09.02.2018

Black Brown White

Die politischen und aufklärerischen Ambitionen, die Erwin Wagenhofers vielfach diskutierte Dokumentarfilme "We feed the World" und "Let's Make Money" auszeichneten, überträgt der Österreicher auch auf sein Spielfilmdebüt. Als eindrücklich fotografiertes Road Movies erzählt "Black Brown White" vom kapitalistischen Wildwuchs im reichen Europa, der nicht nur in der eigenen Hemisphäre, sondern vor allem in ärmeren Gebieten für soziale Schieflagen sorgt.

Der Fernfahrer Peter (Fritz Karl), den alle Don Pedro nennen, fährt regelmäßig von Österreich nach Marokko, um beispielsweise Knoblauch zu verladen. Doch seine Arbeit beschränkt sich nicht nur auf gewöhnliches Frachtgut: Im Auftrag seines Chefs Jimmy (Karl Markovics) schleust Peter gegen eine ordentliche Entlohnung illegale Immigranten vom Norden Afrikas nach Europa. Als die Ghanaerin Jackie (Clare-Hope Ashitey) unter keinen Umständen in dem dafür vorgesehenen winzigen Verschlag in Peters Anhänger Platz nehmen will, landet sie mit ihrem kleinen Sohn Theo (Theo Caleb Chapman) auf dem Beifahrersitz. Während der Schlepper die Misere der Flüchtlinge bislang weitgehend ignorieren konnte, erfährt er nun zum ersten Mal ein wenig mehr über die prekären Lebenslagen seiner menschlichen Fracht. Bald entsteht ein Band zwischen Jackie und Peter, der plötzlich auch emotional involviert ist und dementsprechend handelt.

Erwin Wagenhofer erklärt in "Black Brown White" keine größeren Zusammenhänge und liefert keine tiefergehenden Hintergrundinformationen, sondern legt den Fokus auf seine Figuren und deren Interaktionen. Ungelenk erscheint diese für einen Spielfilm sinnvolle Entscheidung jedoch immer dann, wenn der Regisseur bisweilen arg konstruierte Momente herbeiführt, in denen er trotzdem an die didaktische Ausrichtung seiner Dokus anknüpft und seinem Personal recht platte Gesellschaftskritik in den Mund legt. So erscheinen zwei Szenen als deutliche Querverweise auf "We feed the World" und "Let's Make Money" und wirken in dieser Funktion allzu künstlich herbei geführt: In der einen Szene besuchen die Protagonisten eine Tomatenplantage, auf der fast ausschließlich Arbeiter ohne Aufenthaltsgenehmigung arbeiten, in der anderen verbringen Peter, Jackie und Theo eine Nacht in einem leer stehenden Haus in Südspanien, das gemeinsam mit anderen nie bewohnten Spekulanten-Objekten als Mahnmal der Immobilienblase in die Erzählung von "Black Brown White" Einzug hält. Beide Szenen stehen symptomatisch für Wagenhofers Kritik am kapitalistischen System und den Schattenseiten der Globalisierung, die insgesamt stark an der Oberfläche verhaftet bleibt.

Oberflächlich und gekünstelt wirken auch viele der Dialoge, in denen Peter beinahe theatralisch auf Missstände der Wohlstandsgesellschaft aufmerksam macht. Immer wieder spielen hier Geld und die Vermehrung von Reichtum eine entscheidende Rolle: "Was nicht mit Geld geht, das geht mit viel Geld – so ist das bei uns", sagt Peter zum Beispiel und es mag auch an der für einen Lastwagenfahrer ungewöhnlichen Aussprache von Fritz Karl liegen, dass diese und andere Feststellungen nicht so recht in die Geschichte passen wollen, sondern wie angeklebt erscheinen. Wenig glaubwürdig ist auch der Auftritt eines von Wotan Wilke Möhring dargestellten "Arztes ohne Grenzen", der an dramaturgischen Wendepunkten wiederholt wie ein deus ex machina aus dem Nichts auftaucht und den Fortgang der Reise sichert. Zuletzt ist die Wandlung Peters vom auf den eigenen Vorteil bedachten Schlepper zum hilfsbereiten Gutmenschen erzählerisch kaum stimmig entfaltet: Dass der Mann, der in der ersten Szene des Films noch routiniert ein Bündel Geldscheine entgegen nimmt und in Afrika beiläufig die Flüchtlinge einlädt, binnen kurzer Zeit seinem Gewissen erliegt und zum Fluchthelfer avanciert, erklärt Wagenhofer allenfalls aus der subtil entfalteten romantischen Zuneigung zwischen Peter und Jackie – glaubhaft wirkt die Kehrtwende dennoch nur bedingt.

Eine ohne Abstriche hervorragende Arbeit liefert Kameramann Martin Gschlacht, der sein Talent bereits in Jessica Hausners "Hotel" oder "Revanche" von Götz Spielmann zeigte. Seine weiten Landschaftsaufnahmen lassen "Black Brown White" mitunter wie einen Western wirken und verleihen Wagenhofers Film abseits der Geschichte mit ihren teils oberflächlichen Dialogen und konstruierten Szenen einen ganz eigenen Mehrwert. Die lakonische Grundstimmung des Films, die auch im Flamenco-Soundtrack und dem Spiel der Darsteller Niederschlag findet, speist sich vornehmlich aus den Bildern, die einen Gutteil des Unterhaltungswertes von "Black Brown White" ausmachen und die aufklärerische Ausrichtung des Road Movies eleganter auf den Punkt bringen als die erwähnten Dialoge. Das für den Film typische Missverhältnis zwischen dem Erzählen einer fiktiven Geschichte und der didaktischen Einbindung von Kritik am System erfährt durch die narrativen Bilder, die beides gleichzeitig leisten, einen wohltuenden Ausgleich.

Bei aller Kritik kann aber festgehalten werden, dass "Black Brown White" letztlich zumindest ein Gefühl für das Schlepperwesen vermittelt und den nackten Zahlen und sachlichen Fakten rund um das Thema eine menschliche Seite verleiht – so kann Wagenhofers erster Kinospielfilm zwar nur bedingt als in sich vollständig gelungene Aufarbeitung seiner Thematik gelten, bietet sich aber als Ausgangspunkt für eine weitere Beschäftigung oder die Rückbindung einer solchen Beschäftigung ins Konkrete an. Sein offenkundiges Ziel, einen Film zu inszenieren, der mit seinen Aussagen in die Welt greift und zum Nachdenken über dieselbe anregt, hat Erwin Wagenhofer also erreicht.



Diese Filmkritik ist zuerst erschienen bei fluter.de.

 

Christian Horn / Wertung: * * * (3 von 5)



Filmdaten

Black Brown White


Österreich 2011
Regie: Erwin Wagenhofer;
Darsteller: Fritz Karl (Don Pedro), Clare-Hope Ashitey (Jackie), Theo Caleb Chapman (Theo), Emilio Buale (Gabriel), Jurij Diez (Alf), Karl Markovics (Jimmy), Wotan Wilke Möhring (Arzt) u.a.;
Drehbuch: Erwin Wagenhofer, Cooky Ziesche; Produzent: Helmut Grasser; Kamera: Martin Gschlacht; Musik: Niño Josele; Schnitt: Paul M. Sedlacek;

Länge: 106,30 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; deutscher Kinostart: 3. November 2011



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