05.02.2024

Jaffa - The Orange's Clockwork

Eine mediale Darstellung ist nie eine wahre Abbildung der Wirklichkeit, sondern immer eine vom Urheber konstruierte Annäherung an dieselbe. Diese grundlegende Einsicht des Konstruktivismus nimmt der israelische Filmemacher Eyal Sivan in seinem essayistischen Dokumentarfilm "Jaffa – The Orange's Clockwork" zur Hand, um seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entstandene Bilder der berühmten Jaffa-Orange – Fotografien, Filmaufnahmen oder Gemälde, Musikstücke und Werbespots – zu durchleuchten. Die Leitfrage ist dabei, mit welchen Intentionen und Mitteln verschiedene Interessengruppen die Orange als Symbol ihrer Sache darstellen; relevant und spannend ist die Untersuchung, weil sie aufs Engste mit dem bis heute ausgetragenen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis verknüpft ist.

Ursprünglich angebaut wurde die Jaffa-Orange im Gebiet um die ehemalige Stadt Jaffa, die seit 1950 ein Stadtteil von Tel Aviv ist. Von Anfang an war sie nicht nur ein weltweiter Exportschlager der Region, sondern von hoher Wichtigkeit für das Selbstverständnis der dort lebenden arabischen wie jüdischen Bevölkerung, die ihre Plantagen als kulturelles Aushängeschild verstand. Vor dem Hintergrund der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948, die eine Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung durch zionistische Milizen nach sich zog, avancierte die Jaffa-Orange zu einem wichtigen Symbol für beide Parteien: Die Palästinenser sehen in der Frucht ein Sinnbild der Vertreibung und ihres Anspruchs auf das israelische Gebiet, wohingegen die Israelis die Orange als Zeichen der Erneuerung Israels betrachten.

Die Analyse der in diesem Kontext entstandenen Bilder leistet Eyal Sivan mit Hilfe von israelischen und palästinensischen Intellektuellen sowie ehemaligen Zitrusbauern, denen er die Werke in Interviews vorführt und die er von ihren Erlebnissen berichten lässt. Dass die zahlreichen Fotos, Archivaufnahmen und Werbeplakate politische Ansichten transportieren und dahingehend konzipiert sind, verdeutlicht Sivan nicht nur über die erhellenden Aussagen der Interviewpartner, sondern auch durch eine ständige Bearbeitung der Fundstücke, die mit der Idee von medialer Konstruktion spielt: Was zuerst als Fotografie erscheint, wandelt sich plötzlich in Videomaterial, ein zunächst farbiges Bild verliert diese und wiederholt verweisen Rahmen auf den Kunstcharakter der Aufnahmen.

Vor allem gegen Ende verschwimmt dieser reflektierte Ansatz, weil Eyal Sivan seine eigene Perspektive auf den Palästinakonflikt – er selbst ist ein Kritiker der israelischen Politik – immer deutlicher macht. So zeigt er die Israelis beispielsweise beim Einreißen alter Gebäude der arabischen Bevölkerung und der gewaltsamen, aufgrund von Wasserknappheit erfolgten Entwurzelung der Orangenbäume, die er mit der Vertreibung der Palästinenser in Bezug setzt: Auch "Jaffa – The Orange's Clockwork" ist letztlich ein mediales Konstrukt, das ein politisches Ziel verfolgt. Das macht den Film durchaus kontrovers und streitbar, nimmt ihm seine aktuelle zeitgeschichtliche Brisanz jedoch nicht.



Diese Filmkritik ist zuerst bei fluter.de erschienen.

 

Christian Horn / Wertung: * * * (3 von 5)



Filmdaten

Jaffa - The Orange's Clockwork
(Jaffa - The Orange's Clockwork)

Belgien/Frankreich/Deutschland/Israel 2009
Regie & Drehbuch: Eyal Sivan;
Produzenten: Arik Bernstein, Frank Eskenazi, Osnat Trabelsi; Kamera: Vincent Fooy, Rémi Lainé, Shapir Sarusi, David Zerif; Schnitt: Audrey Maurion;

Länge: 89 Minuten; deutscher Kinostart: 14. Oktober 2010



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"Die erste Frage war immer, ob ich aus dem Osten oder Westen bin. Hätte man auch googeln können."

Regisseur Wolfgang Becker (22. Juni 1954 - 12. Dezember 2024), Regisseur von "Good Bye, Lenin!", über Interviews zum Film

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