07.08.2014

Dänischer Seelenschmaus mit Prädikat

Adams Äpfel

Anders Thomas Jensen ist vielleicht herausragendster Repräsentant einer jungen Riege dänischer Filmschaffender, die bis zur Gnadenlosigkeit den Realismus im Zwischenmenschlichen analysieren. Mit der thematisch ähnlich interessierten Susanne Bier schrieb er das Drehbuch für "In einer besseren Welt", der 2011 einen Oscar erhielt. Darin, wie auch in "Adams Äpfel", für den Jensen alleine als Drehbuchautor verantwortlich zeichnet, werden die Grenzen ausgelotet, wie viel Böses ein Mensch ertragen kann. Das Besondere an dem international mehrfach ausgezeichneten "Adams Äpfel" ist die emotional-obskure Tiefe und gleichzeitige Leichtigkeit des Erzählens, so dass Tragödie und Komödie nah beieinander liegen und ins Groteske zusammenfließen.

Wenn bei einem gewalttätigen Skinhead, der nach einem Gefängnisaufenthalt zur Resozialisierung im Gemeindehaus einer Dorfkirche wohnt, immer beim Schließen der Tür die Bibel auf den Boden fällt und sich jedes Mal an der gleichen Stelle – beim Buch Hiob – öffnet, dann ist das sarkastischer Slapstick. Aber der stete Tropfen höhlt den Stein und der Neonazi Adam liest das Bibelkapitel. Dadurch versteht er, warum sein vorgesetzter Pfarrer Ivan trotz vieler Lebenskatastrophen so störrisch am Guten und an Gott festhält. Das Böse in Adam beschließt das Gute in Ivan zu zerstören.

Was Adam letztendlich herausfordert ist die Weigerung des liebenswerten Pfarrers, der Realität ins Auge zu blicken. Statt (wie Hiob) menschlich unerträgliche Schicksalsschläge anzunehmen – die Vergewaltigung als Kind, den Selbstmord der Ehefrau, die Behinderung des Sohnes und ein Gehirntumor – redet sich Ivan alles schön und interpretiert kurzerhand alles um. Für Adam ist das zu billig, er fordert den Gutgläubigen bis zum Unerträglichen heraus und es gelingt ihm mit der neu erworbenen Bibelkenntnis, ihn innerlich zu brechen. Die Konsequenzen sind jedoch selbst für den hartgesottenen Adam nicht zu ertragen und es gelingt eine Wende.

Symbolisch steht der Apfel im Mittelpunkt des Geschehens. Die Frucht der Erkenntnis, die das biblische Paar Adam und Eva einst das Gute vom Bösen unterscheiden ließ, dient hier dem gleichen Zweck. Der brutale Ex-Knacki-Adam hat keine andere Aufgabe, als einen Apfelbaum zu pflegen, um einen Apfelkuchen zu backen. Aber der Baum wird von Raben, Würmern und anderen Naturkatastrophen heimgesucht.

Furchtlos und bis ins Absurde hinein bearbeitet der Regisseur ein psychologisch tief in den Zuschauer hineinwirkendes Thema. Denn nicht nur für Bibelfeste, sondern auch für Atheisten ist dieser Stoff starker Tobak. Wenn die Grenze des Erträglichen erreicht ist, kommt eine urkomische Szene, die alles wieder auflockert. Ein höchst wertvolles abwechslungsreiches Drama mit überraschenden Wendungen, das jedem zu empfehlen ist, der verstehen will, was die Welt im Inneren zusammenhält.

Mads Mikkelsen (Ivan) und Ulrich Thomsen (Adam) geben in diesem Film eine reife handwerkliche Leistung ab, sie verschmelzen mit ihren Rollen. Die skurrilen Nebendarsteller (unter anderen Paprika Steen, Nikolaj Lie Kaas, Ole Thestrup) spiegeln die Haupthandlung und verleihen ihr zusätzliche Eindringlichkeit. Die Kamera nimmt scharfe kontrastreiche und bunte Bilder auf, viel spielt sich draußen in der sonnendurchfluteten Natur ab, als ob dadurch das Paradies angedeutet werden soll, das optisch im Kontrast zu einem die Hölle suggerierenden Sturm stehen wird.

Der talentierte Drehbuchautor Jensen schaffte mit "Die Herzogin" und "Love Is All You Need" auch international einen Durchbruch. Dennoch sind es frühere Werke wie "Für immer und ewig" oder "Wilbur Wants to Kill Himself", skurrile Dramen von Alltagsmenschen, die dem Zuschauer im Gedächtnis bleiben. Mit "Adams Äpfel" gelang ihm ein die Zeit überdauerndes Werk, das beim Nachbetrachten immer neue Fragen aufwirft.  

Hilde Ottschofski / Wertung: * * * * * (5 von 5)



Filmdaten

Adams Äpfel
(Adams æbler)

Dänemark 2005
Regie & Drehbuch: Anders Thomas Jensen;
Darsteller: Ulrich Thomsen (Adam Pedersen), Mads Mikkelsen (Ivan), Nicolas Bro (Gunnar), Paprika Steen (Sarah Svendsen), Ali Kazim (Khalid), Ole Thestrup (Dr. Kolberg), Nikolaj Lie Kaas (Holger) u.a.;
Produzenten: Mie Andreasen, Tivi Magnusson; Kamera: Sebastian Blenkov; Musik: Jeppe Kaas; Schnitt: Anders Villadsen;

Länge: 95 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih der Delphi Filmverleih GmbH; deutscher Kinostart: 31. August 2006



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