05.02.2024

Ich bin dein Mensch

Menschen lieben Menschen. Menschen lieben auch Tiere (Pferde, Hunde, Katzen...). Ebenso Dinge (Häuser, Autos, Bücher...). Aber können Menschen auch künstliche Menschen lieben? Und kann ein künstlicher Mensch einen "echten" Menschen lieben?
Der Film "Ich bin dein Mensch" (der Titel stammt von dem bekannten Leonard-Cohen-Song "I'm your man") behandelt dieses hochinteressante und hochbrisante Thema mit großer Eindringlichkeit, aber zugleich mit einer amüsanten Leichtigkeit, sodass man als Zuschauer fasziniert und gespannt dieser "Liebesgeschichte" folgt, deren Dialoge durchweg flott und intelligent sind.

Die beiden Hauptfiguren heißen Alma und Tom. Alma (Maren Eggert) ist eine Wissenschaftlerin am Berliner Pergamon-Museum, die Forschungsgelder für ihre Arbeit zu sumerischen Keilschriften benötigt. Deshalb nimmt sie an einem ungewöhnlichen Projekt teil: Sie soll drei Wochen lang mit einem humanoiden Roboter namens Tom (Dan Stevens) zusammenleben, der ganz auf ihren Charakter und ihre Bedürfnisse programmiert ist. Könnte er ihr perfekter Lebenspartner sein? Eine Mitarbeiterin der Roboterfirma Terrareca, die selbst eine Roboterin ist (perfekt hintergründig: Sandra Hüller), bringt die beiden zusammen.

Der Auftakt missglückt schon. Tom scheint zwar alles zu wissen (er kennt sämtliche Rilke-Gedichte auswendig und kann blitzschnell rechnen). Aber Sprüche wie "Deine Augen sind wie zwei Bergseen, in denen ich versinken möchte" machen eine moderne Wissenschaftlerin wie Alma ebenso wenig an wie Kerzenlicht und Rosenblätter auf dem Weg in Richtung Badewanne. Tom ist jedoch lernfähig. Seine KI passt sich Alma immer besser an. Und Tom will Alma nicht mehr ständig gefallen. Aber nach einer gemeinsamen "Liebesnacht" entschließt sich Alma, das Projekt zu beenden, und bittet Tom zu gehen. In ihrem Gutachten spricht sie sich eindeutig gegen humanoide Partner aus mit der Begründung, dass durch konstruierte ideale Partnerschaften jeder Antrieb wegfalle, sich mit realen Partnerschaften zu beschäftigen. Alma verteidigt die Idee der romantischen Liebe, der Unabhängigkeit, des sogenannten freien Willens. Tom ist in ihren Augen nichts weiter als eine Erfüllungsmaschine ihrer Bedürfnisse. Kein Gegenüber, nur eine hohle Illusion.

Man sieht: Der Film wirft eine Menge Fragen auf. Dürfen Menschen – wie in alten Sagen – Gott spielen und sich "Untertanen" erschaffen? Sollten Roboter Menschenrechte bekommen? Dürfen sie heiraten? Was ist Liebe, was ist Sehnsucht, was ist Bewusstsein? Was bedeuten eigentlich Männlichkeit, Weiblichkeit, Sexualität? Alma trifft auf der Straße einen anderen Teilnehmer des Experiments, einen älteren Mann, der mit seiner neuen jungen, hübschen, sexy Partnerin (einem weiblichen Roboter!) überglücklich ist. So dass man sich fragen muss: Wenn jemand sein Glück findet, ist es dann nicht egal, ob die Quelle des Glücks künstlich ist? In Zeiten von Parship, Elitepartner und Firmen, bei denen man Sexpuppen "individuell konfigurieren" kann, ist der Film absolut aktuell, zumal er nicht als Science fiction konzipiert ist, sondern im Hier und Jetzt spielt. Eine humanoide Roboterin namens Sophia wurde bereits von Angela Merkel zum Gespräch empfangen. Und mittlerweile sind wir bekanntermaßen alle von K.I. und Robotern umringt. Nachricht vor einigen Tagen: "Elon Musk lässt Menschen Gehirnchips einpflanzen."

Das Thema "Künstliche Menschen" beschäftigt die Literatur und das Kino schon seit Langem. Ich nenne nur ein paar Beispiele: Pygmalion, der sich eine Frau erschafft (Antike) – Homunculus in "Faust II" (1832) – die Puppe Olimpia in "Der Sandmann" (1816) – "Abenteuer des Pinocchio" (1881) – "Metropolis" (1927) – "2001 Odyssee im Weltraum" (1968) – "Welt am Draht" (1973) – "Westworld" (1974) – "Blade Runner" (1982) – "Terminator" (1984) – "Matrix" (1999) – "A.I. - Künstliche Intelligenz" (2001) – "I, Robot" (2004) – "Robots" (2005) – "Wall-E" (2008) – "Her" (2013) – "Archive" (2020).

Zurück zum Film "Ich bin dein Mensch", der vorerst am Ende dieser Traditionskette steht. Die schauspielerischen Leistungen sind herausragend! Maren Eggert hat für ihre Darstellung bei der Berlinale 2021 einen Silbernen Bären für das beste Schauspiel bekommen. Sie spielt die Alma mit der coolen Distanz einer emanzipierten Frau, dabei ein wenig spröde und zurückhaltend, aber zugleich erschrocken über ihre Gefühle. Maria Schrader beschreibt ihre Schauspielerin treffend: "Durch sie wird Alma klug und hilflos, witzig und streng, haltlos und diszipliniert, selbstvergessen und fordernd. Ein anstrengender, liebenswerter, liebender, ein wunderschöner und unvollkommener Mensch."

Der Brite Dan Stevens ist in Deutschland aus der Serie "Downton Abbey" bekannt. Seine Darstellung des Tom ist ziemlich genial. Man merkt ihm das Roboterhafte an, mal bei einem leichten Rucken des Kopfes, mal an einem merkwürdig intensiven Blick. Aber er übertreibt nie. Die Crew hatte lange im Ausland nach einem Schauspieler gesucht, der so präzise sein kann wie eine Maschine, der gut aussieht und dennoch Selbstironie hat, der ein so guter Schauspieler ist, dass man nie vergisst, dass Tom ein Roboter ist und man sich dennoch in ihn verliebt.

Auch beim deutschen Filmpreis 2021 gab es mehrere Auszeichnungen: Bester Spielfilm, Beste Regie (Maria Schrader), Bestes Drehbuch (Jan Schomburg, Maria Schrader), Beste weibliche Hauptrolle (Maren Eggert).

Fazit: Diese melancholische Komödie ist ein überaus gelungener Film. Er ist übrigens bis zum 21. Juli 2024 in der ARD-Mediathek verfügbar.

PS: "Hast du ein Bewusstsein, kannst du lieben und hassen, dich freuen und dich ärgern?" Auf diese meine Frage antwortete mir die KI Copilot mit GPT4: "Ich bin ein Computerprogramm und habe kein Bewusstsein. Ich kann nicht lieben oder hassen, mich freuen oder ärgern. Ich bin nur ein Werkzeug, das Ihnen helfen soll, Ihre Fragen zu beantworten und Ihre Probleme zu lösen. Wenn Sie weitere Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“  

Manfred Lauffs / Wertung: * * * * * (5 von 5)



Filmdaten

Ich bin dein Mensch


Deutschland 2021
Regie: Maria Schrader;
Darsteller: Maren Eggert (Alma), Dan Stevens (Tom), Sandra Hüller (Mitarbeiterin), Hans Löw (Julian), Wolfgang Hübsch (Vater Felser), Annika Meier (Cora), Falilou Seck (Dekan Roger), Jürgen Tarrach (Dr. Stuber), Henriette Richter-Röhl (Steffi), Monika Oschek (Frau im Café), Marlene Sophie Haagen (Jule), Inga Busch (Regina), Karolin Oesterling (Chloé), Franz Schmidt (Nico), Victor Pape-Thies (Leon) u.a.;
Drehbuch: Jan Schomburg und Maria Schrader nach einer Kurzgeschichte von Emma Braslavsky; Produzentin: Lisa Blumenberg; Kamera: Benedict Neuenfels; Musik: Tobias Wagner; Schnitt: Hansjörg Weißbrich;

Länge: 108 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 1. Juli 2021



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Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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