24.07.2003

Die Blume des Bösen


Die Blume des Bösen "Die Zeit existiert nicht. Sie ist eine immerwährende Gegenwart." Wenn diese Maxime auch für "Die Blume des Bösen gilt", dann ist es nur konsequent, dass der Film anscheinend mit dem Ende beginnt - und das ist der Tod. In seinem 51. Film gibt Claude Chabrol dem Publikum für wenige Tage Einblick in das Leben der bürgerlichen Familie Charpin-Vasseur. Drei Generationen bewohnen das schöne Anwesen im Bordeaux: die alte Tante Line (Suzanne Flon), das Ehepaar Anne (Nathalie Baye) und Gérard (Bernard de Coq), sowie Annes Tochter Michèle (Mélanie Doutey) und Gérards Sohn François (Benoît Magimel). Der Sohn kehrt gerade von einem längeren Amerikaaufenthalt zurück. Seine Stiefmutter, die für das Bürgermeisteramt kandidiert, steckt mitten im Wahlkampf, ihr Mann betreibt eine große florierende Apotheke, ihre Tochter ist eine strebsame Psychologiestudentin und Tante Line ist die gute Seele der Familie.

Doch dank der Anfangsszene weiß der Zuschauer, dass das Haus schon mindestens eine blutige Leiche gesehen hat, dass diese gepflegten, attraktiven und kultivierten Menschen hinter ihrer Fassade noch etwas verstecken. Und genau diese Ahnung bestätigt der Verlauf der Handlung Stück um Stück, indem immer noch ein Detail, noch eine Verstrickung, noch ein Abgrund aufgedeckt wird. Kaum ein Satz wird in dem Film gesprochen, der nicht mindestens noch eine zweite Bedeutung hat, kaum eine Geste, die eine Freundlichkeit, aber auch genauso gut eine Gemeinheit sein könnte.

Die Blume des Bösen Die Komplexität der Verwicklungen verlangt dem Zuschauer einiges ab, die Bedeutungsebenen werden zum Labyrinth. Zum Beispiel Michèle und François: In ihrer Kindheit waren sie Cousin und Cousine, durch den Tod jeweils eines Elternteils und die anschließende Hochzeit der Verwitweten (die zuvor schon verschwägert waren) werden die beiden zu Stiefgeschwistern und schließlich, so hat zumindest François' Mutter es angedeutet, sind sie gar nicht verwandt oder Bruder und Schwester. Hier wird keine Möglichkeit der Verfilzung ausgelassen, Verwirrung ist vorprogrammiert. Dass den Filmemachern dieses Problem bewusst ist, lässt sich daran ablesen, dass zum Presseheft ein Stammbaum der Familie Charpin-Vasseur gereicht wurde...

Mit lustvoller Boshaftigkeit führt Chabrol diese Sippe vor, die seit Generationen an Macht und Besitz hängt, wie der Trinker am Wein. Macht und Besitz, das ist die Blume des Bösen! Die Familie muss zusammengehalten werden und die Fassade der Familie muss aufrechterhalten bleiben, das sind die zwei Grundregeln, die für den Erhalt der bösen Blume unabdingbar sind. Erstere verursacht die komplizierten Familienverhältnisse: Quer durch alle Verwandtschaftsgrade wird geliebt und geheiratet, bis hin zum Inzest. Letztere führt dazu, dass die Familienmitglieder ständig den Schein wahren müssen und ihnen damit viele normale Handlungen verwehrt bleiben. Anne darf ihren Mann dafür hassen, dass er notorisch fremd geht, aber sie darf es nicht offen aussprechen und sich erst recht nicht von ihm trennen. Gérard kann den Stimmzettel für seine Frau in der Wahlkabine zerreißen, aber vor der Presse muss er lächelnd neben ihr stehen.

Die Blume des Bösen Im Kontrast zu dem Orkan, der im Inneren der Figuren tobt - alle Charaktere sind übrigens hervorragend besetzt und die schauspielerischen Leistungen lassen keine Wünsche offen - steht die ruhige, unspektakuläre Erzählweise Chabrols. Serras Kamera blickt ruhig und unaufdringlich auf die Szenen und schwelgt geradezu in den luxuriösen Interieurs. Diese Kontrastierung verstärkt den Eindruck des Abgründigen, korrespondiert mit dem Kontrast zwischen Schein und Sein.

Doch bei aller Freude, mit der Chabrol (auch) in diesem Film das französische Bürgertum vorführt, kritisiert und kommentiert, bleibt am Ende ein schaler Nachgeschmack, von dem schwer zu sagen ist, woher er rührt. Vielleicht bleibt er zurück, weil die Protagonisten durch ihre Zwanghaftigkeit und Ausweglosigkeit entschuldigt werden, vielleicht aber auch deshalb, weil es ihnen am Ende, trotz allem, immer noch viel zu gut geht.  

Frank Zimmermann / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Concorde Filmverleih

 
Filmdaten 
 
Die Blume des Bösen (La fleur du mal)  
 
Frankreich 2003
Regie: Claude Chabrol;
Darsteller: Nathalie Baye ("Der Mann, der die Frauen liebte", "Ferien für eine Woche", "Eine pornografische Beziehung", zuletzt: "Catch me if you can"; Anne), Benoît Magimel ("Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss", "Hass", "Die Klavierspielerin"; François), Suzanne Flon (Tante Line), Bernard Le Coq (Gérard), Mélanie Doutey (Michèle), Thomas Chabrol (Matthieu), Henri Attal (Schwiegervater von Fanny), Kevin Ahyi (der erste Junge), Jérôme Bertin (der Freiwillige), Françoise Bertin (Thérèse), Caroline Baehr (Fanny), Didier Bénureau (Brissot), Yvon Crenn (Yves Pouët), Jean-Marc Druet (der Laborant), Michel Herbault (der Bürgermeister), Edmond Kastelnik (der erste Wahlhelfer), Marius de Laage (der zweite Junge), Isabelle Mamere (der Reporter), Juliette Meyniac (Hélène), François Maistre (Jules), Jean-Pierre Marin (der zweite Wahlhelfer), Michèle Dascain (Marthe), Dominique Pivain (Dominique), Léa Pellepaut (die Apothekerin), Valérie Rojan (die Sekretärin von Gérard) u.a.; Drehbuch: Caroline Eliacheff, Louise L. Lambrichs, Claude Chabrol; Produktion: Nathalie Kreuther; Ausführende Produktion: Yvon Crenn; Kamera: Eduardo Serra; Musik: Matthieu Chabrol; Schnitt: Monique Fardoulis; Länge: 104 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 24. Juli 2003



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Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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