23. 2. 2006
Elementarteilchen
![]() Lieb-lose Verlorensein von Einzelgängern in einer auf Erotik reduzierten Welt: Michel Houellebecq und Oskar Roehler sind unzweifelhaft Seelenverwandte, wie Roehler es auch selbst sagt. Kaum ein anderer Regisseur ist für die Verfilmung von Houellebecqs als "Endzeitroman" postulierten "Elementarteilchen" (1998) vorstellbar. Es funktioniert aber nicht. Eine seltsame Seichtigkeit anstelle des gesellschaftskritischen Zynismus Houellebecqs macht sich im Film, der den Roman inhaltlich wesentlich umkrempelt, breit. Dass der Film seine Intentionen zum Teil transportieren kann und zum Teil nicht, ist an Martina Gedeck zu erkennen. Die Schauspielerin widersprach während der Berlinale 2006 im Interview ihrer eigenen Rollenfigur. Ihre Christiane sagt im Film zu ihrem neuen Liebhaber, je älter Frauen würden, desto weniger hätten sie die Chance, von Männern noch geliebt zu werden. Den einen oder anderen One Night Stand bekämen sie noch - aber Liebe? Ein immer weniger begehrenswerter Frauenkörper ließe die Männer schnell die Flucht ergreifen. Martina Gedeck sagt, so denke sie selbst nicht. Ihre Christiane, eben noch im Liebesspiel mit dem erstmals glücklich verliebten Bruno (Moritz Bleibtreu), bricht zusammen und ist fortan an den Rollstuhl gebunden. Dass sie, lebenserfahren wie sie ist richtig voraussagt, Bruno würde die Behinderung nicht ertragen können, lässt sie Konsequenzen an sich selbst ergreifen. Dass der Film seine Intentionen zum Teil transportieren kann und zum Teil nicht, ist in der Umkehrung auch an Christian Ulmen zu erkennen. Der Schauspieler hielt es für "schlüssig", dass seine Rollenfigur Michael mit 30 Jahren erstmals Sex hat, und zwar in der ersten und einzigen wirklichen Liebe seines Lebens. Zuvor hielt Michael sich gegenüber Mitmenschen, speziell Frauen in unbestimmter Abwehrhaltung fern. Hier nun widersprach die Interviewpartnerin Ulmen; dessen Verständnis für seinen krankhaft enthaltsamen Part liege außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Es gibt zu denken, wenn die Intentionen eines Films jeweils nicht für alle greifbar sind. Dabei handelt es sich bei den Hauptfiguren des Films allesamt um Lonely Hearts; bei den beiden männlichen um Menschen, die, so unterschiedlich sie im direkten Vergleich sind, beiden der Weg zum normalen Kontakt versperrt ist, darauf allerdings unterschiedlich reagieren. Michael und Bruno sind Halbbrüder im Roman wie im Film, im Buch 40-jährige Söhne einer 68erin, im Film 30-jährige Söhne einer Frau, die auf den Spuren der 68er wandelt: Liebe ist Sex, Leben ist Freisein, ohne Rücksicht auf Gefühle, auch ohne Beachtung dessen, was dieses Verhalten in den Seelen der ohne Mutter aufwachsenden, weil zu den jeweiligen Großmüttern abgeschobenen Kinder anrichtet. Der Film wechselt gegenüber dem Roman den Schauplatz; die Figuren sind nun Deutsche, er spielt nicht mehr in Paris, dem urbanen Inbegriff der Liebe, woraus im Buch schon an und für sich ein Kontrast mit dem emotionalen Zerrüttetsein seiner Figuren entsteht, nun stattdessen in Berlin, bekannt für hohe Schuldenlast und Singleanzahl.
Michael muss widerwillig in seine Heimat zurück. Aus seiner engsten Schulfreundin Annabelle ist eine stattlich schöne Frau (Franka Potente) geworden. Sie hatte mehrere belanglose Beziehungen, ist aber wieder Single, eben deswegen, denn sie ist wie Christiane an den aus ihnen resultierenden Frustrationen gereift. Und gesteht Michael: Nur ihn liebte sie je. Es wird echte Liebe. Von kurzer Dauer? "Der Mensch, über den wir hier sprechen, wird sich ohne Sexualität
Michael Dlugosch /
Wertung: * *
(2 von 5)
Quelle der Fotos: Constantin Film Filmdaten Elementarteilchen (Deutschland 2005) Regie: Oskar Roehler; Darsteller: Moritz Bleibtreu (Bruno), Christian Ulmen (Michael), Martina Gedeck (Christiane), Franka Potente (Annabelle), Nina Hoss (Jane), Uwe Ochsenknecht (Brunos Vater), Corinna Harfouch (Dr. Schäfer), Ulrike Kriener (Annabelles Mutter), Jasmin Tabatabai (Yogini), Michael Gwisdek (Prof. Fleißer), Herbert Knaup (Sollers), Tom Schilling (Michael, jung), Thomas Drechsel (Bruno, jung), Nina Kronjäger (Katja), Jennifer Ulrich (Johanna), Thorsten Merten, Ingeborg Westphal u.a.; Drehbuch: Oskar Roehler nach dem Roman von Michel Houellebecq; Produktion: Bernd Eichinger, Oliver Berben; Co-Produktion: David Groenewold; Kamera: Carl-Friedrich Koschnick; Musik: Martin Todsharow; Gefördert durch: Filmförderungsanstalt (FFA), Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH (FBB), Mitteldeutsche Medienförderung (MDM) und Filmstiftung Nordrhein-Westfalen; Länge: 113 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Constantin Film Verleih GmbH; Film-Homepage: http://www.elementarteilchen.film.de
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