24. Februar 2005
Die protestantische Märtyrerin

Sophie Scholl
- Die letzten Tage


Sophie Scholl - Die letzten Tage Einst war sie überzeugtes Mitglied im Bund deutscher Mädel, dann wurde sie eine noch überzeugtere Gegnerin des NS-Regimes. Von der Aufdeckung bis zur Hinrichtung ließ ihr die Gestapo 1943 sechs Tage. Diese letzten Tage im Leben der Widerstandskämpferin Sophie Scholl zeichnen Regisseur Marc Rothemund und Drehbuchautor Fred Breinersdorfer anhand neu zugänglicher Unterlagen akribisch nach. Durch den eng gesteckten Rahmen entfällt die Darstellung eines die religiöse 21-Jährige bekehrenden Damaskus-Erlebnisses. "Sophie Scholl" konzentriert sich dafür auf das Verhör mit einer Debatte über die konträren Standpunkte Gewissen gegen Gesetz. Titeldarstellerin Julia Jentsch brilliert in diesem Schauspieler-Film; zu recht erhielt sie den Silbernen Bären der Berlinale 2005 als Beste Darstellerin.

1982 wurde das Schicksal der Sophie Scholl schon mal als Kinostoff entdeckt, und zwar in gleich zwei verschiedenen Produktionen, aber mit jeweils derselben Darstellerin, Lena Stolze. Percy Adlon drehte damals "Fünf letzte Tage", Michael Verhoeven ein knappes Jahr später "Die Weiße Rose". 22 Jahre danach wirkt eine Neuverfilmung des Themas auf den ersten Blick gewollt. Aber die Neuverfilmung hat ihre Berechtigung. Nicht allein, weil die Herangehensweise an den Stoff bei Marc Rothemund eine andere ist: Verhoevens Drama legte die Priorität auf die chronologische Entwicklung der gesamten Widerstandsgruppe und endet mit ihrer Verhaftung. Bei Percy Adlon steht Sophie Scholls Zellengenossin Else Gebel im Mittelpunkt, aus der Sicht der mit Sophie sympathisierenden Kommunistin werden die letzten Tage Sophies erzählt. Adlons Film endet, als Sophie Scholl die Gefängniszelle verlässt. Was danach in der Verhandlung durch "Blutrichter" Roland Freisler bis hin zur Hinrichtung mit Sophie, ihrem Bruder Hans und Christoph Probst als den ersten als Mitglieder der "Weißen Rose" Überführten geschieht, ist damit auch bei Adlon nicht zu sehen. Adlon und Verhoeven konnten dies noch nicht nacherzählen, ihnen fehlten die dazu notwendigen Protokolle, um historisch korrekt sein zu können. Auf diese greifen Rothemund und sein Drehbuchautor Breinersdorfer nun zurück. Durch den Fall der Mauer sind sie zugänglich geworden: Einst hatte die Münchner Gestapo alle Akten vernichtet, bevor die Amerikaner eintrafen, berichtet Breinersdorfer. Da es sich bei den die "Weiße Rose" betreffenden Vernehmungsprotokollen aber um Material des in Berlin ansässigen "Volksgerichtshofs" des Roland Freisler handelte, gelangten die Unterlagen in den Besitz der DDR und "1990 bei der Sichtung der Stasi-Akten wieder ans Tageslicht".

Sophie Scholl - Die letzten TageMit Marc Rothemunds Film verhält es sich somit wie mit einer wissenschaftlichen Arbeit: Die Faktenlage ist aktualisiert, die neue Verfilmung spiegelt die nun bis ins Detail bekannten Ereignisse der letzten sechs Tage im Leben der Widerstandskämpferin wider. Der Film setzt an bei den Vorbereitungen zur Flugblatt-Aktion in der Münchner Universität, bei der die Geschwister vom regimetreuen Hausmeister erwischt werden, und endet mit der Hinrichtung der Scholls und Christoph Probst.

Was da dazwischen liegt, ist ein Kino-Ereignis. Mag Julia Jentsch gegenüber ihrer Vorgängerin Lena Stolze keine unmittelbare Ähnlichkeit zu Sophie Scholl haben; wie sie die Empfindungen der 21-Jährigen darstellt, machte sie mit Berechtigung zum Shooting Star der Berlinale 2005. Was da zwischen Verhaftung und Hinrichtung auf der Leinwand zu sehen ist, hält sich auf schmalem Grat zwischen Absturz entweder ins Theatralische oder in allzu enervierende historische Detailverliebtheit auf; Julia Jentsch ist es, die die Balance wahrt und damit den Film trägt.

Sophie Scholl - Die letzten TageZunächst ist Sophie Scholl dem Verhör eines Gestapo-Beamten ausgesetzt. Sie weiß ihn so glaubhaft anzulügen, dass er sie beinahe freilässt. Als sie, ihr Bruder und Probst überführt sind, bricht sie dennoch nicht zusammen: Ihre Beweggründe basieren auf dem religiös fundierten Gewissen, nicht auf durch eine Diktatur willkürlich erlassene Gesetze, womit sie Robert Mohr (Alexander Held) an seine väterlichen Gefühle appellieren lässt - betont wird im Film, dass Vater Scholl wie der Gestapo-Mann denselben Vornamen trägt, das Verhör damit als eine Art Vater-Tochter-Disput über die richtige Erziehung gezeichnet wird. Gleichzeitig Sophie bei Mohr die Liebe eines Vaters zu seiner Tochter auslöst: Ein Versuch Mohrs, Sophies Leben zu retten, indem sie andere belasten soll, schlägt fehl, Sophie Scholl wird mutig die Todesstrafe akzeptieren. Der Protagonist Mohr entlarvt sich zwischen den Zeilen selbst als ein in der Rechtsprechung der Diktatur Gefangener, der aber zu Widerstand imstande wäre. Bemerkenswert ist hierbei zu erwähnen, dass der zum Kinostart des Films 81-jährige - und mit Sophie in etwa gleichaltrige - Sohn Mohrs im SPIEGEL-Interview davon spricht, Mohr habe auch Vater Scholl, einen Kommunisten, im Gefolge verhört. Robert Scholl machte dabei keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen das NS-Regime. Aber Robert Mohr ließ ihn laufen. Ohne die Regimekritik ins Protokoll aufgenommen zu haben. Wenn die Geschichte stimmt, so legt Sophie Scholl einmal mehr dar, wie Zivilcourage einer einzelnen Person in aussichtsloser Lage Wirkung bei anderen hinterlässt. Im Jahr 2005, in dem rechts zu sein wieder bis in die Mittelschicht hinein hoffähig zu werden droht, hat die auffrischende Erinnerung an die protestantische Märtyrerin rechtzeitig auf die Kinoleinwand zurückgefunden.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: X-Verleih

 
Filmdaten 
 
Sophie Scholl - Die letzten Tage   
 
Deutschland 2004
Regie: Marc Rothemund ("Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit", "Harte Jungs", "Die Hoffnung stirbt zuletzt");
Darsteller: Julia Jentsch ("Die fetten Jahre sind vorbei", "Schneeland"; Sophie Scholl), Alexander Held ("Der Untergang", "Napola - Elite für den Führer"; Robert Mohr), Fabian Hinrichs ("Schussangst"; Hans Scholl), Johanna Gastdorf ("Das Wunder von Bern"; Else Gebel), André Hennicke ("Der alte Affe Angst", "Toter Mann"; Roland Freisler), Florian Stetter (Christoph Probst), Johannes Suhm (Alexander Schmorell), Maximilian Brückner ("Männer wie wir"; Willi Graf), Jörg Hube (Robert Scholl) u.a.; Drehbuch: Fred Breinersdorfer; Produktion: Christoph Müller, Sven Burgemeister; Co-Produktion: Bettina Reitz, BR; Kamera: Martin Langer; Musik: Reinhold Heil, Johnny Klimek;

Deutschland 2004; Länge: 116 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von X-Verleih; Film-Homepage: http://www.sophiescholl-derfilm.de



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<24.02.2005>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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