40. Filmfestival
Max Ophüls Preis 2019
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Susanne Heinrich stach unter den Regisseur*innen des Hauptwettbewerbs hervor: Die 1985 in Oschatz bei Leipzig geborene Frau, die bisher als Schriftstellerin auffiel, trägt kurzgeschorene Haare. Ihr Film "Das melancholische Mädchen" stach auch hervor. Jury-Entscheidungen treffen oft Filme, die sich durch ihre Eigenwilligkeit, ihre extreme Machart von den anderen Filmen hervorheben. Hier war es nicht anders: "Das melancholische Mädchen" widerspricht allen Konventionen des Kinos, Heinrich bastelt Szenen aneinander, die knallbunt, unwirklich, an der Grenze zum Kitsch sind, mit absichtlich monotonen Dialogen, die eher Monologe sind, weil die Protagonisten oft aneinander vorbeizureden scheinen.
Der Autor dieser Zeilen überlegte sich nach dem Sehen des Films und lange vor der Preisverleihung: Hat dieser Film im Kino eine Chance? Wäre er nicht besser in einem Museumskino aufgehoben? Äußerst kunstvoll sind die Bilder, die immer für sich stehen, jede Einstellung sehenswert und ausstellungsreif. Jetzt hat der Film durch den MOP-Hauptpreis seinen Kinostart sicher, man darf gespannt sein, wie das Publikum reagieren wird. Denn dieser Preis ist mit 36.000 Euro dotiert, welche sich in drei gleichen Teilen aufteilen auf Regisseurin, Produzenten und noch zu findenden Verleiher, der einen Kinostart des Films innerhalb der nächsten zwölf Monate zu ermöglichen verpflichtet ist. Das Publikum darf dann einen Film mit gewagtem Stil kennenlernen, ein Stil, der zu sehen lohnt.
Tanzen – das taten auch Iris Berben und Edin Hasanovic bei der gemeinsamen Moderation der Preisverleihung des Deutschen Filmpreises Lola 2018. Iris Berben, der man das Alter 68 Jahre überhaupt nicht ansieht, erhielt in Saarbrücken zur Eröffnung der 40. MOP-Ausgabe den Ehrenpreis für Verdienste um den jungen deutschsprachigen Film. Berben, seit 2010 Präsidentin der Deutschen Filmakademie, engagiert sich nicht nur für den Filmnachwuchs, sondern auch für soziale Gerechtigkeit und gegen Antisemitismus. Es war Bundesaußenminister Heiko Maas, der die Laudation auf Berben hielt. Und nicht nur er. Maas teilte sich die Aufgabe mit Überraschungs-Laudator Hasanovic, der bei der MOP-Eröffnung Berben über die Maßen lobte, die Lola-Tanzszene nochmal auf der Leinwand zeigte und aus seiner schnodderigen Natur heraus viel Spaß machte ("Und wenn sie mal einen bosnischen Schauspieler als James-Bond-Darsteller nehmen – dann bist Du mein Bondgirl!"), so viel Spaß, dass die Eröffnungsfeier des MOP-Jahrgangs 2019 zu einer der emotionalsten überhaupt geriet und Iris Berben zu Tränen gerührt war. So viele positive Gefühle schwangen mit, dass bald darauf Philipp Leinemann sich entschuldigte: Sein MOP-Eröffnungsfilm "Das Ende der Wahrheit", ein Polit-Thriller, würde alle runterziehen. Er hatte da durchaus recht, sind in dem Film blutige Szenen zu sehen.
Philipp Leinemanns spannender Film geht äußerst klug mit der sonst in sich gekehrten Welt der Nachrichtendienste um. Höhepunkt ist die schauspielerische Leistung Ronald Zehrfelds, der seinem Martin Behrens eine zerrissene Komponente gibt: Auch dieser BND-Mann ist von vornherein nicht schuldlos und wird es sich zwar am Ende gegenüber seiner vernachlässigten Tochter eingestehen – um dann nochmal Schuld auf sich zu nehmen, indem er eine der beiden kriminellen Personen vor der Enttarnung bewahrt. Eine ausführliche Kritik siehe hier.
Viele Szenen zeigen ihn lange beim Laufen, oft nachts, und er hechelt. Sein Keuchen steht nicht für fehlende Fitness, die hat er. Es steht mit dem Dauerlaufen für die Flucht vor sich selbst. Ein handwerklich starkes Langfilmdebüt von Regisseur Hannes Baumgartner nach einer wahren Geschichte, die bei der Preisverleihung leider leer ausging.
Es war ein Film, der zwar in einen Wettbewerb gehört, aber dem mindestens die Magie fehlt. Er hätte mehr darauf abzielen sollen, den Zuschauer im Unklaren darüber zu belassen, ob an Mias Kräften etwas dran ist, und wiederholt sich ständig, statt sich stetig neu zu erfinden. Riemanns "Electric Girl" fehlen wie Mia die Superkräfte.
Kurios ist die Kameraführung: Als Kameraleute werden zu recht die beiden Darsteller genannt. Zwei Helmkameras und eine Standkamera wechseln sich je nach Situation ab. Der Vater will mit diesen eine private Dokumentation über die Wiederkehr in das Leben seines Nachwuchses drehen, was der Sohn des Öfteren kritisiert, so, wie dieser pubertätsbedingt auch sonst stetig rebelliert. Über das Ende sei so viel verraten: Es wird klären, ob der Sohn den Begleiter als Vater akzeptieren wird. In absoluter Not.
Der in schwarz-weiß gedrehte Film ist eine herrliche Aneinanderreihung von Katastrophen mit gutem Schluss, alles zur Freude des Zuschauers. Die in Saarbrücken anwesende Filmcrew erzählte, ein Zuschauer sagte ihnen, das schwarz-weiße Bild habe ihm nichts ausgemacht, denn er sei "von der Story gepackt" gewesen. Das ist ein großer Vorteil des Filmfestivals MOP: Hier kann der Zuschauer mit dem Filmteam auf Du und Du sprechen. Es wird in Saarbrücken rege genutzt.
Großartig wird Tikhonovas Film zur Screwball-Komödie mit immer neuen Wendungen, der locker-leichte Erzählfluss hat zwar einen genauso locker-leichten filmischen Anspruch, aber das wird durch den Humor wettgemacht. "Kaviar" holte den Publikumspreis. Eine Zeitlang roch es danach, dass dieser Preis womöglich an den Konkurrenten "Stern" gehen könnte: Nach den Aufführungen von "Stern" des deutschen Regisseurs Anatol Schuster ("Luft") standen einige Zuschauer an den Publikumspreis-Boxen und gaben für den Film ihre Stimme ab. "Stern" hätte wenigstens diesen Preis verdient gehabt, er ging leer aus. Ein Film, der um seine Protagonistin herum geschrieben wurde, Ahuva Sommerfeld, die mit der Rolle der 90-jährigen Berlinerin Frau Stern im Prinzip sich selber darstellt. Regisseur und Drehbuchautor Schuster begegnete Sommerfeld und hatte seine Filmidee. Er sagt: "Die Gunst der Stunde gebot, mich für sie als Protagonistin sofort zu entscheiden und mit der Drehbucharbeit unverzüglich anzufangen. Mit großer Hilfe von Freunden konnten wir die Dreharbeiten aus dem Stand heraus beginnen, ohne jegliche Förderung und ohne Beteiligung eines Senders. Die imponierende Energie unserer Protagonistin, ihre unerschrockene Art und der trockene Humor trieben uns immer wieder an und halfen, die Darsteller und Mitarbeiter, Studios und sogar meine 15 Monate alte Tochter zum Mitmachen zu motivieren."
Zum 40. Jubiläum wurde der zweite MOP-Siegerfilm von 1981 wiederaufgeführt: "Taxi zum Klo". Der 2002 an Krebs gestorbene Frank Ripploh drehte den Film mit sich selbst in der Hauptrolle, besser gesagt: Er spielte sich selbst, den schwulen Schullehrer, immer auf der Suche nach Sex, nach Liebe. "Taxi zum Klo" hat nichts von seiner Wirkung verloren, ist modern geblieben, hält mit Gegenwartsfilmen mit. Der Film ist anfangs äußerst sehenswert inszeniert, später macht Ripploh den Fehler, szenische Ereignisse aneinander zu kleben, die oft nicht zusammenpassen. Aber der Film war doch ein würdiger Gewinner seinerzeit. Trotz vielen Penissen und Sperma in Großaufnahme. Wie war es, Regisseur Frank Ripploh in Saarbrücken zu haben? MOP-Gründer Albrecht Stuby erinnert an die damalige Filmpräsentation und ihre Umstände. Das Hotel, in dem der Regisseur untergebracht war, beklagte sich: "Ripploh holte sich immer Männer auf sein Zimmer". Ripploh war vor dem Festival als unbeherrscht verschrien, das aber stellte sich laut Stuby als falsch heraus. Und turbulent ging es weiter: Der Kulturdezernent der Stadt Saarbrücken nahm seine fünfjährige Tochter mit ins Kino im Rahmen der Preisverleihung. Stuby erklärte dem Mann zuvor, der Film wäre nichts fürs Kind. Der Kulturdezernent bestand aber drauf, die Tochter im Kino dabeizuhaben. Später schimpfte der Herr lautstark, so Stuby. Schwelgen in Erinnerungen. Das tat auch Til Schweiger als Ehrengast der 40. MOP-Ausgabe. Bei der Preisverleihung und zuvor bei einem Werkstattgespräch erinnerte sich Deutschlands wohl kommerziell erfolgreichster Schauspieler und Regisseur an 1993, als er für den Film "Ebbies Bluff" den Nachwuchsdarsteller-Preis des MOP erhielt. "Es war der erste Preis, den ich bekommen habe", so der 55-Jährige. Erst dadurch, meinte er, wurde man auf ihn aufmerksam, nicht durch den von Kritikern verrissenen "Manta, Manta", sondern die Saarbrücker Auszeichnung führte dazu, dass Agenturen anriefen: Sie "war der Startschuss für meine Karriere". Beim Werkstattgespräch, bei dem – für ein Filmfestival untypisch – viele Kinder anwesend waren, plauderte Til Schweiger aus dem Nähkästchen: Mit Regisseur Quentin Tarantino würde er nach "Inglourious Basterds" nicht gerade gerne nochmal zusammenarbeiten. Und er gab wertvolle Hinweise für den Filmnachwuchs. "Tipp Nr. 1: Schreibe deine eigenen Geschichten". Und: "Filmemachen ist gar nicht so schwer, wenn man ein gutes Drehbuch hat. Ein gutes Drehbuch ist nicht messbar, keine Mathematik". Schweiger selbst, der unter anderen "Honig im Kopf" gedreht hat, erzählte, dass er aufs Casting verzichtet. Denn er sagt zu den von ihm ausgewählten Schauspielern: "Ihr seid da, weil ihr spielen könnt". Schweiger hat auch Ideen, wie man Kleinkunstfilmen helfen könne: Man solle "weniger Filme produzieren, die Filmförderung ändern" und kleine Filmverleihe unterstützen: indem man "denen wirklich richtig Geld gibt, um für den Film zu werben". Er sprach auch über die Filmkritik. Bekanntlich lässt er Filmjournalisten nicht mehr seine Filme in Pressevorführungen vorweg sehen, denn mit denen steht er auf Kriegsfuß. Schweiger erzählt von früher: Er las die Kritiken der Frankfurter Rundschau. Gerade in die Filme mit Verriss in dieser Zeitung ging er rein, denn diese gefielen ihm, er wusste nach Verrissen, dass diese Filme seinen Geschmack treffen werden, es war immer "zu 100 Prozent richtig". Aber kleinen Filmen, für die der Mainstream-Regisseur Schweiger auch ein Herz hat, "helfen gute Kritiken deutlich mehr". Bei der Preisverleihung war Schweiger dann in seiner schnodderigen Art ehrlich, als er auf seine MOP-Auszeichnung 1993 zu sprechen kam: "Damals war der Preis noch potthässlich, es war so ein schwarzer Sockel mit so einer Neonlampe drauf, zwei Herzen mit einer Neonlampe." Und fuhr fort: "Am nächsten Morgen habe ich das Ding auch gleich zerschlagen." Aber er wies auch nochmals darauf hin, dass der Preis seine Karriere ermöglichte. Dies gilt nun genauso für die Gewinner des Jahrgangs 2019: Sie haben ihr Können gezeigt und können nun in Sachen Karriere in Schweigers Fußstapfen treten.
Quelle der Fotos siehe jedes einzelne Foto alle Preisträger 2019:
Max Ophüls Preis: Das melancholische Mädchen Regie: Susanne Heinrich Filmpreis des Saarländischen Ministerpräsidenten für die Beste Regie: Cronofobia Regie: Francesco Rizzi Bester Schauspielnachwuchs: Simon Frühwirth für Nevrland (Regie: Gregor Schmidinger) Bester Schauspielnachwuchs: Joy Alphonsus für Joy (Regie: Sudabeh Mortezai) Fritz-Raff-Drehbuchpreis: Cronofobia Regie: Francesco Rizzi Drehbuch: Daniela Gambaro, Francesco Rizzi Publikumspreis Spielfilm: Kaviar Regie: Elena Tikhonova Preis der Jugendjury: Nevrland Regie: Gregor Schmidinger Preis für den gesellschaftlich relevanten Film: Joy Regie: Sudabeh Mortezai Preis der Ökumenischen Jury: Das melancholische Mädchen Regie: Susanne Heinrich Bester Kurzfilm: Boomerang Regie: Kurdwin Ayub Publikumspreis Kurzfilm: Stilles Land gutes Land Regie: Johannes Bachmann Preis für den Besten Mittellangen Film: Label Me Regie: Kai Kreuser Publikumspreis Mittellanger Film: Die Schwingen des Geistes Regie: Albert Meisl Dokumentarfilmpreis: Hi, A.I. Regie: Isa Willinger Publikumspreis Dokumentarfilm: Congo Calling Regie: Stephan Hilpert Beste Filmmusik Dokumentarfilm: Let the Bell Ring Regie: Christin Freitag Musik: Jonathan Ritzel
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