Neue Rezensionen


Die Fabelmans
Die beste Szene kommt zum Schluss. Der junge Sammy Fabelman möchte Filmemacher werden. Er kommt schüchtern ins Büro seines großen Vorbilds John Ford (David Lynch). Der lässt ihn warten und pafft ihn dann mit einer riesigen Zigarre voll. Dann soll Sammy ein Bild beschreiben, das an der Wand hängt. "Wo ist der Horizont?" - "Der ist unten!" - "Jetzt geh zu dem nächsten Bild! Wo ist der gottverdammte Horizont?" - "Der ist am oberen Bildrand!" - "Schreib dir das hinter die Ohren! Ist der Horizont unten im Bild, ist es interessant. Ist der Horizont hoch oben, ist es interessant! Ist der Horizont in der Mitte, ist es beschissen langweilig. So, viel Glück!" Und der junge Mann verlässt das Büro und hüpft glücklich zwischen den Studiogebäuden in die Abendsonne hinein. Hollywood wartet!
Von Manfred Lauffs.

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers
Frankreich hatte Anfang der 1960er Jahre die "Nouvelle Vague". Bekanntester Film war "Außer Atem" (1960) von Jean-Luc Godard. Großbritannien stand dem nicht nach mit ihrer "British New Wave". Meist im Vordergrund in den Filmen: ein männlicher Rebell. So war es in "Samstagnacht bis Sonntagmorgen" (1960) von Regisseur Karel Reisz, so war es in "Die Einsamkeit des Langstreckenläufers" (1962) von Tony Richardson. Auf der Vorlage und dem Drehbuch von Alan Sillitoe basierend, geht es um Anpassung und Rebellion, reiche Oberschicht und Armut im Kontrast. Kritisiert wird im Film die Obrigkeit, die der Unterschicht das Leben schwer macht. Ein junger Mann, Colin Smith (Tom Courtenay) gerät nach einem Diebstahl in eine Erziehungsanstalt. Deren Chef (Michael Redgrave) entdeckt die läuferischen Fähigkeiten des Heranwachsenden und will das ausnutzen. Für sich und sein Prestige, nicht für Colin.
Von Michael Dlugosch.

Ein Mann und eine Frau
Schauspielerin Anouk Aimée ("8 1/2", "Das süße Leben") starb im Juni 2024. Blicken wir auf einen ihrer wichtigsten Filme, den 1966 gedrehten, preisgekrönten Film "Ein Mann und eine Frau". Ihre Filmfigur Anne lernt einen Mann, Jean-Louis (der zwei Jahre vor Aimée verstorbene Jean-Louis Trintignant) kennen. Die Begegnung ist Zufall, Schicksal. Ihre beiden Kinder gehen auf dasselbe Internat. Um sie kümmern sich der Mann und die Frau in großer Liebe - bald bricht die Liebe auch zwischen den beiden verwitweten Erwachsenen aus. Sie arbeitet beim Film, er ist Rennfahrer.
Regisseur Claude Lelouch erzählt die Entstehung von Gefühlen bis zur großen Krise fast dokumentarisch, driftet manchmal ins Seichte ab, rettet aber den Film, indem er die Geschehnisse mit saloppen Einfällen auflockert und auf den Charme Aimées setzt.
Von Michael Dlugosch.

Samstagnacht bis Sonntagmorgen
In der Fabrik arbeiten, am Wochenende (daher der Filmtitel) Alkohol trinken, Sex haben, mit dem Bruder angeln gehen, danach wieder in der Fabrik arbeiten und so fort - das ist der ganze Lebensinhalt von Arthur (Albert Finney). Dazu gehört auch: cool sein, ein "Halbstarker" sein, wie eine ältere, von ihm stets angerempelte, angepöbelte Nachbarin treffend sagt. Die Frau, mit der Arthur zusammen ist, ist Brenda (Rachel Roberts), die mit einem Arbeitskollegen Arthurs verheiratet ist und ein Kind hat. Sie erwartet eines Tages ein weiteres - von Arthur, kein Zweifel, und dies durchbricht das ewig Wiederkehrende in seinem Leben, wie auch Arthurs Kennenlernen von Doreen (Shirley Anne Field), die er eher lieben wird als Brenda. Diese will das Kind nicht, und befürchtet, dass ihr Mann hinter das Geheimnis kommt, das Kind muss weg. Arthurs Probleme beginnen.
Von Michael Dlugosch.

LOL - Laughing Out Loud
Das amerikanische Kinopublikum mag dem Vernehmen nach weder Synchronisationen noch Untertitel - ausländische Filmproduktionen haben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten also einen schlechten Stand. So kommt es, dass findige Produzenten vor allem europäische und asiatische Kinoerfolge regelmäßig in englischsprachige Remakes übersetzen und das heimische Publikum mit Hollywoodstars locken. Im Fall der französischen Teenager-Komödie "LOL" folgt die Neuverfilmung knapp vier Jahre nach dem Kinostart in Frankreich, was dem Muster entspricht, dass die zeitliche Spanne zwischen Original und Remake in den letzten Jahren immer kürzer geworden ist.
Lisa Azuelos gelingt bei der neuerlichen Verfilmung ihres eigenen Drehbuchs ein ähnlich charmanter und leichtfüßiger Film wie vier Jahre zuvor.
Von Christian Horn.

American Graffiti
Nach dem Science-Fiction-Film "THX 1138" (1971) legte sein guter Freund, der Regisseur Francis Ford Coppola, George Lucas nahe, eine andere Art Film zu drehen. Einen Film, der sich wesentlich "warmherziger und menschlicher anfühlte" (Zitat Wikipedia). Lucas, dessen Erfolgsfranchise "Star Wars" dann noch ausstand, entschied sich für die teilweise Nacherzählung des Endes seiner Jugend. Daraus wurde der nostalgische Gefühle ansprechende und damit erfolgreiche Film "American Graffiti" (1973). Vier Freunde kurz vor dem Erwachsenendasein erleben ein und dieselbe Nacht des Jahres 1962 auf unterschiedliche Weise. In Modesto, einer kalifornischen Kleinstadt, leben sie, zwei von ihnen sollen den nächsten Tag zum College fliegen. Das heißt, ihr wohlvertrautes Nest zu verlassen. Curt (Richard Dreyfuss) kommen Bedenken: Möchte er wirklich weg? Steve (Ron Howard, später bekannter Filmregisseur), will weg, obwohl er mit Curts Schwester Laurie (Cindy Williams) scheinbar glücklich zusammen ist. Von ihnen zurückgelassen würden Milner (Paul Le Mat) und Terry (Charles Martin Smith).
Von Michael Dlugosch.

Alexandre Ajas Maniac
Die Eröffnungsszene ist programmatisch: Eine junge Frau läuft im Cocktailkleid durch eine nächtliche, unangenehme Stadtszenerie. Durch die Augen eines Mannes - eines Mörders, wie sich bald herausstellt - beobachten wir die Frau, folgen ihr bis zur Wohnungstür und rammen ihr von oben ein Messer in den Kopf.
In "Maniac" nimmt das Publikum - abgesehen von kurzen Rückblenden - die Ichperspektive des Psychopathen Frank (Elijah Wood) ein, der eine krankhafte Beziehung zu seiner toten Mutter pflegt und reihenweise Frauen abschlachtet. Anschließend (mitunter bei lebendigem Leibe) skalpiert Frank die Frauen, um die "Echthaarperücken" seinen Schaufensterpuppen aufzusetzen. Frank ist nämlich ein Restaurator von alten Schaufensterpuppen, die in seiner psychopathischen Sichtweise ein Eigenleben führen. Als die Fotografin Anna (Nora Arnezeder) seinen Laden entdeckt und die Puppen für eine Ausstellung benutzen will, zieht der Film seine Spannung aus der Frage, ob Frank die Künstlerin verschont oder ebenfalls tötet.
Von Christian Horn.

Ein Glücksfall
Mit "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" (1989), "Irrational Man" (2015) und vor allem "Match Point" (2005) fing Woody Allen Feuer. Der Regisseur hatte einst mit Klamaukfilmen begonnen; später wurden seine Filme ernster. Die Möglichkeit, in seinen Filmen Menschen Morde begehen zu lassen, die dafür bestraft werden oder auch nicht, packte ihn. Der nunmehr 88-jährige Altmeister inszeniert seit "Der Stadtneurotiker" (1977) Filme zum Thema Mann und Frau mit heimlicher Begierde und noch heimlicheren Seitensprüngen. Mittlerweile fasziniert Allen, dass die Menschen töten, um die Begierde zu vertuschen - oder zu ahnden, wie in "Ein Glücksfall". Diesen Film drehte Allen auf Französisch, erstmals, und ohne die Sprache zu beherrschen. "Coup de Chance", so der Originaltitel, steht für Zufall und für Glück. Ein Glück für Alain (Niels Schneider), dass er in Paris per Zufall Fanny (Lou de Laâge) wiedertrifft. Sie kannten sich als Schüler, fanden sich begehrenswert, jetzt gestehen sie es sich. Es kommt, wie es kommen muss, wie es bei Allen stets kommt. Aber Fanny ist verheiratet...
Von Michael Dlugosch.

Der Mann mit dem goldenen Arm
Nelson Algrens Roman "Der Mann mit dem goldenen Arm" (1949) galt als unverfilmbar. Weil er vom Tabuthema Heroinsucht handelt. Der in die USA ausgewanderte österreichische Regisseur Otto Preminger wagte sich 1955 dennoch an das Thema heran und drehte den Film Noir mit Frank Sinatra in der Hauptrolle. Sinatra spielt Frankie Machine, der nach mehrmonatiger Abwesenheit in das Stadtviertel, das seine Heimat ist, zurückkehrt. Er war - scheinbar erfolgreich - in einer Klinik auf Heroinentzug. Ihn zieht es zunächst in seine Lieblingskneipe, später erst zu seiner Frau. In der Kneipe trifft er all seine Spezis und zwei Männer, von denen er sich fortan fernhalten wollte, Zero Schwiefka (Robert Strauss) und Louie (Darren McGavin). Louie ist sein Heroin-Dealer, der ihn sogleich wieder verführen will. Bald erfolgreich. Für Schwiefka arbeitete Frankie als Bankhalter beim illegalen Pokerspiel. Auch dies wird er wieder tun, entgegen allen Bekundungen.
Premingers Film ist ein zeitloser Klassiker.
Von Michael Dlugosch.

Poor Things
Frankensteins Monster hier als Frau. Die weibliche Filmvariante von Mary Shelleys berühmter Figur ist in "Poor Things" von Regisseur Yorgos Lanthimos ("The Favourite - Intrigen und Irrsinn") zunächst ein wörtlich genommen und aus guten Gründen geistiges Riesenbaby, das bald eine Entwicklung durchmacht. Das Monster goes feminin - und wird Feministin! Die Männerwelt beißt sich an Bella (Emma Stone) die Zähne aus, drei Männer treten in ihr Leben; zwei davon allerdings, Maluspunkt für den Film, als Knallchargen dargestellt. Dennoch: Die originelle Story ist kongenial von Lanthimos verfilmt, sie basiert auf dem gleichnamigen Roman (1992) von Alasdair Gray. "Poor Things" ist ein böser Film und manchmal ekelhaft, aber der für den Film Academy-Award-prämierten Emma Stone zuzusehen, ist eine Freude. Und: Der Film bietet ein skurriles Happy End auf mit der Boshaftigkeit eines klugen Horrorfilms.
Von Michael Dlugosch.

Marmaduke
Der titelgebende Held aus "Marmaduke" spricht dank Christian Ulmen (im Original dank Owen Wilson) mit seinen Artgenossen sowie dem Publikum - und ist eine dänische Dogge. Im Grunde sagt das viel über den Film von Tom Dey ("Shang-High Noon"), denn im Kino gibt es in gewisser Weise nur zwei Tierarten: Die schweigsamen und die sprachbegabten, wobei vornehmlich letztere Hauptrollen bestreiten. Insbesondere Hunde nehmen hier eine herausragende Stellung ein - kleine und große, liebenswerte oder gar schelmische Vierbeiner: Alles ist vertreten und macht im regelmäßigen Turnus Kasse.
Symptomatisch für Filme mit sprechenden Hunden ist neben dem komödiantischen Einschlag vor allem das große, in seinem Resultat fatale Vertrauen, das die meisten Filmemacher in ihre tierischen Attraktionen setzen. Da machen auch Tom Dey und seine beiden Drehbuchautoren keine Ausnahme - weder die Geschichte, noch die Inszenierung entwickeln Eigenständigkeit: "Marmaduke" führt lediglich altbekannte Erzählmuster ins Feld und verlässt sich völlig auf seinen Hunde-Bonus, der aber nicht allzu lange vorhält.
Von Christian Horn.

Das Lehrerzimmer
"Die Wahrheit besiegt alle Dinge" (VINCIT OMNIA VERITAS) - das alte lateinische Zitat steht an der Wand im Flur des Gymnasiums. Aber was ist die Wahrheit? Genau weiß man das am Schluss des Films nicht, und man muss als Zuschauer mit diesem offenen Ende leben. Auf der Suche nach der Wahrheit verstrickt sich die junge Mathematik- und Sportlehrerin Carla Nowak in immer neue Konflikte und zerbricht fast daran. Ein starkes, fesselndes Stück Kino, das den Deutschen Filmpreis 2023 in fünf Kategorien gewann und mit vier weiteren Produktionen als bester internationaler Film für den Oscar nominiert wurde.
Schon von Anfang an wird ein Gefühl der Verstörung vermittelt. Das Klima an dieser Schule ist angespannt, gereizt, hier ist einiges nicht in Ordnung. Untermalt wird diese Atmosphäre durch die beunruhigende Musik von Marvin Miller. Die Kamera folgt der im Mittelpunkt stehenden Lehrerin Carla Nowak auf Schritt und Tritt, filmt sie von hinten und von vorne, oft in Großaufnahme. Carla wirkt vereinsamt und verloren in dem Schulgebäude, man sieht sie oft hinter Fensterscheiben, Fenster- und Türrahmen engen sie ein, ihr Handlungsspielraum ist eingeschränkt, das enge Bildformat 4:3 verstärkt diesen Eindruck.
Es geht in diesem Film um ebenso wichtige wie aktuelle Themen: Idealismus, Vorurteile, Kommunikation, Gerechtigkeit, Rassismus, Diskussionskultur.
Von Manfred Lauffs.

 



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Zitat

"Politiker sollten wie NASCAR-Fahrer Sponsoren-Jacken tragen, dann wissen wir, wer sie besitzt."

Robin Williams

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