16. September 2004
Der anvisierte Untergang des deutschen Films
oder Das falsche Medium für ein wichtiges Thema
Der Untergang
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Regisseur Oliver Hirschbiegel drehte einmal einen Thriller, den Deutschland anschließend für die Auswahl des Academy Award, den Oscar für den Besten fremdsprachigen Film ins Rennen schickte. Mehrere Protagonisten wurden in dem Werk in eine bunkerähnliche Anlage eingeschlossen, aufgeteilt in Gefangene und Wächter. Letztere durften ungestraft tun, wonach ihnen gerade der Sinn war. Ihrem lange legitimierten Sadismus ließen diese an den anderen, den als Gefängnisinsassen Deklarierten freien Lauf. Es machte zuviel Genugtuung, gar latentes erotisches Auskosten der Lage, uneingeschränkte Macht zu haben. Somit versuchten die Unterdrücker dann, ihren Status unter allen Umständen aufrecht zu erhalten bis hin zur Verständnislosigkeit, dass es noch Menschen gibt, die nicht so denken, ergo "Das Experiment" abbrechen wollten. Es klingt nach dem Inhalt von "Der Untergang", doch dieser Film sollte erst drei Jahre später entstehen, drei Jahre nach Hirschbiegels Verfilmung eines tatsächlichen Geschehnisses in der Stanford University 1979, eines wissenschaftlichen Großversuchs, der ergreifender als von den Forschern geplant aufwies, wie Faschismus entsteht.
Mit dem Faschismus im Kleinen, aber in seiner enthemmten Grenzenlosigkeit hatte Regisseur Hirschbiegel also bereits Erfahrungen gesammelt. Damit kann man ihn als durchaus prädestiniert bezeichnen für die Verfilmung des Faschismus im Großen, ganz Großen, wenn sich eine deutsche Filmproduktion erstmals seit Georg Wilhelm Pabst 1956 mit historischem Anspruch an das Tabuthema herantraut, Hitler auf die Leinwand zu bringen, mit Bruno Ganz als Ver-Führer. So dachte der Produzent des Films, Bernd Eichinger, der auch das Drehbuch schrieb, und verpflichtete Hirschbiegel zu einem Unterfangen, das nicht hätte entstehen dürfen, das aber von Deutschland, wie schon "Das Experiment", für den Academy Award vorgeschlagen wurde. Zum Nachteil von Fatih Akin und seinem brillanten Film "Gegen die Wand". Zum eigenen Unverdienst, denn "Der Untergang" hat bei der Oscar-Preisverleihung nichts zu suchen. Es reichte, dass bei der Verleihung 2003 Leni Riefenstahl in der Jahreschronik auftauchte.
Dem TV-Historiker Guido Knopp wird häufig vorgeworfen, mit dem Dritten Reich mache er sich selber reich. Denn die Zeit des Nationalsozialismus, wie kritisch man immer damit umgeht, ist, je nach Medium, sexy, weil Erfolg versprechend. Hohe Einschaltquoten verbürgen dies. Zu den Sendungen von Knopp kann man stehen wie man will. Eichinger und Hirschbiegel setzen dem die Krone auf, wenn sie das Dritte Reich ins Kino bringen und dann Hitler, Goebbels und ihre Spießgesellen als ihre persönliche Lage bejammernde, aber letztlich nicht so schlimm wirkende Menschen in einem Film wiedergeben. In einem Film wiedergeben, in dem Wörter wie "Juden" als Schimpfwörter fallen, der geschichtliche Hintergrund dazu aber fallen gelassen wird. Von Auschwitz, Judentransporten in den Tod keine Silbe. Logisch und konsequent ist dies, weil in Berlin eher wenige Eingeweihte davon gewusst haben mögen und das Drehbuch sich daran hält, den Film stringent im, über dem Führerbunker und in seiner nächsten Umgebung spielen zu lassen. Dann aber kann der Film nicht den Geschichtsunterricht mitbestimmen, wie schon vorgeschlagen wurde mit geradezu garantierter Option auf Umsetzung. Dafür wissen Schüler heute zu wenig, als dass "Der Untergang" als pädagogisches Instrument das schlimmste Ereignis der Menschheit den Schülern vermitteln kann. Da "Der Untergang" den Zirkel um Führer Hitler als zwar morbiden, aber auch - man höre und staune - Menschlichkeit beinhaltenden Mikrokosmos deklariert. Die junge Traudl (Alexandra Maria Lara) bewirbt sich als Sekretärin 1942 in der Wolfsschanze. Als Sekretärin ist sie ungeeignet, beziehungsweise das Charisma jenes potenziell künftigen Chefs ist, wie üblich bei einem Chef, groß, sie hält dem Druck nicht stand, doch der sie prüfende Chef ist milde, milder als manch anderer Chef. Der Chef, jener Milde, ist Adolf Hitler. Er stellt sie ein. Bis zu seinem Tode wird Traudl Junge ihm nicht mehr von der Seite weichen. Sie ist nicht die Einzige, die so handeln wird. April 1945, Hitler-Deutschlands Ende rückt näher, je näher die Rote Armee rückt, und Hitler und seine Schergen mitsamt den Anvertrauten, dem Militärstab und dem Personal motten sich im Bunker unter der Reichskanzlei ein.
Michael Dlugosch
/ Wertung:
0 von 5 Punkten
Filmdaten Der Untergang Deutschland 2004 Regie: Oliver Hirschbiegel ("Das Experiment", "Mein letzter Film"); Darsteller: Bruno Ganz (Adolf Hitler), Alexandra Maria Lara (Traudl Junge), Corinna Harfouch (Magda Goebbels), Ulrich Matthes (Joseph Goebbels), Juliane Köhler (Eva Braun), Heino Ferch (Albert Speer), Christian Berkel (Prof. Schenck), Matthias Habich (Prof. Dr. Werner Haase), Thomas Kretschmann (Hermann Fegelein), Michael Mendl (Helmuth Weidling), André Hennicke (Wilhelm Mohnke), Ulrich Noethen (Heinrich Himmler), Götz Otto (Otto Günsche), Heinrich Schmieder (Rochus Misch), Mathias Gnädinger (Hermann Göring), Birgit Minichmayr (Gerda Christian), Justus von Dohnányi (General Wilhelm Burgdorf), Dieter Mann (Feldmarschall Wilhelm Keitel), Christian Redl (General Alfred Jodl), Thomas Thieme (Martin Bormann), Alexander Held (Walter Hewel), Anna Thalbach (Hanna Reitsch), Dietrich Hollinderbäumer (Ritter Robert von Greim), Devid Striesow (Feldwebel Tornow), Julia Jentsch (Hanna Potrowski), Fabian Busch (Obersturmbannführer Stehr), Jürgen Tonkel (Erich Kempka), Ulrike Krumbiegel (Dorothee Kranz), Karl Kranzkowski (Wilhelm Kranz), Veit Stübner (Obergruppenführer Tellermann), August Schmölzer (Baur) u.a.; Drehbuch: Bernd Eichinger nach dem gleichnamigen Buch von Joachim Fest und dem Buch "Bis zur letzten Stunde" von Hitlers Sekretärin Traudl Junge und Melissa Müller; Produktion: Bernd Eichinger; Kamera: Rainer Klausmann; Musik: Stephan Zacharias Länge: 155 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Constantin Film Verleih GmbH
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