13.05.2016
Chronik einer Familie, Chronik des Lebens in der Bundesrepublik

Quellen des Lebens


Von Kriegsheimkehr über die Spießigkeit der 1950er Jahre und über die Künstlerbohème der 1960er hin zum Krawall der Punkszene der 1970er Jahre: All dies bietet Filmemacher Oskar Roehler in knapp drei Stunden seines Opus Magnum aus dem Jahr 2013 auf. Er muss es wissen: Die letzte Hauptfigur des Films "Quellen des Lebens", Robert, ist sein Alter Ego, die anderen Protagonisten sind kaum verschlüsselt seine Eltern und Großeltern, Freunde und sonstige Menschen, mit denen man im Laufe seines Lebens zu tun haben muss. Mal grandios, mal fragwürdig, mal verspielt, mal verkrampft blickt der gerne provokante Regisseur auf etwa 40 Jahre Familien- und gleichzeitig BRD-Geschichte. Jede Episode ist anders erzählt, nicht jede Schauspielerleistung gleich – aber in dieser Uneinheitlichkeit liegt eine gewisse Stärke des Films. Dieser kann den Zuschauer packen und auf ihn im nächsten Moment abstoßend wirken, er ist sowohl eindrucksvoll als auch zähflüssig.

Nachdem Oskar Roehler zuvor mit Filmen wie "Elementarteilchen" und "Jud Süß – Film ohne Gewissen" bei der Kritik Schiffbruch erlitten hatte, kehrt er mit "Quellen des Lebens" dahin zurück, womit er den bislang größten künstlerischen Erfolg erzielt hatte: In "Die Unberührbare" (2000) verfilmte er die Geschichte seiner als Dichterin erfolgreichen, als Mensch unbarmherzigen Mutter Gisela Elsner. In "Quellen des Lebens" ist es wieder eine Nacherzählung seiner eigenen "Herkunft" – dies ist gleichzeitig der Titel des 2011 erschienenen Romans Roehlers, der von der eigenen Familie berichtet, den er zwei Jahre später in Zelluloid umsetzte. "Quellen des Lebens" ufert fast aus, wenn Roehler die verschiedensten Familienmitglieder zunächst sympathisch, kurz darauf mit ihren Schattenseiten charakterisiert. Seine Mutter kommt auch vor, wird aber im Film bald fallen gelassen und taucht erst am Schluss wieder auf. "Die Unberührbare" hatte sie zur Genüge dargestellt gehabt. Mehr wollte Roehler sich die Mutter nicht mehr zumuten. Die ihn verstoßen hatte.

Drei Generationen, die drei, die in Roehlers Leben eine Rolle spielten, porträtiert er. Liebevoll, wenn angebracht, oder sarkastisch, wenn die betreffende Person es seiner Ansicht nach verdient hat. Ist es Provokation, wenn er einen Großvater als gutherzig im Umgang mit dem Enkel – mit Roehler – darstellt, der Alte aber ein strammer Nazi war? Ein strammer, guter Nazi, der am Ende des Films sich fast opfert? Während die Linken des Films, vor allem Roehlers Eltern, nicht gut wegkommen? Ja, es ist Provokation, der Filmemacher legt sich mit der linken Filmkritik an. Auch wenn er den anderen Großvater als üblen Konservativen brandmarkt. Er camoufliert die Provokation durch den Hinweis auf Nacherzählung des Gewesenen: Der Alt-Nazi war eben so. Die Mao Tse-Tung mehr als ihren Sohn liebenden Eltern waren ebenfalls so. "Wir sind wieder wer" hieß es in der Nachkriegszeit. Wie die Nachkriegsdeutschen waren, zeigt Roehler, indem er sie in ihrer Wesensart seziert.

Für den Film wählte Roehler einen imposanten Einstieg – durchaus der stärkste Teil des Films. Verwahrlost und an der Krankheit Ruhr leidend kehrt Erich (Jürgen Vogel) 1949 aus Russland nach Hause. Verunsichert bleibt er erst vor der Tür, obwohl die Familie ihn gesehen hat. Nach und nach verschafft er sich Zutritt in sein altes Leben, in den alten Respekt, der einem Familienpatriarchen in den 1950ern gebührt und schließlich in den Aufstieg zum Wirtschaftswunder-Fabrikanten. Vielleicht trägt Roehler zu dick auf, wenn der Erfolg seines Unternehmens ausgerechnet auf Gartenzwergen fußt, dem Bild schlechthin für die Spießigkeit und Schuldverdrängung der damaligen Zeit.

Erichs Sohn Klaus (am Anfang des Films: Kostja Ullmann, bald abgelöst von Moritz Bleibtreu) lernt eine Frau kennen. Die erst in ihrer Pubertät unangepasste, später erst recht schwierige Gisela (Lavinia Wilson) kommt mit ihm zusammen, aber dies bleiben sie nicht lange. Ungewollt schwanger geworden ist Gisela, aber sie behalten dennoch das Kind, obwohl Gisela eine Abtreibung plante, und diese mit Prostitution finanzieren wollte. Der kleine Robert kommt zur Welt und erlebt fortan eine brutale Kindheit, da die Mutter ihn verlässt und auch Vater Klaus nichts mit ihm anfangen kann. Ein Lichtblick ist das Leben bei den älter gewordenen Großeltern Erich und Elisabeth (Meret Becker), wo er zunächst landet. Bis der Vater ihn nach Berlin zurückholt. Den flüchtigen Sex des Vaters mit verschiedenen Partnerinnen muss Robert miterleben. Die Großeltern mütterlicherseits nehmen ihn auf, bei denen er bis zum Erwachsensein bleiben wird. Der Opa (Thomas Heinze) ist, wie erwähnt, extrem konservativ – für den zum Punk mutierten Robert (Leonard Scheicher) ein willkommener Grund, um zu rebellieren. Aber er ist ein Möchtegern-Revoluzzer, denn Roehler stellt ihn, und damit sich selbst, als gleichzeitig introvertiert und verletzlich dar, wenn er eifersüchtig auf seine Jugendliebe Laura (Lisa Smit) beim Reden mit anderen Männern blickt. Laura, als Kind ein übertrieben hässliches Entlein, weiß sich als junge Erwachsene herauszuputzen. Übertrieben auch das glückliche Ende des Films für Robert und Laura wie für Erich und Elisabeth. Dieser spendet seiner Frau im hohen Alter eine Niere. Der in-Gedanken-immer-noch-Nazi.

Wie Sönke Wortmanns Film "Das Wunder von Bern" (2003) fängt "Quellen des Lebens" nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Heimkehr eines Soldaten an. Oskar Roehler interessiert sich nicht dafür, was Erich in Russland gemacht hat. Ihm geht es um die Zeit danach, und wie sich die Familie entwickelt. Wie sich Klaus entwickelt. Und Robert. Wie die Gesellschaft der jeweiligen Ära sie charakterlich prägt. Die Schuld Erichs, die Schuld der Deutschen kommen nicht vor; dies ist genauso fragwürdig wie die Charakterisierung Erichs als guter Alt-Nazi. Die Gründung der Bundesrepublik fällt mit dem Beginn des Films zusammen, auch wenn es nicht ausgesprochen wird. So, wie Großereignisse, die Wendepunkte in der Geschichte der BRD und ihrer Familien darstellen (Wunder von Bern etc.) nie genannt sind – eine Ausnahme: Willy Brandt ist mal zu sehen. Aber nur, um Roberts zweiten Großvater sich ablehnend äußern zu lassen. So waren sie, diese Familienmitglieder, stellt Roehler klar. Er nutzt diesen Film als Abrechnung mit ihnen, wie er schon "Die Unberührbare" als Abrechnung mit seiner Mutter benötigte. Der Film ist seine persönliche Katharsis, er drehte ihn, weil er sich selber von Menschen wie seinen Eltern befreien wollte. Durch ihr Bloßstellen. Indem der Film sehr persönlich ist, gelingt es Roehler, zu schon verloren geglaubten Regisseurskräften zurückzufinden. "Elementarteilchen" und "Jud Süß – Film ohne Gewissen" waren lieblos heruntergedreht. Man merkte: Die Stoffe lagen ihm nicht, sie interessierten ihn auch nicht. Hier ist es anders: Er legt sich ins Zeug, da es ihn betrifft. Da der Zuschauer ähnliche Erfahrungen gemacht haben mag, kann der den zuweilen zynischen Ton des Filmemachers akzeptieren, gar goutieren. Er muss nur die zuweilen vorhandenen Längen des Films akzeptieren.

Ein Wort am Schluss zu den Maskenbildnern: Sie lassen Jürgen Vogel, Meret Becker und Lavinia Wilson perfekt altern.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Quellen des Lebens  
 
Deutschland 2013
Regie: Oskar Roehler;
Darsteller: Jürgen Vogel (Erich Freytag), Meret Becker (Elisabeth Freytag), Moritz Bleibtreu (Klaus Freytag), Lavinia Wilson (Gisela Ellers), Lisa Smit (Laura Werner), Leonard Scheicher (Robert Freytag), Sonja Kirchberger (Marie Freytag), Margarita Broich (Hildegard Ellers), Ilyes Moutaoukkil (Robert Freytag als Kind), Alexandros Gehrckens (Robert Freytag als Kind), Annika Becker (Laura als Kind), Marie Becker (Laura als Kind), Kostja Ullmann (junger Klaus), Thomas Heinze (Dr. Martin Ellers), Wilson Gonzalez Ochsenknecht (Schwarz), Steffen Wink (Herr Werner), Erika Marozsán (Frau Werner), Rolf Zacher (Erwin), Heribert Sasse (Ledig-Rowohlt), Martin Horn (älterer Autor) u.a.;
Drehbuch: Oskar Roehler in Zusammenarbeit mit Klaus Richter; Produzenten: Stefan Arndt, Oliver Berben; Kamera: Carl-Friedrich Koschnick; Musik: Martin Todsharow; Schnitt: Peter R. Adam;

Länge: 173,21 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der X-Verleih AG; deutscher Kinostart: 14. Februar 2013



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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