28. Juli 2005
Das Ende von Spaß und Gesellschaft

Allein (2005)


FilmszeneZum Sex begleiten wir sie nicht. Sie lässt uns nicht an ihren Empfindungen teilhaben, an ihrem Gefühl beim Sex nicht und nicht an jedwedem anderen Gefühl. Während wir, die Zuschauer, auf die Suche nach den Empfindungen der Studentin Maria gehen, merken wir: Sie kämpft ihrerseits um ihre Gefühle. Um nicht endgültig verloren zu sein, gefesselt im Rausch, und - allein. Lavinia Wilson brilliert als Frau, über die der Zwang zur Selbstzerstörung längst gesiegt hat.

Wieder ist in einem deutschen Film eine Uni-Bibliothek der Schauplatz, an dem ein einsames Herz seinem Hang zur Perversion nachgeht: In Oskar Roehlers "Agnes und seine Brüder" galt es für Moritz Bleibtreus Rollenfigur eines Mannes, privat Single, beruflich Bibliothekar, in der symbolisierten Welt der staubtrockenen Lehre auf Frauenfang zu gehen; diese heimlich beobachtend, diese ohne deren Wissen für seine eher Süchte denn Sehnsüchte gebrauchend. In Thomas Durchschlags Langfilm-Regiedebüt "Allein" ist es eine Frau, die in einer Universitätsbibliothek arbeitet, neben ihrem Studium. Das Bild der Gesellschaftsferne, das den Buchregalen unvermittelt entspringen muss, hat in "Allein" eine eher eskapistische Funktion für Maria. Hier können ihr Emotionen nicht gefährlich werden. Sie sucht den sozialen Rückzug.

FilmszenePillen, Nikotin, Alkohol - und Männer. Diese konsumiert sie. Braucht sie, verbraucht sie. Gerade die Männer müssen sein. Aber auch nicht zum Glücksempfinden. Nicht zur Befriedigung an sich. Rein als Entschärfung des Triebstaus. Eines Triebstaus auf weiterer Sucht-Basis. In Wolfgang (Richy Müller), deutlich älter als sie, hat sie da den Richtigen gefunden. Treffen nach Termin. Keine Gefühle. Nur Rausch. Nur Exzess.

Von ihrer Warte her, in festgefahrener Lage, macht Maria einen Fehler: Ein freundlicher Student beginnt sich für sie zu interessieren. Jan (Maximilian Brückner) ahnt nicht, worauf er sich einlässt, wenn er Marias Freundschaft sucht. Maria ahnt die Konsequenzen ebensowenig. So steigt auch sie in die Freundschaft ein. Doch ihr Suchtverhalten dominiert. Aus dem würde sie gern aussteigen, erkennt sie, vielleicht erstmals seit langem. Es geht nicht.

FilmszeneMit einer Glasscherbe wird Maria sich einmal blutig schneiden. Dies ist wohl die einzige Assoziation, die ihr in den Sinn kommt, wenn sie, wie es des öfteren im Film geschieht, in einen Spiegel sieht: die Option, diesen in Scherben zu zerschlagen. Ihre Depressivität verhindert derweil vor dem Spiegel den uneingeschränkten Blick auf sie selbst. Thomas Durchschlags Drama ist nicht allein das Porträt eines Menschen, dem die Borderline-Erkrankung ein normales Leben versagt - es ist genauso ein Spiegelbild für die, denen die Spaßgesellschaft den Lebensstil aufoktroyierte, mit Beziehungen als weiterer konsumierbarer Lifestyle-Pflicht ohne Verpflichtungen. Die Spaßgesellschaft ist vorbei, Spaß und Gesellschaft haben sich überlebt, geblieben ist die aus der Sucht resultierende Katerstimmung vom dereinst durchlebten Rausch.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * * (4 von 5) 
  

Quelle der Fotos: Filmwelt Verleih

 
Filmdaten 
 
Allein (Deutschland 2004)

Regie: Thomas Durchschlag;
Darsteller: Lavinia Wilson (Maria), Maximilian Brückner ("Männer wie wir", "Sophie Scholl - Die letzten Tage"; Jan), Richy Müller (Wolfgang), Victoria Mayer ("Das Lächeln der Tiefseefische"; Sarah) u.a.; Drehbuch: Thomas Durchschlag; Produktion: Lichtblick Film; Kamera: Michael Wiesweg; Musik: Maciej Sledziecki; Länge: 91 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Zorro Film / Filmwelt;

Wettbewerbsfilm des Filmfestivals Max-Ophüls-Preis 2005: Lavinia Wilson erhielt die Auszeichnung als Beste Nachwuchsdarstellerin.



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<28. 7. 2005>


Zitat

"Sie ist unermüdlich in ihrer Suche nach Perfektion. Sie arbeitet so lange an einer Figur, bis sie sie richtig erfasst hat."

Regisseur Anthony Page über die verstorbene Schauspielerin Maggie Smith (28. Dezember 1934 - 27. September 2024)

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