5. Juli 2001
Das Dorf als Welt für sich
Die Einsamkeit der Krokodile
Folgt man dem Lockruf dieses Titels, so werden sich wohl vielfältige Vorstellungen über die Thematik dieses Films ergeben. Dass es nicht um das Sozialleben der genannten Reptilienart geht, scheint nachvollziehbar, doch die Geschichte eines Selbstmords, wie sie nun vor den Augen des Kinobesuchers aufgebaut wird, dürfte wohl ebenso wenig den Erwartungen entsprechen.
![]() Formal gesehen bietet der Film nichts wirklich Aufsehenerregendes: Er beginnt in der Gegenwart (mit der Ankunft von Elias) und endet auch dort, ihn als veränderten Menschen zurücklassend. Die regelmäßige Einflechtung von Rückblenden, die in den sanften, epischen Erzählfluss eingebunden sind, stellt keine sonderlichen Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Zuschauers und gestattet die vollkommene Hinwendung zu der eigentlichen Bildsprache.
Die Geschichte zweier Charaktere, von denen sich der eine, durch den plötzlichen Tod des anderen mit einer neuen Situation und Aufgabe konfrontiert, in einen Wandlungsprozess begibt, reift und zuletzt die Hemmnisse des eigenen Lebens überwindet, ist alt. Auch die Schilderung des hermetischen Charakters von Dorfgemeinschaften ist nicht unbedingt eine neue Erscheinung. Aber was ist dann das Besondere am Inhalt dieses Films? Da wäre die Gestalt Günthers zu nennen, das den Dörflern unerklärbare Phänomen, die, vom Willen der Eltern gebrochen, immer wieder neue Wege sucht, ihrer Umgebung zu entfliehen. Doch nicht einmal die kurze Liebe zu der farbigen Amerikanerin Mary (interessant: Dynelle Rhodes) kann ihm helfen, sich aus der Umklammerung seiner Familie zu reißen. Erhebende Erlebnisse gibt es selten. Als feinsinnigen Einschub kann man die Episode von der Aufsetzung eines Statuts zur würdevollen Behandlung und Befreiung der Schweine genießen, an denen der Humanismus, wie Günther schmerzlich erkennt, vollkommen versagt hat. Als erste Aktion wird ein Schwein in einem Käfig auf Rädern hinter einem Moped über das Land geschleppt. Die Befreiung des Tieres steht für die Befreiung, die Günther für sich selbst nicht erreichen kann. Das Schwein, kaum fähig, sich im Käfig zu wenden, und doch ein Stück Freiheit erfahrend, spielt auf die kurzen Momente des (meist nur geistigen) Ausbruchs und Glücks in Günthers Leben an. Doch was als schönes Sinnbild beginnt, wird durch den komischen Effekt des Sturzes mit dem Moped und dem entweichenden Schwein zerstört. Lediglich den Stellenwert eines Klischees besitzt später die Befreiung der Schweine durch Elias in der Gegenwartshandlung, welche den Ausbruch aus der alten Verschlossenheit in ein neues Leben symbolisiert.
Die richtige Mischung macht's und könnte auch in diesem Film über so manches Defizit hinwegsehen lassen. Doch weit gefehlt! So wird hier ein fader Landschaftsteppich ausgebreitet, der nicht viel zu sagen oder zu bewirken vermag. Passend hierzu beschert die Kameraperspektive und -führung dem Auge weder besondere Erlebnisse, noch verlangt sie wirkliche Aufmerksamkeit. Im klassischen Sinne unterstützt sie ungebrochen die ausgebreiteten Situationen. (beispielsweise wird das dunkle Hotelzimmer Elias von unten nach oben gefilmt, erhält mit dem gewaltig wirkenden, im Vordergrund thronendem Bett eine beklemmende Atmosphäre). Ebenso geschmeidig heftet sich die Filmmusik den einzelnen Momenten an und entfaltet kaum mehr Wirkung als der musikalische Beischmuck, der so manches rührselige Hollywood-Drama ziert (Allerdings ein musikalischer Lichtblick ergibt sich: Die Bach`sche Violinsonate, die Günther im Gefängnis des Schlachthauses fiedelt, ein Zeichen tiefer Einsamkeit und Vergeistigung, zugleich der ungeheuren Vielfalt des Verborgenen, erklingt und verschallt - leider viel zu rasch: Ein Opfer für die Darstellung einer Übergangsszene).
Jörg Machill
/ Wertung:
* * *
(3 von 5)
Filmdaten Die Einsamkeit der Krokodile Deutschland 2000; Regie & Drehbuch: Jobst Oetzmann; Kamera: Hanno Lentz; Schnitt: Christel Suckow; Produzenten: Molly von Fürstenberg, Harald Kügler; Darsteller: Janek Rieke (Elias), Thomas Schmauser (Günther), Julia Jäger (Heike), Dynelle Rhodes (Mary), Rosemarie Fendel (Frau Sperl), Ernst Stötzner (Helmut), Renate Krößner (Friede), Arndt Schwering-Sohnrey (Roland), Oliver Bröcker (J. Pellmann), Josef Heynert (F. Rottau), Marc Prätsch (M. Biesen), Edgar Bölke (Prof. Georgsmeier), Hans-Michael Rehberg (Dr. Wiesmann), Udo Kroschwald (Bauer) u.a.; ein Film im Verleih von Prokino (Filmwelt), Länge: 96 min, FSK: ab 12 Jahren
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