03.12.2020
Persischstunden
Der junge Belgier Gilles steht vor einer unmöglichen Aufgabe: Er muss alleine eine Sprache erfinden. Das ist noch nicht seine größte Herausforderung. Schwerer ist es, sich diese erfundene Sprache auch selbst anzueignen, und die Wörter nicht wieder zu vergessen. Und noch schwerer ist es, dauernd der Todesangst ausgesetzt zu sein, und schließlich doch als Lügner enttarnt und hingerichtet zu werden. Denn Gilles ist ein KZ-Häftling und es ist der Zweite Weltkrieg. Der Hauptsturmführer Koch, der ihn genauestens beobachtet, wird sein Persisch-Schüler, und er hasst Lügner, mehr als alles andere in der Welt.
Der 34-jährige Hauptdarsteller Nahuel Pérez Biscayart ist Argentinier, seine Muttersprache ist Spanisch. Aber er spricht Deutsch, Italienisch und Französisch, was die Dreharbeiten erleichterte, da seine Figur, der Belgier Gilles, zweisprachig ist. Lars Eidinger spielt den Hauptsturmführer Koch, der davon träumt, nach dem Krieg in Teheran ein Restaurant zu eröffnen. Er ist ein kleingeistiger, dem eigenen Nutzen dienender Durchschnittsmensch – einer von jenen vielen gedankenlosen Mitmachern, die die Schreckensherrschaft der Nazi-Diktatur ermöglichten. Beide Hauptdarsteller gehen in ihrer Rolle vollständig auf und sind unglaublich treffend gewählt. Der Film "Persischstunden" feierte im Februar 2020 seine Premiere innerhalb der Berlinale. Er ist zwar nicht preisverdächtig, er hat auch zwischendurch seine Längen (insgesamt geht er über zwei Stunden), und leider spielen einige der deutschen Nebendarsteller wie Leonie Benesch oder Alexander Beyer nicht gut. Jonas Nay überzeugt allerdings als übereifriger Soldat Max Beyer. Die Geschichte ist das Stärkste an diesem Film, sie ist berührend und aufwühlend, wirkt wie ein Zeitzeugnis. Sie kann in das allgegenwärtige Gefühl der Angst ums nackte Überleben hineinführen, und an die geistige Haltung der Henker. Die Nazis sind nicht schemenhaft, sondern aus menschlicher Perspektive gezeigt – was ihre Taten aber noch entsetzlicher macht. Die Kurzgeschichte namens "Erfindung einer Sprache" von Wolfgang Kohlhaase von 2005 diente als Grundlage des Films. In der Sicht des Regisseurs Perelman gibt es hunderte solcher Geschichten – daher wollte er eine Zusammenfassung all dieser Schicksale zeigen – wie Menschen dank ihrer fast übermenschlichen geistigen Leistungen in einer Atmosphäre der existenziellen Angst und der physischen Erschöpfung Unfassbares vollbringen können. Hilde Ottschofski /
Wertung: * * * *
(4 von 5)
Quelle der Fotos: Alamode Film Filmdaten Persischstunden (Persian Lessons) Russland/Deutschland/Belarus 2020 Regie: Vadim Perelman; Darsteller: Nahuel Pérez Biscayart (Gilles), Lars Eidinger (Koch), Jonas Nay (Max), Alexander Beyer (Kommandant), David Schütter (Paul), Luisa-Céline Gaffron (Jana), Leonie Benesch (Elsa) u.a.; Drehbuch: Ilya Zofin nach der Vorlage von Wolfgang Kohlhaase; Produzenten: Rauf Atamalibekov, Timur Bekmambetov, Pavel Burya, Murad Osmann, Vadim Perelman, Ilya Stewart, Ilya Zofin; Kamera: Vladislav Opelyants; Musik: Evgueni Galperine, Sacha Galperine; Schnitt: Vessela Martschewski, Thibault Hague; Länge: 127 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Alamode Filmverleih; deutscher Kinostart: 24. September 2020; ab 29. Januar 2021 auf DVD & Blu-ray
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