10.04.2022

Deutscher Kultfilm

Die Feuerzangenbowle (1944)

"Der Humor rückt den Augenblick
an die richtige Stelle. Er lehrt uns die wahre
Größenordnung und die gültige Perspektive.
Er macht die Erde zu einem kleinen
Stern, die Welt zu einem Atemzug
und uns selber bescheiden."

Erich Kästner


Filmplakat Die FeuerzangenbowleDie Filmzitate sind zum Volksgut geworden: "Pfeiffer mit drei f, eins vor dem ei, zwei hinter dem ei!" – "Jeder nor einen wänzigen Schlock!" – "Also, wat is en Dampfmaschin? Da stelle mer uns mal janz dumm." Der Titel rührt daher, dass einige zumeist ältere Herren um eine Feuerzangenbowle versammelt sind und sich Geschichten aus ihrer Schulzeit erzählen. Der junge Schriftsteller Dr. Johannes Pfeiffer ist nach Meinung der Runde arm dran, weil er die schönste Zeit der Jugend verpasst hat: Von einem Hauslehrer erzogen, hat er nie eine Schule von innen gesehen. Und so entsteht die beschwipste Idee, Pfeiffer als Schüler zu "verkleiden" und auf eine richtige "Penne" in der kleinen Stadt Babenberg zu schicken. Dort spielt er den Lehrern herrliche Streiche. Seine Freundin Marion will ihn wieder nach Berlin holen, er aber hat sich inzwischen in Eva, die Tochter des Direktors, verliebt, die er am Ende auch "bekommt".

Die Handlung spielt in vergangener Zeit, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, als man noch Schülermützen trug. Der Film unterscheidet sich kaum von dem gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1933, die meisten Dialoge wurden übernommen. Der Autor Heinrich Spoerl hat das Drehbuch seinem Freund Heinz Rühmann, dessen Darstellung des Johannes Pfeiffer unsterblich wurde, auf den Leib geschrieben. Rühmann war auch Produzent, Regie führte Helmut Weiss.

"Die Feuerzangenbowle" – laut Vorspann "ein Loblied auf die Schule, aber es ist möglich, dass die Schule es nicht merkt" – ist einer der lustigsten Filme aller Zeiten, sowohl was die Charakterkomik als auch die Situationskomik betrifft. Die Lehrertypen mit ihren Macken und Schrullen werden hier ebenso verspottet wie gemocht. "Sind übrigens alle feine Kerle, im Grunde genommen", sagt Pfeiffer, der mit seinem Einfallsreichtum und seiner spitzbübischen Mimik den Film absolut beherrscht. Die "Pauker" und auch die Schüler sind trefflich gezeichnet und werden von hervorragenden Schauspielern dargestellt. Einer der Höhepunkte ist die Chemiestunde, in der Prof. Crey, Spitzname "Schnauz" (genial: Erich Ponto), die alkoholische Gärung durchnimmt. Dabei wird jedem Schüler der vom Lehrer selbst fabrizierte Heidelbeerwein verabreicht. Crey warnt: "Jeder nor einen wänzigen Schlock!" Pfeiffer hat allerdings mit den anderen Schülern verabredet, dass alle so tun, als ob sie davon immer betrunkener werden, und lallt: "Der gärende Alkohol beginnt dann zu faseln und so entsteht Heidelbeer-Fasel oder Heidelbeer-Fusel." Neben den Streichen ist auch die Liebesgeschichte fein ausgespielt. Die Tochter des Direktors eilt am Ende zu Pfeiffer nach vorne zum Pult, nachdem er seinen größten Coup gelandet hat: verkleidet als Professor Crey, zelebriert er eine äußerst vergnügliche Parodie. Dabei ruft er "Pfeiffer" auf, der natürlich "fehlt", und sagt: "Schade, schade, Herr Oberscholrat, ich hätte Ihnen so gern den größten Flägel unserer Anstalt vorgestellt. Ich bän der einzige, der mit ihm färtig wärd!"

Bis in die sprachlichen Feinheiten hinein sind die Personen komisch gestaltet: Crey mit seiner Marotte, "Schöler" und "Sätzen Sä säch" zu sagen, Professor Bömmel (auch genial: Paul Henckels) mit seinem rheinischen Dialekt ("En Dampfmaschin, dat is ene jroße, runde, schwarze Raum"), der Musiklehrer mit seinem ständigen "vielleicht" ("Singen Sie vielleicht mal diesen Ton!") und der Oberschulrat mit seinen Wiederholungen am Satzende ("Ich erwarte dann Ihren Bericht ... Bericht").

Meisterhaft ist zudem die Komposition. Zum einen stellt sich das Ganze als eine während des Genusses der Feuerzangenbowle entstandene Phantasie heraus, aber erst am Ende während der Rahmenhandlung im Wirtshaus. Zum anderen werden die Szenen oft so geschickt montiert, dass sie einen komischen Kontrast bilden. So sitzt Pfeiffer morgens auf dem Bett und sagt zu seiner Wirtin: "Ich pflege morgens sehr wenig zu essen. Nur eine Kleinigkeit..." Danach sieht man in Nahaufnahme den reichlich gedeckten Frühstückstisch. Oder: Pfeiffer singt im Musikunterricht bei einem Frühlingslied total schief, wird suspendiert, und pfeift dann überraschenderweise auf dem Schulflur eine perfekte Variation der Melodie, die im Hintergrund aus dem Musikraum dringt.

Die Kameraführung (Ewald Daub) ist brillant. Der Blick gleitet durch den Klassenraum, als ob man selbst unter den Schülern sitzt. Frosch- und Vogelperspektive werden eingesetzt, wenn Primaner Knebel unten am Katheder Bömmels Schuh stibitzt. Als der Schüler Rosen im Unterricht einschläft, wird sein Traum durch Doppelbelichtung verdeutlicht. Eines Tages bleibt die Schule zum Erstaunen des Direktors leer, weil die Schüler ein Schild aufgehängt haben: "Wegen Bauarbeiten bleibt das Gymnasium heute geschlossen!" Die Kamera fährt auf das Schild zu, als sie zurückfährt, befindet es sich bereits im Konferenzraum, wo die Lehrer beratschlagen, was zu tun ist. Diesmal spielen sie den Schülern gewissermaßen einen Streich. Bömmel hat die Idee, eine fiktive Baustelle zu inszenieren...

Fazit: Der Film ist Komödie, Schwank, Posse und Satire in einem, die Mutter aller Schulfilme, deren Kinder z.B. "Der Pauker" (auch mit Rühmann, aber diesmal als Lehrer!), "Der Musterknabe" oder "Fack ju Göhte" heißen. Am Ende reflektiert er sogar – ein amüsanter Verfremdungseffekt – sich selbst: "Aber wenn das dieser Schriftsteller ist", sagt Zeus, "dann macht er am Ende aus uns noch einen Roman!" Darauf Schnauz: "Oder sogar einen ungezogenen Film!"

Vor einigen Jahrzehnten wurden allerdings auch kritische Stimmen laut. So schrieb Georg Seeßlen: "'Die Feuerzangenbowle' gehört zu jenen schizophrenen Filmen aus der Spätzeit des Nationalsozialismus, die zugleich dem Regime dienen und über sein Ende hinausblicken wollen, die voller offener oder unterschwelliger Nazi-Ideologeme sind, und zugleich von einer Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung zeugen, die sozusagen schon mit der Verdrängung der Schuld beginnt, während sie noch geschieht." (epd, 1994). Ein Film voller Nazi-Ideologeme? Nein, das trifft nicht zu. Gern werden in diesem Zusammenhang die angeblich "faschistischen" Sätze des Geschichtslehrers Dr. Brett über die Erziehung der Schüler zitiert: "Junge Bäume, die wachsen wollen, muss man anbinden, dass sie schön gerade wachsen. Und nicht nach allen Seiten ausschlagen. Und genau so ist es mit den jungen Menschen. Disziplin muss das Band sein, das sie bindet, zu schönem geraden Wachstum." Das ist im Grunde schon alles. Aber diese Sätze sind nicht die Aussage des Films, sondern die Aussage einer einzelnen Figur, die man als Zuschauer für richtig oder falsch halten kann. Außerdem ist schwer zu bestreiten, dass Disziplin, nicht nur im Schulunterricht, auch positiv gesehen werden muss. Man lese dazu das Buch des Ex-Schulleiters Bernhard Bueb "Lob der Disziplin" (2006). Die Menschlichkeit der Lehrer und die anarchische Respektlosigkeit der Schüler entsprechen jedenfalls nicht dem Nazi-Ideal. Der Film erhielt zwar eine Woche nach der Premiere das Prädikat "Künstlerisch wertvoll". Aber er ist als heiteres Loblied auf die Humanität zugleich eine Kritik am Nationalsozialismus, und es ist möglich, dass die Nazis es nicht gemerkt haben. Natürlich kann man bei der Betrachtung eines Films die Umstände seiner Entstehung bedenken. Die scheinbar unpolitischen Unterhaltungsfilme des Dritten Reichs dienten sicher auch der Ablenkung von der tristen Realität. Diese Eigenschaft teilen sie aber mit den meisten Unterhaltungsfilmen, die auf der Welt gezeigt werden. Gedreht wurde "Die Feuerzangenbowle" 1943 in Babelsberg, mitten im Krieg. Rühmann fuhr persönlich mit einer Filmkopie in die Wolfsschanze, um von Hitler die Freigabe des Films zu erwirken. Die Premiere fand im Januar 1944 unter dramatischen Umständen statt, wegen des Bombenalarms in Berlin wurde sie auf den Vormittag verlegt. Rühmann erzählt in seinen Memoiren ("Das war's", 1982), dass er versucht hat, durch Herauszögern der Dreharbeiten das Verschicken seiner jungen Schauspieler – die Schulklasse bestand neben den Stars aus echten Primanern! – an die Ostfront zu verhindern. Vergeblich. Viele haben in derletzten Kriegsphase die Premiere nicht mehr erleben dürfen.

Aber alle diese Fakten beeinträchtigen nicht die Qualität des Films. "Die Feuerzangenbowle" ist eindeutig Kult und hat schon Generationen begeistert. Im Fernsehen wird der Film regelmäßig gezeigt. Die fast 200 Kommentare auf YouTube, wo man ihn gratis betrachten kann, sind ausnahmslos positiv: "Dieser Film ist wie ein guter Wein, er wird mit jedem Jahr besser" / "Heinz Rühmann... unschlagbar! Der ganze Film!" / "Was für ein Film, unbeschreiblich sehenswert, hervorragend" / "Ein ganz fantastischer Spielfilm, sehr amüsant, einfach dufte!!!" / "DIESER FILM !!! DER BESTE, aller Zeiten." / "Ein Juwel. Den könnte ich täglich gucken" / "Nur 100mal gesehen" usw.

Ein exorbitanter Hype findet regelmäßig in der Vorweihnachtszeit statt, wenn der Film in mehreren Universitäten gezeigt wird. In Münster etwa bringen die Besucher Thermoskannen und Teelichter mit. Wenn die Herrenrunde sich zuprostet, tun das auch die Studenten. Wenn Pfeiffers Wecker läutet, rattern im Hörsaal Dutzende Wecker los. Die Wanderung der Goten wird auf der Landkarte mit Taschenlampen verfolgt. Wenn der falsche Professor Crey das Radium erklärt, werden Wunderkerzen entzündet. Dialoge werden mitgesprochen. Und taucht der zackige Geschichtslehrer Dr. Brett auf, wird er als Nazi ausgebuht. Die Vorstellungen sind meist restlos ausverkauft. Die größte Party aber findet in Göttingen statt: ein Abend, fünf Kinohörsäle, zwanzig Vorstellungen, rund 10000 Besucher! Ein Erfolg, den bis heute kein anderer klassischer deutscher Film erlebt hat.

1970 wurde "Die Feuerzangenbowle" neu verfilmt, unter der Regie von Helmut Käutner, mit Walter Giller und Uschi Glas. Schauspieler Hans Richter wirkte erneut mit, diesmal als Dr. Brett.  

Manfred Lauffs / Wertung: * * * * * (5 von 5)

Quelle des Filmplakats: Pixabay


Filmdaten

Die Feuerzangenbowle (1944)


Deutschland 1944
Regie: Helmut Weiss;
Darsteller: Heinz Rühmann (Dr. Johannes Pfeiffer alias "Hans Pfeiffer"), Erich Ponto (Prof. Crey, gen. "Schnauz"), Paul Henckels (Prof. Bömmel), Karin Himboldt (Eva Knauer), Hilde Sessak (Marion Eisenstein), Hans Leibelt (Gymnasialdirektor Knauer, gen. "Zeus"), Hans Richter (Schüler Rosen), Rudi Knebel (Schüler Clemens Hasse), Lutz Götz (Oberlehrer Dr. Brett), Max Gülstorff (Oberschulrat), Margarete Schön (Frau Direktor Knauer), Egon Vogel (Musiklehrer Fridolin), Anneliese Würtz (Witwe Windscheidt) u.a.;
Drehbuch: Heinrich Spoerl; Produktion: Heinz Rühmann; Kamera: Ewald Daub; Musik: Werner Bochmann; Schnitt: Helmuth Schönnenbeck;

Länge: 94 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; Premiere: 28. Januar 1944



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Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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