25.10.2000

Wenn die Gondeln Trauer tragen


Wasser schlägt über dem Kind in dem roten Regenmantel zusammen und begräbt es unter sich. Der verzweifelte Vater kommt aus dem Haus gelaufen und versucht, seine Tochter zu retten. Doch er kommt zu spät.

Das englische Ehepaar John (Donald Sutherland) und Julia Baxter (Julie Christie) trifft der furchtbare Verlust hart. Sie lassen England hinter sich und reisen nach Venedig, wo John seinem Beruf als Kirchen-Restaurateur nachgeht. Doch da setzt sich der Alptraum fort...

Der britische Regisseur Nicolas Roeg führt den Zuschauer auf eine schaurige und todbringende Irrfahrt, die einige Rätsel in sich birgt. Kaum in der Lagunenstadt angekommen häufen sich die mysteriösen Vorfälle und Vorzeichen: Ms. Baxter hat eine Begegnung mit zwei alten Frauen, von denen eine paradoxerweise blind und Seherin zugleich ist. Sie erzählt Ms. Baxter, sie könne deren verstorbene Tochter sehen und erhalte Botschaften von ihr. Die anfangs skeptische Ms. Baxter glaubt nur zu gern, daß es ihrer Tochter im Jenseits gut gehe und kann von da an besser mit dem Tod umgehen. Ihr Mann ist dagegen nicht so schnell vom Übersinnlichen zu überzeugen und wehrt sich heftig dagegen, der Geschichte der seltsamen Dame Glauben zu schenken. Seine Sturheit wird ihm noch zum Verhängnis, denn er verschließt fortan Augen und Ohren vor allen Warnungen, er solle Venedig schnell verlassen. Auch vermag er seine eigenen Visionen nicht zu deuten.

Roeg weiß sehr geschickt verschiedene filmische Mittel einzusetzen, um mehr und mehr eine unheilvolle Atmosphäre zu kreieren. Jede Alltagsbegebenheit scheint bei ihm bedeutungsschwanger zu werden. Nichts ist mehr Zufall, nichts ist mehr sicher. Selbst ein Geistlicher wirkt hier eher unheimlich und nicht vertrauenerweckend.

Auffallend ist die durchdachte Farbkomposition: In fast jeder Einstellung ist das hell leuchtende Rot zu sehen, welches man zuerst am Regenmantel des ertrinkenden Kindes sehen konnte. Oft wird das Rot z.B. mit Kleideraccessoires ins Bild gebracht. So wird der Zuschauer geradezu auf diese Farbe konditioniert.

Es gibt Wiederholungen, Spiegelszenen, Orte werden zweimal besucht. Nicht erst seit Thomas Manns Erzählung ist klar, daß der Tod und Venedig eine sich ergänzende Einheit bilden. Diese wunderschöne, langsam verfallene Stadt ist wie geschaffen für morbide Poesie. Roeg gibt sie zusätzlich die Gelegenheit, das Element Wasser als eine Art Leitmotiv zu entwickeln. Es bietet sich auch der Bootsmann aus der griechischen Mythologie an, der hier - ganz ähnlich wie bei Manns "Der Tod in Venedig" - Julia Baxter nicht an den Ort bringt, zu dem sie hinwollte.

Besonderes Stilmittel von Roegs Filmen ist die "Verrätselung". Durch gekonnte Schnitte und Montagen wird der Zuschauer systematisch auf eine ansprechende und anregende Weise "verwirrt". Allerdings gehören Roegs Werke nicht zu der Art von Filmen, bei denen sich der Zuschauer verschaukelt vorkommt, da ihm Informationen vorenthalten werden und er ewig im Dunkeln tappt. Vielmehr fällt es bei Roegs Filmgeschichten leicht, sich darauf einzulassen und das Unerklärliche als eben dieses zu akzeptieren. Einiges bleibt bis zum Schluß offen und doch ist es nicht weiter störend.

Beide Hauptdarsteller sind definitiv sehenswert und verkörpern glaubwürdig die Höhen und Tiefen eines Ehelebens. Sutherland spielt routiniert gut, und Julie Christie sieht einfach blendend aus. Dabei gibt es zwischen den beiden eine bemerkenswert zärtliche Szene. Sie sieht im Gegensatz zu den meist gekünstelt wirkenden Hollywood-Sexszenen einfach natürlich und entspannt aus. Möglicherweise ist sie als Gegenpol zum eher angespannten Rest des Films gedacht.

Roeg hatte nur wenige Jahre zuvor, 1968, mit "Performance" sein Regiedebüt. Einem Film, der zuerst nur auf den Hauptdarsteller Mick Jagger zurechtgeschnitten war, sich aber dank Roeg zu einem vielschichtigeren Werk entwickelte. Der Verleih Warner Bros. war mit der Form des Films so überfordert und abgeschreckt, daß sie ihn erst mit zwei Jahren Verspätung herausbrachten. Ein Neuling in der Filmindustrie war Roeg keineswegs: Lange war er Kameramann für verschiedene populäre Regisseure, vom Horror/B-Movie-Filmer Roger Corman bis hin zu Francois Truffaut und John Schlesinger, etc.

Auch nach "Wenn die Gondeln Trauer tragen" gab uns Roeg spannende Rätsel auf: Beliebt ist sein "Der Mann, der vom Himmel fiel" (1976) mit David Bowie, erwähnenswert ist "Track 29" (1988) mit Gary Oldman und Roegs Ehefrau Theresa Russell.  

Jessica Ridders / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Wenn die Gondeln Trauer tragen (Don't Look Now)  
 

Italien / GB 1973
Regie: Nicolas Roeg; Drehbuch: Allan Scott, Chris Bryant nach einer Kurzgeschichte von Daphne Du Maurier; Kamera: Anthony B. Richmond; Musik: Pino Donaggio; Schnitt: Graeme Clifford;
Darsteller: Julie Christie (Laura Baxter), Donald Sutherland (John Baxter), Hilary Mason (Heather), Clelia Matania (Wendy) u.a.

Länge: 109 Minuten; FSK: ab 16 Jahren



Artikel empfehlen bei:  Mr. Wong Delicious Facebook  Webnews Linkarena  Hilfe

© filmrezension.de

home
  |  regisseure/schauspieler   |  e-mail
 über uns  |  impressum  


 
 
 
 
 
weitere Kritik zum Film
Wertung: * * * * (4/5)


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

Drucken

Artikel empfehlen
Mr. Wong Delicious Facebook Webnews Linkarena 
Hilfe