vergleich mit Haarmann unbekanntere Hamburger Fritz Honka. Dieser erschlug in den 1970ern ältere Frauen, die er vor allem in der Kneipe "Zum goldenen Handschuh" kennenlernte und nachhause mitnahm. Der Hamburger Regisseur Fatih Akin drehte 2019 diesen Film über Honka und seine Morde. Der Film lief im Hauptwettbewerb der Berlinale 2019. Exzellent schildert Akin nach dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk, wie es zu den Morden kommt, wie es am Alkohol liegt, dass der biedere Durchschnittstyp zum Monster wird. Der Alkohol - und seine Folgen - ist der heimliche 'Star' des Films, neben dem Ort, an dem er ausgeschenkt und von skurrilen Gestalten konsumiert wird.
Von Michael Dlugosch.

Sound of Freedom
Alejandro Monteverdes Film "Sound of Freedom" berührt und lässt die Betrachter*innen Themen wie rücksichtslose Kinderprostitution, sexuellen Kindesmissbrauch und den Menschenhandel hautnah erleben. Themen, die zwar nicht tabu sind, aber auf der Liste der "Unerwünschten" stehen. Themen, die einen zum Aussprechen und zur Lösung eines Problems zwingen.
Die Hauptfigur des Films, Tim Ballard, ist ein ehemaliger Agent des US-Heimatschutzes, der gefährliche Rettungsmissionen durchführt, um Kinder aus den Klauen der sexuellen Ausbeutung zu befreien. Jim Caviezel verkörpert Tim Ballard und verleiht seiner Figur Authentizität, indem er die wahre Geschichte von Tim Ballard erzählt. Im echten Leben ist der Mann ein engagierter Familienvater, der sein Leben dem Kampf gegen den Kinderhandel und die sexuelle Ausbeutung von Kindern gewidmet hat.
"Sound of Freedom" ist ein Appell, sich für diejenigen stark zu machen, die keine Stimme haben. Er ist aufrüttelnd und inspirierend zugleich, und er erinnert uns daran, dass wir die Stimme für diejenigen sein können.
Von Polina Grechanikova.

Otto's Eleven
Herumalbern ist ein Wort, das die spezifische Komik von Otto Waalkes recht treffend beschreibt und sich mühelos auf jegliche Darsteller, die Regie sowie das Drehbuch von "Otto's Eleven" übertragen lässt. Regisseur Sven Unterwaldt, der seine ersten Sporen beim Comedy-TV-Format "Switch" verdiente und für Kinofilme wie "7 Zwerge - Männer allein im Wald" verantwortlich zeichnet, liefert mit seiner aktuellen Klamotte eine Aneinanderreihung verschiedener Sketche, die nur selten lustig und fast immer viel zu sehr in die Länge gezogen sind.
Sky du Mont, seit "Der Schuh des Manitu" eine feste Größe im deutschen Blödel-Fach, gibt einen schmierigen Casinobesitzer, der Otto Waalkes um ein geerbtes Gemälde erleichtert.
Schlussendlich bietet "Otto's Eleven" lediglich ein paar deutsche Komödienstars beim Stelldichein und jede Menge Albernheiten, die nicht einmal anarchisch, sondern ganz einfach harmlos und nervtötend sind.
Von Christian Horn.

Paranormal Activity 2
Als "Blair Witch Project" 1999 in den Kinos startete, war kaum abzusehen, welch großen Einfluss der Horrorfilm haben sollte. Ende der Nullerjahre wurde seine Funktion als Schlüsselfilm zunehmend deutlich, als Filme wie "[Rec]", "Cloverfield" oder "Paranormal Activity" von Regie-Debütant Orin Peli den dokumentarischen Stil des Erfolgsfilms adaptierten. Vor allem letzterer erfuhr dabei viel Beachtung, da er mit einem verschwindend geringen Budget von etwa 12000 Dollar starke Effekte erzielte und im Verlauf seiner Kinoauswertung Millionen einspielte - der Kinostart einer Fortsetzung war daher nur Formsache.
Der nur ein Jahr nach dem Hype um den ersten Teil lancierte, zweieinhalb Millionen Dollar teure "Paranormal Activity 2" von Regisseur Tod Williams orientiert sich stark an den inhaltlichen und stilistischen Vorgaben des Originals. Heimgesucht wird nun die Familie von Ali Rey (Molly Ephraim), deren Schwester Katie (Katie Featherston) aus dem Vorgänger bekannt ist - zeitlich spielt "Paranormal Activity 2" dabei vor dem ersten Teil und erzählt die unmittelbare Vorgeschichte zum Spuk im Haus von Katie und ihrem Freund Micah.
Von Christian Horn.

In einer kleinen Stadt
Die Kamera fliegt während des Vorspanns über eine ruhige Landschaft hinweg: über Steilklippen, über eine Straße durch den dichten Wald hin zu einer US-Kleinstadt. Der Zuschauer ahnt: Das Unheil naht. Die Beschaulichkeit ist bald verflogen. Wie sollte es anders sein in einer Stephen-King-Verfilmung? Die Kleinstadt heißt Castle Rock, liegt in den Neuengland-Staaten und wird den abgeschotteten Mikrokosmos dieses Films bilden, in dem aus Ruhe Chaos wird. Der Teufel in Menschengestalt kommt vorbei. Damit ist nicht zu viel verraten, denn der Film verrät es selbst ebenfalls früh. An den Fingernägeln. Sie sind lang, wenn der Mann alleine ist, brüchig, eklig - sie sind kurz und normal, wenn er Gäste in seinem Laden empfängt. Max von Sydow spielt den in Castle Rock vorerst fremden Leland Gaunt, der sich gegenüber allen allmählich als der Teufel entpuppt. Er eröffnet ganz harmlos ein Antiquitätengeschäft. Und er erfüllt heißbegehrte Wünsche. Die Kosten? Nicht der Rede wert. Man soll anderen im Ort einen Streich spielen. Fast alle werden sich beteiligen. Die Streiche werden blutiger und blutiger. Wobei sich eine Person nie rächen, sondern einer weiteren Person Schaden zufügen soll. Fast alle? Der Sheriff Alan Pangborn (Ed Harris), frisch mit Polly (Bonnie Bedelia) verlobt, benötigt nichts. Ist wunschlos glücklich. Er wird dementsprechend als Einziger die Ruhe bewahren, während alles um ihn herum zerstört wird.
Von Michael Dlugosch.

Trainspotting - Neue Helden
"Trainspotting - Neue Helden" war, neben wenigen anderen, der Kultfilm der 1990er-Jahre, der Film über Sucht und ihre Folgen. Gleichzeitig thematisierte er das Ende der Jugend und die Bedürfnisse der jungen Erwachsenen an der Schwelle zum neuen, ernsten Lebensabschnitt, dazu ein perfekter, weil trancehafter Soundtrack von Iggy Pop über Underworld, Lou Reed und Blur bis hin zu Bach.
Fünf Freunde leben in einem Vorort des schottischen Edinburgh im Rausch. Drei von ihnen sind bereits am Filmbeginn heroinsüchtig, der Vierte nicht, der dafür psychopathische Züge aufweist, als ob er was genommen hätte, der Fünfte wird süchtig werden und an AIDS sterben. "Trainspotting"-Hauptfigur Mark Renton (Ewan McGregor) möchte fort von der Droge, er wird immer wieder durch die Anziehungskraft der Sucht zurückkehren und immer wieder neue Anläufe für ein cleanes Leben angehen. Wenn er es selber nicht versucht, sperren ihn die Eltern in sein Kinderzimmer ein: Was dieser kalte Entzug bedeutet, zeigt der Film konsequent.
Auf den Film muss sich das Publikum einlassen, was in den Anfangsminuten des Films schwer fällt: Man glaubt, der Film glorifiziere Heroin. Das tut er mitnichten.
Von Michael Dlugosch.

Tron: Legacy
Alles wie gehabt. Wer den Film "Tron" (1982) kennt, für den bringt die 28 Jahre später erfolgte Fortsetzung "Tron: Legacy" keine neuen Eindrücke, keine neuen Erkenntnisse. Es ist ein Aufguss des alten Films, dazu gibt es eine minimalistische Handlung. Die Walt Disney Company versucht sich gerne in Neuauflagen, mal erfolgreich und sehenswert, siehe "Star Wars", mal sinnfrei, wie in diesem Falle, denn "Tron: Legacy" ist nur rein optisch für Kinogänger, die das Original nicht kennen, ein Gewinn, zumal in 3-D. Die Handlung wiederholt sich, aus Alt mach Neu. "Legacy" heißt auf Deutsch "Hinterlassenschaft" bzw. "Erbe", das passt, denn der Sohn der Hauptfigur des ersten Teils wird, wie einst sein Vater, mithilfe des aus "Tron" bekannten Lasers in die virtuelle Welt gerissen. Sam (Garrett Hedlund) muss dieselben Spiele spielen wie einst sein Daddy, Diskuswerfen und Motorradrennen mit tödlichem Ausgang. Dem vorausgegangen war die Suche nach seinem schon lange verschollenen Vater Kevin Flynn (Jeff Bridges), der scheinbar seinem Filius eine Nachricht hat zukommen lassen. Es ist aber sein Avatar Clu (der visuell auf jung getrimmte Bridges), der sich von seinem Schöpfer lossagte und eine Armee gegen die Menschheit aufbaut. Er will mit ihr in die reale Welt, diese in seinem Herrschaftsanspruch übernehmen. Kleiner geht es nicht. Alles schon mal dagewesen, nur in anderen Filmen mit mehr Glaubwürdigkeit, mehr Verve, nicht bei anderen Filmen kopiert, also hier: Alles wie gehabt.
Von Michael Dlugosch.

Tron
1982 warnte der Film "Tron" bereits vor der Allmacht Künstlicher Intelligenz. In unseren Zeiten ist das angesichts Chat-GPT hochaktuell. Denn der Gegner von Kevin Flynn (der junge Jeff Bridges) ist nur scheinbar in erster Linie der Präsident seiner früheren Computerfirma, Dillinger (David Warner). Dillinger entließ Flynn, um an sein geistiges Eigentum zu kommen. Der eigentliche Kontrahent Flynns ist ein Computerprogramm namens Master Control Program, das ihn vernichten will. Es digitalisiert mithilfe eines neuen Lasers seinen Körper und Geist und zerrt ihn in die Spielewelt. Gut, dass Flynn der Spieleerfinder war, denn er muss nun um sein Leben kämpfen.
Regisseur Steven Lisberger gelingt es, uns in die virtuelle Realität hineinzuzaubern. So, wie Flynn in sie gerät, werden wir ebenfalls von ihr aufgesogen. Second Life lässt grüßen. Mächtig viel Prophetie, denn vieles ist heutzutage eingetreten. Der Film ist ein einziger farbiger Rausch, einem LSD-Trip ähnlich. Zumindest in der digitalen Welt. Die reelle Welt ist dagegen farblos, was auch an Lisbergers Regie liegt: Für sie interessiert sich der Filmemacher kaum.
Von Michael Dlugosch.

Messner
Der Extrembergsteiger Reinhold Messner ist der erste Mensch, der alle Achttausender erklommen hat. Auch weil sich der Profi-Abenteurer stets gut präsentieren konnte - vornehmlich mit Büchern, Talkshowauftritten oder als Berater von Joseph Vilsmaiers Bergsteigerdrama "Nanga Parbat" (2009) - ist dieses Faktum gemeinhin bekannt. In seinem programmatisch betitelten Porträt "Messner" unternimmt Regisseur Andreas Nickel den Versuch, dem Innenleben seines Protagonisten näher zu kommen. Hier spielt das generelle Verhältnis des Menschen zur Natur eine ebenso große Rolle wie Messners Drang zur wiederholten Überwindung mentaler wie physischer Sollbruchstellen.
Um ein Psychogramm von Reinhold Messner zu entwerfen, besucht Andreas Nickel dessen Heimat Villnöß und führt Interviews mit seinen Geschwistern und Wegbegleitern. Weil der Tod seines jüngeren Bruders während der Erstbesteigung des Nanga Parbat im Jahr 1970 eine gewichtige Rolle spielt, ist "Messner" in gewisser Weise auch eine Familiengeschichte.
Von Christian Horn.

Das Narrenschiff
Vier Jahre nach "Urteil von Nürnberg" (1961) drehte Regisseur Stanley Kramer erneut einen Film, der sich mit dem Nationalsozialismus befasste, diesmal am Beginn des Dritten Reiches, 1933. Der Ensemblefilm auf hoher See bietet hochkarätige Schauspieler auf, beginnend bei "Vom Winde verweht"-Star Vivien Leigh in ihrer letzten Rolle über Simone Signoret und Oskar Werner, George Segal, Lee Marvin bis hin zu Heinz Rühmann. Und doch zieht der Film nicht - der Schrecken der Nazizeit ist hier nicht erfasst. Probleme sind auf Soap-Opera-Niveau heruntergefahren.
Der Dampfer legt in Veracruz/Mexiko ab mit Ziel Bremerhaven. Die verschiedensten Gäste sind an Bord. Ein deutscher Kleinwüchsiger, Karl Glocken (der US-amerikanische Schauspieler Michael Dunn), spricht zu Beginn des Films freundlich, fast grinsend, das Kinopublikum direkt an: Es sei ein Schiff "voller Narren". Damit meint er, ohne es auszusprechen, speziell seinen Landsmann Siegfried Rieber (der US-Schauspieler José Ferrer), der als Herausgeber einer deutschnationalen Zeitung Vordenker dessen ist, was kommt. Und es laut herausposaunt. Viel mehr zur Nazizeit bringt der Film aber nicht. Die anderen Fahrgäste sind hingegen nicht so "närrisch". Die Erwartungshaltung der Filmzuschauer wird somit im Nachhinein enttäuscht.
Von Michael Dlugosch.

A History of Violence
Der kanadische Regisseur David Cronenberg, im Jahr 2023 nunmehr 80 Jahre alt, ist ein Meister des filmischen Erzählens, wenn es um existenzialistische Fragen geht. Seine Filmfiguren haben dabei oft den Hang zu multipler Persönlichkeitsstörung. Durch Snuff-Videos ("Videodrome", 1983), Selbstversuche ("Die Fliege", 1986), Drogen ("Die Unzertrennlichen", 1988), Computerspiele ("eXistenZ", 1999) oder psychische Krankheiten ("Spider", 2002) geraten sie an den Rand ihrer selbst. In "A History of Violence" aus dem Jahr 2005 reicht es, dass ein Mann seine Vergangenheit verdrängt hat und von ihr eingeholt wird. Er ist gezwungen, sich ihr zu stellen. Ein scheinbar unbescholtener Familienvater muss wieder zum Kämpfer, der er mal war, mutieren. Ein blutiger, aber kluger Film nach einer Graphic Novel von John Wagner und Vince Locke.
Der Filmtitel ist doppeldeutig: Zum einen steht er für "Eine Geschichte der Gewalt". Zum anderen ist er umgangssprachlich als "gewalttätiges Vorleben" eines Menschen zu verstehen.
Von Michael Dlugosch.

Bad Neighbors
Mac und Kelly, beide Anfang dreißig, hadern mit ihrer neuen Elternrolle und geben der Jugendzeit nur ungern den Abschiedskuss, als eine Studentenverbindung ins Nachbarhaus einzieht. Von heute auf morgen steigt nebenan eine nervtötende Dauerparty mit Krawall aller Art. Doch nächtliche Ruhestörung und Müll im Vorgarten sind nur zarte Vorboten für die folgende Nachbarschaftsfehde, die beide Parteien mit allen erdenklichen Kniffen führen.
Wie eigentlich alle Filme von oder mit Seth Rogen ist auch "Bad Neighbors" von Nicholas Stoller ("Männertrip") ganz auf seine Hauptdarsteller zugeschnitten. In diesem Fall stehen der von Seth Rogen gespielte Familienvater, dessen Film-Ehefrau Rose Byrne sowie der von Teenieschwarm Zac Efron verkörperte Verbindungspräsident Teddy im Brennpunkt.
Von Christian Horn.

Der Club der gebrochenen Herzen - Eine romantische Komödie
Leben und Lieben in L.A. Acht junge Freunde aus West-Hollywood sind auf der Suche nach der richtigen Partnerschaft. Die Männer sind allesamt homosexuell und deswegen aufeinander eingeschworen. Was sie gemeinsam haben: eine gewisse Bindungsunfähigkeit...
Greg Berlanti, der Regisseur und Drehbuchautor des Films in Personalunion, selber schwul und mit einem Ex-Fußballspieler verheiratet, brachte im Jahr 2000 kenntnisreich die Probleme junger Leute auf die Leinwand, die am eigenen Geschlecht interessiert sind. Der Film scheitert bei der Darstellung der Konflikte auf hohem Niveau, denn er schneidet die Themen stets nur an, in die Tiefe geht es selten. Homophobie kommt gar nicht erst vor, das Kinopublikum erkennt: Berlanti geht es um die Konzentration auf Glückssuche in ihrer Vielfalt, vertreten durch die acht Twens, zusammengehalten vom alternden Schwulen Jack (John Mahoney), der die einzig lang anhaltende Beziehung hat - und doch den Jüngeren nicht als Vorbild dient, weil sie sich nicht an ihm orientieren, wie es geht.
Von Michael Dlugosch.

Darkest Hour (2011)
Wie in Roland Emmerichs 90er-Blockbuster-Event "Independence Day" beginnt die Alieninvasion auch in "Darkest Hour" für einen kurzen Moment mit beinahe harmonischen Bildern: Wie gebannt schauen die Menschen in den Nachthimmel, aus dem funkelnde Lichtgestalten so elegant wie Schneeflocken auf den Boden rieseln. Doch als ein Moskauer Polizist einer der Erscheinungen (die in Wahrheit Aliens sind) zu nahe kommt und auf der Stelle von innen her explodiert, bricht Panik aus. Nach einer knappen Exposition, die eine vierköpfige amerikanische Reisegruppe (zwei Männer und zwei Frauen, darunter Emile Hirsch aus "Into the Wild" und Max Minghella aus "The Ides of March") mit wenigen Strichen skizziert, erhält die Invasion ab diesem Augenblick genau den richtigen Drive.
Die vielfältigen Fähigkeiten, die sich Chris Gorak über die Jahre angeeignet hat, setzt der Filmemacher in "Darkest Hour" mit versierter Hand in einen kurzweiligen und unterhaltsamen, stellenweise sehr lustigen Science-Fiction-Film um.
Von Christian Horn.

Die dunkelste Stunde
Mai 1940: Die Appeasement-Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain (Ronald Pickup) ist gescheitert, Hitler-Deutschland überrollt Westeuropa. Großbritannien ist davor durch den Ärmelkanal geschützt, doch: Wie lange noch? Ein starker Leader wird für das Land benötigt. Auftritt Winston Churchill (Gary Oldman), da die erste Wahl Lord Halifax (Stephen Dillane) nicht Chamberlains Nachfolger werden möchte. Kann man mit Diktator Hitler um ein freies Land verhandeln? Churchill kapiert: Früher oder später hielte der Friede nicht mehr stand, der Obernazi strebt die Weltherrschaft an.
Regisseur Joe Wright ("Abbitte", "Pan", "Stolz und Vorurteil") inszeniert Machtspiele, Hintergrundgespräche, ja Kungelrunden genüsslich, was eine besondere Stärke des Films neben der guten Latexmaske für Gary Oldman als Churchill ist. Diese Prothese ist ausdrücklich zu loben: Oldmans Mimik hat ihre Freiheiten. Das Drehbuch sieht für den Hitler-Gegner alle erdenklichen Klischees (Scotch am Morgen, Zigarre immer im Mund, Dauergrimm etc.) vor. Doch die basieren auf der Realität. Somit fluchen sämtliche Abgeordnete, ein Säufer würde Premierminister. Aber Churchill wird sich als der richtige Mann zur dunkelsten Stunde erweisen.
Von Michael Dlugosch.

Eine Leiche zum Dessert
Gaga-Humor. Mit vielen prominenten Schauspielern (Alec Guinness, David Niven, Maggie Smith, Peter Sellers, Peter Falk etc.). Der legendäre Schriftsteller Truman Capote in seinem einzigen Spielfilmauftritt führt die Riege der Darsteller an. Die absurde Komödie aus dem Jahr 1976 persifliert das Krimi-Genre, indem fünf berühmte Meisterdetektive in ein jwd gelegenes Schloss eingeladen werden. Sie sollen einen Mord aufklären - der noch nicht geschehen ist, in Konkurrenz zueinander. Der Sieger erhält eine Million Dollar. Und sie kommen: Miss Marple. Sam Spade. Nick Charles. Hercule Poirot. Und Charlie Chan. Im Film sind ihre Namen leicht verändert. Aber der Zuschauer erkennt sie sofort wieder, auch weil ihre Eigenarten, die von ihren Autoren erfunden worden waren, gnadenlos parodiert wiedergegeben werden. Dick Charleston und seine Frau Dora (Nick und Nora Charles aus den "Der dünne Mann"-Filmen) benötigen stets einen Drink, gespielt von David Niven und Maggie Smith. Milo Perrier (James Coco) alias Hercule Poirot steht dem in Nichts nach, aber bezüglich Essen. Sidney Wang (Peter Sellers) aka Charlie Chan redet schiefe Sätze. Sam Diamond alias Sam Spade aus "Die Spur des Falken" beherrscht sich nicht, ist ein Vollproll, aber in lustiger Form. Dessen Besetzung ist der Knaller des Films schlechthin, Peter Falk konterkariert sein Image als schusselig wirkender Inspektor Columbo. Nur zu Jessica Marbles (Elsa Lanchester), besser bekannt als Miss Marple, fällt Autor Neil Simon und Regisseur Robert Moore nicht viel ein, oder sie sind einfach gentlemanlike gnädig.
Von Michael Dlugosch.

 



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Zitat

"Der von Dir favorisierte Film ist stets der Film, den Du noch nicht gemacht hast."

("Your favorite film is always the film you haven't made yet.")

Regisseur Michael Cimino (1939 - 2016)

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