23.09.2023

Filmischer Trip - ein Meisterwerk

Trainspotting
- Neue Helden

"Trainspotting - Neue Helden" war, neben wenigen anderen, der Kultfilm der 1990er-Jahre, der Film über Sucht und ihre Folgen. Gleichzeitig thematisierte er das Ende der Jugend und die Bedürfnisse der jungen Erwachsenen an der Schwelle zum neuen, ernsten Lebensabschnitt, dazu ein perfekter, weil trancehafter Soundtrack von Iggy Pop über Underworld, Lou Reed und Blur bis hin zu Bach.
Fünf Freunde leben in einem Vorort des schottischen Edinburgh im Rausch. Drei von ihnen sind bereits am Filmbeginn heroinsüchtig, der Vierte nicht, der dafür psychopathische Züge aufweist, als ob er was genommen hätte, der Fünfte wird süchtig werden und an AIDS sterben. "Trainspotting"-Hauptfigur Mark Renton (Ewan McGregor) möchte fort von der Droge, er wird immer wieder durch die Anziehungskraft der Sucht zurückkehren und immer wieder neue Anläufe für ein cleanes Leben angehen. Wenn er es selber nicht versucht, sperren ihn die Eltern in sein Kinderzimmer ein: Was dieser kalte Entzug bedeutet, zeigt der Film konsequent.
Auf den Film muss sich das Publikum einlassen, was in den Anfangsminuten des Films schwer fällt: Man glaubt, der Film glorifiziere Heroin. Das tut er mitnichten.

"Sag Ja zum Leben. Sag Ja zum Job. Sag Ja zur Karriere. Sag Ja zu einem pervers großen Fernseher. Sag Ja zu Waschmaschinen, Autos, CD-Playern. Und elektrischen Dosenöffnern. Sag Ja zur Gesundheit, niedrigem Cholesterinspiegel und Zahnzusatzversicherung. Sag Ja zur Bausparkasse. Sag Ja zur ersten Eigentumswohnung. Sag Ja zu den richtigen Freunden. ... Sag Ja zur Zukunft. Sag Ja zum Leben. Aber warum sollte ich das machen. Ich hab' zum Jasagen Nein gesagt. Ich hab' zu was anderem Ja gesagt. Und der Grund dafür? Es gibt keinen Grund dafür. Wer braucht Gründe, wenn er Heroin hat."

Dies sagt Hauptfigur Mark als Off-Erzähler, und er sagt es wie im Rausch, stakkatohaft. Am Schluss des Films wird er diesen Monolog nochmal wiederholen. Aus Gründen. Er sagt auch:

"Nimm den besten Orgasmus, den du je gehabt hast, multiplizier ihn mal tausend, und du bist noch nicht mal nah dran."

Ja, er meint das Heroin. Vom dem er loskommen will. Aber nicht loskommt. Noch ein letzter Schuss. Und bald darauf ein weiterer. Was Heroin im Körper auslöst, kann der Film nicht vermitteln. Aber er ist dicht dran. Wegen der in bestimmten Sequenzen trancehaften Inszenierung von Regisseur Danny Boyle samt adäquatem Soundtrack. Er drehte dazu eine berühmt gewordene Szene, in der Mark kleine Opium-Döschen "im ekligsten Klo Schottlands" verliert. Er braucht sie. Heroin ist ein Opium-Derivat. Er findet die Päckchen im Durchfall nicht, also taucht er ins Klo. Er taucht immer tiefer, er schwimmt im Meer, taucht, sucht sie, findet sie am Meeresboden. Aus dem Klo entsteigt er glücklich, denn er hat das Opium wieder. Der nächste Heroin-Schuss ist ermöglicht.

Noch wirkt der Film hier so, als ob Heroin gut wäre. Außer, dass man für es ins Klo eintaucht. Aber der Film zeigt bald darauf eine drastische Szene: Eine junge Frau, die von Marks Kumpel Sick Boy (Jonny Lee Miller) einen Schuss gesetzt bekommt, hat ein süßes Baby. Bald darauf ist das Kind tot, man sieht die Leiche, alle sind entsetzt, das Baby starb an Vernachlässigung (oder mit dem Teufelszeug versetzter Muttermilch?). Jetzt weiß das Kinopublikum: Heroin sorgt für Tote. Gleichzeitig ist diese Szene der einzige Schwachpunkt des Films: Denn dass das Baby tot ist, hat keine Konsequenzen polizeilicher oder juristischer Ermittlungen.

Justiz kommt anderweitig doch ins Spiel, denn der Film spricht auch Beschaffungskriminalität an. Heroin ist teuer. Daher der Monolog über Statussymbole am Anfang und am Schluss des Films. Die man sich nicht leisten kann, wenn Heroin das Leben bestimmt. Die großartige, surreale Klo-Szene ist nur eine von vielen denkwürdigen Szenen. Der Film ist auch perfektes Erzählkino. Beispiel: Wenn die Impotenz mal nachlässt nach Weglassen der Droge, kommt es für Mark zum Sex. Am nächsten Morgen stellt er fest: Diane sieht älter aus als sie ist, sie ist ein Schulmädchen. Um clean zu sein, flieht Mark nach London, um dort zu arbeiten. Es geht nicht lange gut, er wird am Schluss des Films erneut flüchten. Diesmal, ohne den Freunden zu sagen, wohin die Reise geht. Da erklingt der Monolog-Abschnitt "Sag Ja zu den richtigen Freunden" im Ohr. Denn diese verführen ihn, darunter Swanney (Peter Mullan), genannt "Mutter Oberin". Er besorgt den Stoff. Er wird auch cool Mark nach einer leichten Überdosis ins Taxi zum Krankenhaus legen. Zuvor schleifte er ihn auf dem Boden dahin. Zur Klinik fährt er nicht mit. So viel Sorge gibt es nicht.

"Trainspotting" ist großes Kino, sehr sehenswert in Szene gesetzt, von Start weg ist der Filmzuschauer involviert, obwohl die Handlung in medias res beginnt. Man weiß sogleich, was Heroin bedeutet, man fühlt mit seinen Charakteren mit. Auch mit Kumpel Begbie (Robert Carlyle), der nichts mit Heroin zu tun haben will, aber wirkt, als hätte er es genommen, denn er ist Psychopath im Umgang mit allen anderen. Gute Freunde stehen (lange) zusammen. Sag Ja zu den richtigen Freunden.

"Trainspotting" nach dem drei Jahre vor dem Film herausgekommenen gleichnamigen Roman von Irvine Welsh (der im Film eine kleine Rolle hat) bedeutete den Beginn der Weltkarriere für Ewan McGregor. Aber nicht nur für ihn. Ewan Bremner, Robert Carlyle und Jonny Lee Miller waren danach immer wieder in Filmen zu sehen. Danny Boyle seinerseits wurde zum Regie-Star. Fast hätte er den James-Bond-Film "Keine Zeit zu sterben" gedreht. Dazu passt der Monolog Sick Boys über Sean Connery und dessen 007-Auftritte, ein Monolog wärend des Spritzen-Setzens.

20 Jahre später, 2016, drehte Danny Boyle eine Fortsetzung, "T2 Trainspotting". Das Publikum sollte sehen, was aus den Helden der Vergangenheit wurde. Es empfiehlt sich, kurz vor "T2 Trainspotting" nochmal den ersten Teil gesehen zu haben.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * * * (5 von 5)



Filmdaten

Trainspotting - Neue Helden
(Trainspotting)

GB 1996
Regie: Danny Boyle;
Darsteller: Ewan McGregor (Mark Renton), Ewen Bremner (Spud), Jonny Lee Miller (Sick Boy), Kevin McKidd (Tommy), Robert Carlyle (Begbie), Kelly Macdonald (Diane), Peter Mullan (Swanney alias "Mutter Oberin"), James Cosmo (Mr. Renton), Eileen Nicholas (Mrs. Renton), Susan Vidler (Allison), Pauline Lynch (Lizzy), Shirley Henderson (Gail), Stuart McQuarrie (Gavin / US-Tourist), Irvine Welsh (Mikey Forrester) u.a.;
Drehbuch: John Hodge nach dem gleichnamigen Roman von Irvine Welsh (1993); Produzent: Andrew Macdonald; Kamera: Brian Tufano; Schnitt: Masahiro Hirakubo;

Länge: 93 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; deutscher Kinostart: 15. August 1996



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Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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