31.03.2024

Frankensteins Monster ist eine Feministin

Poor Things

Frankensteins Monster hier als Frau. Die weibliche Filmvariante von Mary Shelleys berühmter Figur ist in "Poor Things" von Regisseur Yorgos Lanthimos ("The Favourite – Intrigen und Irrsinn") zunächst ein wörtlich genommen und aus guten Gründen geistiges Riesenbaby, das bald eine Entwicklung durchmacht. Das Monster goes feminin – und wird Feministin! Die Männerwelt beißt sich an Bella (Emma Stone) die Zähne aus, drei Männer treten in ihr Leben; zwei davon allerdings, Maluspunkt für den Film, als Knallchargen dargestellt. Dennoch: Die originelle Story ist kongenial von Lanthimos verfilmt, sie basiert auf dem gleichnamigen Roman (1992) von Alasdair Gray. "Poor Things" ist ein böser Film und manchmal ekelhaft, aber der für den Film Academy-Award-prämierten Emma Stone zuzusehen, ist eine Freude. Und: Der Film bietet ein skurriles Happy End auf mit der Boshaftigkeit eines klugen Horrorfilms.

"Was haben Sie ihr angetan?" wird einer der Männer, die in Bellas junges Leben treten, fragen, Max McCandles (Ramy Youssef). Der angesprochene Godwin Baxter (Willem Dafoe) wird in einem unüblich schwachen, weil seine Emotionen betreffenden Augenblick erwischt und antwortet kleinlaut. "God", wie er sich von Bella nennen lässt, ist erfahrener Chirurg und … spielt Gott. Der Wissenschaftler hat Bella so geformt, erklärt er, eine junge Selbstmörderin lebte noch und war schwanger. Baxter experimentierte: Das Gehirn des Ungeborenen setzte er in den Kopf der Mutter ein. Jetzt ist Bella im erwachsenen Körper ein geistiges Kleinkind. Ab sofort erlebt der Zuschauer eine Entwicklung bei Bella, die auf Geheiß von "God" mit McCandles verlobt ist: Sie ist neugierig und will die Welt kennenlernen. Dies ermöglicht ihr ein weiterer in ihr Leben tretender Mann: Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo, bekannt als Bruce Banner alias Hulk in den Marvel-Filmen). Wedderburn verführt sie und entführt sie auf Weltreise, sie geht freiwillig mit, auch sie denkt wissenschaftlich, sie will Wissen sammeln. Er denkt derweil an ihren Körper, und er denkt nicht nur an ihn. Aber: Mit ihrer kindlich-kindischen Art zu sprechen und zu denken treibt Bella Wedderburn unterwegs in den Wahnsinn. Da Mark Ruffalo nicht gut spielt, oft peinlich agiert, erlebt der Film von seinem Auftreten an einen Qualitätseinbruch, während der Auftakt großartig war. Wedderburn ist nicht der letzte Mann im Leben Bellas, da ist noch ein Ehemann aus vergangenen Zeiten…

Eine perfekt spielende Emma Stone, ein Ekel-Interieur, viktorianisches Flair, dies alles macht manches wett, was Regisseur Lanthimos fahrig in Szene setzt. Auch Gruselliebhaber kommen nicht zu kurz. Hauptaspekt des Films ist aber die Entwicklungsgeschichte einer jungen Frau auf Entdeckungsreise, sie entdeckt nicht nur ihren Körper, sie entdeckt ihn als Waffe gegen die Männer, sie entdeckt, dass Wissenschaft und Hedonismus einander nicht ausschließen. Sie wird das lustvolle Leben entdecken. Wie der Zuschauer einen intelligenten, geradezu intellektuellen Film mit all seinen originellen Grundgedanken genießen darf.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * * (4 von 5)



Filmdaten

Poor Things
(Poor Things)

Irland/GB/USA/Ungarn 2023
Regie: Yorgos Lanthimos;
Darsteller: Emma Stone (Bella Baxter), Willem Dafoe (Godwin Baxter), Ramy Youssef (Max McCandles), Mark Ruffalo (Duncan Wedderburn), Hanna Schygulla (Martha von Kurtzroc), Jerrod Carmichael (Harry Astley), Vicki Pepperdine (Mrs. Prim), Margaret Qualley (Felicity), Christopher Abbott (Alfie Blessington), John Locke (David, Alfies Butler) u.a.;
Drehbuch: Tony McNamara nach dem gleichnamigen Roman von Alasdair Gray; Produzenten: Ed Guiney, Yorgos Lanthimos, Andrew Lowe, Emma Stone; Kamera: Robbie Ryan; Musik: Jerskin Fendrix; Schnitt: Yorgos Mavropsaridis;

Länge: 141 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; deutscher Kinostart: 18. Januar 2024, teilweise schwarz-weiß

Auszeichnungen: vier Academy Awards (Oscars) 2024, darunter Beste Hauptdarstellerin Emma Stone; Golden Globe 2024: Emma Stone beste Darstellerin; Goldener Löwe Filmfestspiele Venedig 2023 u.a.



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Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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