03.03.2020 (geschrieben 1997)

Im zähflüssigen Verkehr steckengeblieben

Crash

Der Filmproduzent James Ballard und seine Frau Catherine leben ein abgestumpftes 1990er-Trauerleben. Außer gierigem, hemmungslosem Sex bewegt sie anscheinend gar nichts mehr. James strengt sich am Set mit einer Kamerafrau an und Catherine vergnügt sich zunächst an einer Cessna und danach am dazugehörenden Piloten. Auf dem Balkon ihrer kargen Appartementwohnung erregen sich die beiden durch das Erzählen ihrer Abenteuer, während unten der ewig fließende Autoverkehr die Monotonie ihrer Existenz widerspiegeln darf. Doch ein unerwarteter "Crash" gibt ihrem Dasein neue Akzente. James rast mit seinem Wagen in ein anderes Fahrzeug, dessen Fahrer den Unfall nicht überlebt.

Im Krankenhaus lernt er die ebenfalls verletzte Frau des Getöteten und ihren Freund Vaughn kennen. Vaughn ist der Guru einer neuen Perversion, er ist fasziniert von der rasanten Symbiose aus Unfall und Sex. Um ihn herum scharen sich die Protagonisten in religiöser Manier, um den Rausch der Geschwindigkeit und die Exzesse sexueller Ausschweifung zu zelebrieren. Fortan berauschen sich alle in ständig wechselnden Konstellationen am Auto, seiner tödlichen Geschwindigkeit, ihren Unfällen und der sexuellen Erregung, die damit für sie verbunden ist. Ihre ekligen Narben und körperlichen Deformierungen, die durch Unfälle entstanden sind, bringen sie ebenso sehr auf Touren wie halsbrecherische Autofahrten. Und doch streben alle todessehnsüchtig nach dem ultimativen Crash, der sie aus diesem sinnentleerten Hochgeschwindigkeitsleben herauskatapultiert...

David Cronenberg zieht seinem Film verdammt dicke Slicks drauf und bleibt doch mit platten Reifen im zähflüssigen Verkehr stecken. Dass seinem durchaus interessanten Ansatz schon recht bald die Körpermaschinensäfte ausgehen, ist ungefähr so enervierend wie ein schleichender Rentner mit Pepitahut im Straßenverkehr.

"Crash" beginnt sozusagen mit einem Kickstart mit quietschenden Reifen, in dem er zeitgerechte Auswüchse wie manische Autobesessenheit, rastlose Sinnsuche und kalt-maschinellen Sex im anschnallpflichtigen Tempo präsentiert. Der (Brems-)Streifen hat durchaus seine Momente und Bilder, die eine längere Halbwertszeit haben dürften als manche Karosserie. Die geschwindigkeitsberauschten und latent todessehnsüchtigen Protagonisten und ihr nahezu wahllos willkürlicher (Geschlechts-)Verkehr sind so beunruhigend wie das Versagen der Bremsen bei Tempo 200.

Doch leider verpasst Cronenberg, laut Andreas Kilb "das kanadische Alter Ego David Lynchs", die entscheidende Ausfahrt und endet auf dem wahren verlorenen Highway. Irgendwann hat auch der stupideste Fußgänger realisiert, dass alle Charaktere ein durch und durch aggressives Verkehrsverhalten haben und wahrlich abgefahren sind.

"Die Umformung des menschlichen Körpers durch die Technologie" ist nach der ersten Runde ersichtlich, und irgendwann weerden die ständigen Autorasereien und ewigen Rammeleien so unterhaltsam wie drei Stunden im Stau. Und so dreht der Film wie Schumi stets dieselben Runden, um endlich mit letztem Saft und platten Reifen seinem vorhersehbaren Ende entgegen zu steuern. Bleibt die Frage, warum niemand Cronenberg vorher in die Boxen gewunken hat, war doch sein Modell nicht von vorne herein für den für den Ausfall bestimmt.

Weitere Kritik zum Film von Ali Selçuk Akinci  

Helge Judenau / Wertung: * * * (3 von 5)



Filmdaten

Crash
(Crash)

USA / Kanada 1996
Regie & Produktion: David Cronenberg;
Drehbuch: David Cronenberg nach einem Roman von J. G. Ballard; Kamera: Peter Suschitzky; Musik: Howard Shore;
Darsteller: Holly Hunter, James Spader, Deborah Unger, Elias Koteas, Rosanna Arquette u.a.

Länge: 98 Minuten; FSK: nicht unter 18 Jahren.

Auszeichnungen:
Internationale Filmfestspiele Cannes 1996 (Spezialpreis der Jury, nominiert für die Goldene Palme), Genie Award Ontario/Kanada 1996 (Peter Suschitzky für die Beste Kamera, David Cronenberg als Bester Regisseur und für das Beste adaptierte Drehbuch, Ronald Sanders für den Besten Schnitt und außerdem für den Besten Tonschnitt).



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"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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