28.01.2025
Die Fabelmans
Die beste Szene kommt zum Schluss. Der junge Sammy Fabelman möchte Filmemacher werden. Er kommt schüchtern ins Büro seines großen Vorbilds John Ford (David Lynch). Der lässt ihn warten und pafft ihn dann mit einer riesigen Zigarre voll. Dann soll Sammy ein Bild beschreiben, das an der Wand hängt. "Wo ist der Horizont?" - "Der ist unten!" - "Jetzt geh zu dem nächsten Bild! Wo ist der gottverdammte Horizont?" - "Der ist am oberen Bildrand!" - "Schreib dir das hinter die Ohren! Ist der Horizont unten im Bild, ist es interessant. Ist der Horizont hoch oben, ist es interessant! Ist der Horizont in der Mitte, ist es beschissen langweilig. So, viel Glück!" Und der junge Mann verlässt das Büro und hüpft glücklich zwischen den Studiogebäuden in die Abendsonne hinein. Hollywood wartet!
Das ist das offene Ende, aber der Zuschauer weiß, wie's weitergeht: Hier beginnt eine Riesenkarriere. Denn Fabelman heißt in der Wirklichkeit Steven Spielberg und ist einer der größten Filmregisseure der Gegenwart. Jeder Filmfreund kennt seine Hauptwerke: "Der weiße Hai", "E.T – der Außerirdische", "Indiana Jones und der Tempel des Todes", "Die Farbe Lila", "Jurassic Park", "Schindlers Liste", "Catch Me If You Can", "München", "Die Verlegerin"... Spielberg hat mit den "Fabelmans" einerseits eine wunderbare, anrührende Autobiographie (über seine Kindheit und Jugend), zugleich aber auch eine der schönsten Liebeserklärungen an das Kino geschaffen. Das Kino feiert sich hier wieder einmal selbst, was ja nicht selten geschieht. Man denke an "Cinema Paradiso" (Giuseppe Tornatore), "Die amerikanische Nacht" (François Truffaut) oder "Belfast" (Kenneth Branagh).
Als Kind wird Sammy von seinen Eltern das erste Mal ins Kino mitgenommen. Alles, was auf der Leinwand passiert, fasziniert ihn, er staunt mit großen Augen und offenem Mund. Und deshalb möchte er selbst Filme drehen, um die Menschen zu begeistern. Es fängt damit an, dass er auf dem Wohnzimmertisch mit seiner Spielzeugeisenbahn zwei Züge zusammenstoßen lässt und die "Katastrophe" mit seiner neuen Kamera aufnimmt. Später dreht er kleine Komödien mit Freunden und Geschwistern, wo etwa alle sich mit Toilettenpapier als Mumien verkleiden, dann Western und sogar einen vierzigminütigen Kriegsfilm. Er glaubt den Satz seiner Mutter: "Filme sind Träume, die du niemals vergisst!" Während sich Sammy immer mehr seiner Leidenschaft verschreibt, gibt es aber Risse im scheinbar glücklichen Familienleben. Die Kamera bringt die Wahrheit an den Tag, Sammy erkennt beim Betrachten seines Urlaubsfilms, dass seine Mutter sich in Bennie, einen Freund der Familie, verliebt hat - in Kino veritas. Die Eltern lassen sich später scheiden, haben aber weiter Kontakt mit der Familie. An der Highschool verliebt sich Sammy in eine Mitschülerin namens Monica. Die mag ihn auch, ist allerdings religiös etwas schräg drauf, da sie Jesus, der auf zahlreichen Bildern in ihrem Zimmer hängt, in ihr Liebesspiel mit Sammy einbaut. Die Beziehung scheitert aber, weil sie Sammy nicht nach L.A. folgen will. Die Familiengeschichte ist bunt, lebendig, voller turbulenter Ereignisse, eine einzige Tragikomödie, der man fasziniert und begeistert folgt. Und bei der man immer wieder laut lachen muss. Sammy wird verkörpert von Mateo Zoryan Francis-DeFord (als Kind) und Gabriel LaBelle (als Teenager), beide spielen sehr gefühlvoll und intensiv, aber das trifft auch auf Paul Dano (den Vater) und Michelle Williams (die Mutter) zu. Mitzi hat ihre Karriere als Konzertpianistin für die Familie aufgegeben und ist leicht depressiv geworden. Sammys Onkel Boris sagt dem Neffen mit Nachdruck: "Familie und Kunst, das reißt dich entzwei. Deine Mutter, du und ich, wir sind Süchtige, die Kunst ist unsere Droge, wir sind meschugge nach Kunst!" Er glaubt, dass aus Sammy ein großer Filmemacher wird. Die Kamera (Janusz Kaminski) zeigt oft Großaufnahmen, auch bei Dialogen, wenn alle durcheinanderreden. So kommt man den Protagonisten ganz nah. Und Spielberg lässt den Zuschauer auch mal durch den Sucher von Sammys Kamera schauen. Der Film ist in jeder Szene perfekt ausgeleuchtet, mit starken Farben wird romantisch der eigene Werdegang ins Bild gesetzt, was die Wirksamkeit deutlich verstärkt. Die Jury der Deutschen Film- und Medienbewertung, die dem Film das Prädikat "Besonders wertvoll" zubilligte, monierte nur "das völlige Ausblenden von Politik und gesellschaftlichen Umbrüchen der 60er Jahre (mit dem Kennedy- oder Martin-Luther-King-Attentat)", räumte aber ein, dass der Film damit aber eben auch eine fast zeitlose Allgemeingültigkeit erreicht. Es wird allerdings auch der Antisemitismus behandelt, den Sammy als Schüler erlebt, als er auf der Highschool in Kalifornien brutal gemobbt wird. Übrigens: Der Familiennname "Fabelman" ist sicher nicht zufällig gewählt. Er spielt darauf an, dass eine romantische Fabel, eine idealisierte Geschichte erzählt wird, die insofern autofiktional ist, als Wirklichkeit und Erfindung untrennbar verbunden sind. Und: Der Film ist einfach fabelhaft.
Manfred Lauffs
/ Wertung:
* * * * *
(5 von 5)
Filmdaten DIe Fabelmans (The Fabelmans) USA 2022 Regie: Steven Spielberg; Darsteller: Gabriel LaBelle (Sammy Fabelman als Teenager), Mateo Zoryan Francis-DeFord (Sammy Fabelman als Kind), Michelle Williams (Mitzi Fabelman), Paul Dano (Burt Fabelman), Seth Rogen (Bennie Loewy), Julia Butters (Reggie Fabelman), Keeley Karsten (Nathalie Fabelman), Oakes Fegley (Chad Thomas), Gabriel Bateman (Roger), Nicolas Cantu (Hark), Sam Rechner (Logan Hall), Judd Hirsch (Onkel Boris), David Lynch (John Ford), Robin Bartlett (Tina Schildkraut), Jeannie Berlin (Hadassah Fabelman), Birdie Borria (junge Reggie), Alina Brace (junge Nathalie), Chloe East (Monica) u.a.; Drehbuch: Steven Spielberg, Tony Kushner; Produzenten: Tony Kushner, Kristie Macosko Krieger, Steven Spielberg; Kamera: Janusz Kaminski; Musik: John Williams; Schnitt: Sarah Broshar, Michael Kahn; Länge: 151 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 9. März 2023
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