03.04.2016
Ein Film der 66. Berlinale 2016, Sektion Panorama Dokumente

Mapplethorpe: Look at the Pictures


Der Titel könnte kaum eine direktere Aufforderung sein. Ihr nachzukommen lohnt sich nicht dank der Fülle an teils unveröffentlichten Materials, das Fenton Bailey und Randy Barbato in ihrer Filmbiografie enthüllen. Die explizite, oft homoerotisch und sadomasochistisch gefärbte Fotografie Robert Mapplethorpes präsentiert sich dem Zuschauer nicht nur in ihrer Skandalwirkung, sondern ihrem kulturellen Einfluss und Ausdruck einer schillernden Persönlichkeit.

Mapplethorpe: Look at the Pictures - Selbstportrait, 1980; Copyright: Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission. Er wollte es schaffen, heißt es von Mapplethorpe: ein herausragender Fotograf sein, nicht nur ein guter. Diese Mischung aus Ehrgeiz und Egozentrik kristallisiert sich in der klarsichtigen Dokumentation als eine seiner markantesten Eigenschaften heraus. Aufgewachsen in New York als Kind römisch-katholischer Eltern, begann Mapplethorpe ein Kunststudium am Pratt Institute in Brooklyn. In dieser Zeit begann auch die Freundschaft zu seiner engen Vertrauten Patti Smith, deren Album "Horses" eine von Mapplethorpes Fotografien von Smith ziert. Die komplexe Beziehung zu Rockmusikern ist nur eine von vielen, die Mapplethorpe zu schillernden Künstlern der Ära hatte. Die Bilder, die er von ihnen schuf, waren oft prägend für deren öffentliche Wahrnehmung und trugen entschieden zu ihrer Ikonografie bei. Sein Werk, zu dem Bailey und Barbato in nahezu vollständigem Umfang Zugang hatten, umfasst neben Porträts und Akten zahlreiche Bilder unverhohlen pornografischer Natur. Eine der inszenatorischen Stärken der Doku ist, dass sie diese Aspekte von Mapplethorpes Arbeit nie verneint, wie auch der Protagonist selbst sie nie versteckte. Mapplethorpe setzte Obszönes optisch makellos in Szene und verlieh dem moralischen Tabu so eine neuartige visuelle Anziehungskraft. Die teilweise drastischen Fotografien von nackten Männern und homosexuellen Handlungen führten mehr als einmal zum Eklat.

Mapplethorpe: Look at the Pictures - Portrait von Dan, 1980; Copyright: Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission. Der für seine rassistischen und anti-liberalen Äußerungen bekannte US-Senator Jesse Helms, der in den 80ern öffentlich über eine Ausstellung Mapplethorpes schimpfte, war weder der erste, noch der letzte Befürworter eines radikalen Verbots. Die bestechende Chronik der Regisseure von "Party Monster" und "Inside Deep Throat" ist nicht zuletzt ein offenes Statement gegen eine Zensur und für die Freiheit der Zuschauer, selbst das, was sie sehen, zu bewerten. Aus dieser Perspektive spielt es eine untergeordnete Rolle, ob man die Bilder Mapplethorpes mag oder nicht. Bahnbrechend sind sie nicht ausschließlich in ihrer kompromisslosen Ästhetisierung des Körperlichen, sondern als Medium formeller Provokation. In einer Ära, in der die Diskriminierung von Homosexualität im Zuge der AIDS-Panik kulminierte, beeindruckten Mapplethorpes Bilder durch ihre Vereinigung von Selbstbewusstsein, Verletzlichkeit und Lust. Ihre offensive Sexualität steht nicht im Widerspruch zu einer künstlerischen Relevanz. Im Gegenteil ist sie ein entscheidender Grund für die Wirkung der Aufnahmen. Das Schaffen des Ausnahmekünstlers lotete Grenzen aus und brach sie systematisch, wo er es für nötig hielt. Die filmische Hommage erinnert mit ihrer stylischen Hochglanzoptik an den fotografischen Stil des Protagonisten, der 1989 an den Folgen von AIDS verstarb.

Sein Werk ist in allen Facetten – provokant, intim, roh, fetischistisch – heute indirekt nahezu omnipräsent. Der pornografisch aufgeladene Ästhetizismus der zeitgenössischen Werbung ist in dieser Form ohne visuelle Vorreiter wie Mapplethorpe kaum denkbar. Ein Bekannter sagt über den Protagonisten: "Er wollte eine Legende sein." In den Augen der Filmkamera ist er das längst.  

Lida Bach / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission.

 
Filmdaten 
 
Mapplethorpe: Look at the Pictures (Mapplethorpe: Look at the Pictures) 
 
USA/Deutschland 2016
Regie: Fenton Bailey, Randy Barbato;
Mitwirkende: Robert Mapplethorpe (+ 1989), Edward Mapplethorpe, Fran Lebowitz, Brice Marden, Debbie Harry, Ken Moody, Robert Sherman, Gloria von Thurn und Taxis, Carolina Herrera, Brooke Shields u.a.;
Produzenten: Katharina Otto-Bernstein, Sara Bernstein, Mona Card; Kamera: Huy Truong, Mario Panagiotopoulos; Musik: David Benjamin Steinberg; Schnitt: Langdon F. Page;

Länge: 108,57 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; deutscher Kinostart: 3. November 2016



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Der Film im Katalog der Berlinale
<03.04.2016>


Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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