März 2002
Enthäutete Intimität
Tattoo
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Die vielleicht bemerkenswerteste Szene des Films spielt in einem klinisch sauberen Raum: Museal geordnet hängen Bilder von der Decke, gemalt auf wertvollem Pergament - so scheint es. Die Hauptfigur von "Tattoo" wird ans Werk der Zerstörung gehen, alle für den Besitzer kostbaren Kunstwerke kompromisslos anzünden, dabei für ihn selbst wie für den Zuschauer den Ekel vor den menschlichen Abgünden, der sich bis dahin in diesem Thriller mit fortschreitender Entwicklung angestaut hat, abbauen, eine regelrechte Katharsis einleiten. Die Malereien sind Tätowierungen, die vermeintlichen Pergamente tatsächlich Pergamente, Häute, aber anderer Natur: Menschliche Häute sind sie, abgezogen von den Körpern derer, für die aus existenziellen Gründen nur noch der Verkauf ihrer blanken Haut übrig blieb - und von den Körpern derer, die dafür sterben mussten. Die Szene ist auch deswegen bemerkenswert, weil sie im Film in ihrer Hochglanz-Ästhetik allein dasteht: Den Menschen gilt nicht annähernd äquivalente Wertschätzung wie den eigenen Begierden.
Zu Beginn des Films läuft eine Frau, sehr entkleidet und ohne rechtes Bewusstsein, eine dunkle Straße entlang. Sie muss gerade etwas Extremes durchgemacht haben, welches sie den sie gleich überfahrenden LKW nicht mehr wirklich wahrnehmen lässt. Aus einem genauso düsteren Bauruinenkeller - depressive Finsternis bestimmt durchgehend die Atmosphäre des Films - könnte sie gekommen sein, in dem der junge Marc Schrader (August Diehl) gerade noch die Freuden einer illegalen Disco genießt. Die von Hauptkommissar Minks (Christian Redl) geleitete Razzia macht dem ein jähes Ende. Marc kann unter dem Verlust seiner Jacke gerade noch entkommen. Seine Laufbahn als Polizist könnte gerettet sein, doch Minks erpresst den frisch gebackenen Absolventen der Polizeischule mit den in der Jacke gefundenen Ecstasy-Pillen. Minks zwingt Marc in seine Kriminal-Abteilung, in ihm erhofft sich Minks, bei Kollegen unbeliebter und als unbeherrscht geltender Einzelgänger des Typs Bärenbeißer, einen V-Mann in der ihm selbst unzugänglichen Szene. Dort soll die Tochter eines Freundes vor zwei Jahren abgetaucht sein; es ist eine Lüge, die Fassade des emotionslos wirkenden Minks zeigt bald erste Risse, hinter der Verschollenen verbirgt sich Minks' eigene Tochter Marie (Jasmin Schwiers), wie Marc herausfindet. Die beiden Kollegen auf erzwungener Kooperationsbasis haben in jener selben Untergrund-Szenerie ihren ersten gemeinsamen Fall zu lösen: Der vom Lastwagen überfahrenen Frau fehlen große Stücke ihrer Haut. Sie wird nicht das einzige Opfer bleiben in einer Serie an Mordfällen, in der es offensichtlich um das leidenschaftliche Sammeln wertvoller Tätowierungen geht. Auch Schrader und Minks werden ihrerseits Opfer werden - psychischer Art: Der Täter und seine Helfershelfer treiben auch mit ihnen ein perverses Spiel um Übermacht und Erniedrigung.
Michael Dlugosch
/ Wertung:
* * *
(3 von 5)
Filmdaten Tattoo Deutschland 2002 Regie & Drehbuch: Robert Schwentke; Darsteller: August Diehl ("23 - Nichts ist so wie es scheint", "Die Braut", "Kalt ist der Abendhauch"; Marc Schrader), Christian Redl ("Lea", "Das Trio"; Minks), Nadeshda Brennicke (Maya), Johan Leysen (Frank Schoubya), Monica Bleibtreu ("Lola rennt", Katia Mann in "Die Manns"; Oberkommissarin Roth), Gustav-Peter Wöhler ("Erleuchtung garantiert"; Scheck), Ilknur Bahadir (Meltem), Ingo Naujoks (Stefan Kreiner), Joe Bausch (Günzel), Jasmin Schwiers ("Schule"; Marie Minks), Fatih Cevikkollu (Dix) u.a.; Produzenten: Roman Kuhn, Jan Hinter; Co-Produzentin: Wiebke Toppel; Kamera: Jan Fehse; Musik: Martin Todsharow; Schnitt: Peter Przygodda. Länge: 108 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; deutscher Kinostart: 4. April 2002.
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