10.04.2024
Die mörderische Rache des gehörnten Ehemanns

Ein Glücksfall

Mit "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" (1989), "Irrational Man" (2015) und vor allem "Match Point" (2005) fing Woody Allen Feuer. Der Regisseur hatte einst mit Klamaukfilmen begonnen; später wurden seine Filme ernster. Die Möglichkeit, in seinen Filmen Menschen Morde begehen zu lassen, die dafür bestraft werden oder auch nicht, packte ihn. Der nunmehr 88-jährige Altmeister inszeniert seit "Der Stadtneurotiker" (1977) Filme zum Thema Mann und Frau mit heimlicher Begierde und noch heimlicheren Seitensprüngen. Mittlerweile fasziniert Allen, dass die Menschen töten, um die Begierde zu vertuschen - oder zu ahnden, wie in "Ein Glücksfall". Diesen Film drehte Allen auf Französisch, erstmals, und ohne die Sprache zu beherrschen. "Coup de Chance", so der Originaltitel, steht für Zufall und für Glück. Ein Glück für Alain (Niels Schneider), dass er in Paris per Zufall Fanny (Lou de Laâge) wiedertrifft. Sie kannten sich als Schüler, fanden sich begehrenswert, jetzt gestehen sie es sich. Es kommt, wie es kommen muss, wie es bei Allen stets kommt. Aber Fanny ist verheiratet...

Der gehörnte Ehemann. Dieser ist Jean. Jean wird von Melvil Poupaud gespielt, der einst in Eric Rohmers "Sommer" (1996) der junge Hauptdarsteller war. Gealtert, ist Poupauds Jean, ein wohlhabender Franzose, zunächst irritiert, dass Ehefrau Fanny in letzter Zeit häufiger geistesabwesend, bald darauf sogar gereizt ist. Er wird Verdacht hegen und zu einem Privatdetektiv gehen. Fanny ahnt nicht, dass ihre Affäre mit Alain auffliegt. "Der gehörnte Ehemann" wird Jean mal zu einem Partygast sagen und dabei in Rage geraten. Ihre Ehe fing gut an, es war wohl echte Liebe, zeigt auch der Film. Aber Fanny wird gleich zweimal sagen: "Ich fühle mich wie eine Trophäe!" Die junge Frau sieht Alain als Ausrutscher an, doch die Gefühle wachsen, sie treffen sich immer häufiger, es kommt zum Sex, mehrfach. Dann geschieht etwas, so dass Alain nicht mehr davon reden kann, dass es Glück war, Fanny zufällig zu treffen...

Wie der junge Schriftsteller für immer verschwindet, erahnt der Zuschauer bereits im Voraus durch ein Partygespräch: Gäste erwähnen den Abgang eines Kollegen von Jean, seine Leiche entdeckte man in einem See, lange her. Eigentlich sollte die Leiche nie mehr auftauchen, so Jean zu den von ihm beauftragten Killern, beim Nebenbuhler macht ihr es richtig. Und so kommt es.

Woody Allens neuester romantischer Thriller, stets unterlegt mit "Cantaloupe Island", mal stimmungsvoll, mal nervtötend ist der Dauereinsatz dieses 1964 von Herbie Hancock komponierten Jazz-Stücks, lebt von der Neuentdeckung Lou de Laâge als Fanny, die erfrischend spielt, und vom Kontrast beider Männer: Der eine ist reich und mächtig, heimlich mordlüstern, der andere fröhlich, unverbraucht, arm, ihn umgibt die Bohème, wie er selber sagt. Bis Letzterer nicht mehr da ist und eine Lücke zurücklässt, im Film wie im Leben Fannys, die sein Verabschieden auf Französisch als beleidigend empfindet. Jean gewinnt, und gewinnt sie zurück, ihr Herz gehört ihm. Wäre da nicht Fannys Mutter Camille (Valérie Lemercier), die Alain zunächst als "Loser" im Vergleich mit Jean bezeichnet, aber dann Verdacht schöpft. Sie gerät in Lebensgefahr. Das Ende des Films ist - untypisch für Allen - äußerst spannend inszeniert und erklärt gleichzeitig, dass der Filmtitel etwas anderes meint als Fannys und Alains Wiederbegegnung.

Der Kontrast Arm versus Reich samt Kontrast Fröhlich versus Verbiestert ist althergebracht. Allen erweitert ihn nicht um Novitäten, frischt ihn nur auf. Die Handlung ist meist vorhersehbar, bis auf das Filmende, gegenüber seinem genialen Thriller "Match Point" ist der Film ein Rückschritt Allens in seinem Ausflug in das Genre, dem er nichts in Sachen Einfallsreichtum hinzuzufügen vermag.

Aber der eigentlich den Film qualitativ herunterreißende Punkt ist: Jeans willige Helfer sind zwei Rumänen. Diese gehen für Geld über Leichen. Woody Allen hat es vielleicht nicht beabsichtigt, aber er tappt in die Rassismus-Falle, durch diese Undifferenziertheit beleidigt er das ganze Land Rumänien als schwerstkriminell.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * (2 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Ein Glücksfall (Coup de Chance) 
 
Frankreich/USA/GB 2023
Regie & Drehbuch: Woody Allen;
Darsteller: Lou de Laâge (Fanny), Niels Schneider (Alain), Melvil Poupaud (Jean), Valérie Lemercier (Camille), Anna Laik (Marie), Yannick Choirat (Marc), Guillaume de Tonquédec (Marcel), William Nadylam (Charles), Elsa Zylberstein (Caroline), Arnaud Viard (Pierre) u.a.;
Produzentinnen: Erika Aronson, Letty Aronson; Kamera: Vittorio Storaro; Schnitt: Alisa Lepselter;

Länge: 96 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Weltkino; deutscher Kinostart: 11. April 2024



Artikel empfehlen bei:  Mr. Wong Delicious Facebook  Webnews Linkarena  Hilfe

© filmrezension.de

home
  |  regisseure/schauspieler   |  e-mail
 über uns  |  impressum  


 
 
 
 
 
Homepage des Verleihers
<10.04.2024>


Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

Drucken

Artikel empfehlen
Mr. Wong Delicious Facebook Webnews Linkarena 
Hilfe