Zur vollständigen Darstellung der Seite aktivieren Sie bitte Javascript. Filmrezension: Hannibal
 

Filmfestival
Max Ophüls Preis
2014


von Michael Dlugosch


Es war eine intensive Festivalwoche, erklärten die beiden Festivalleiter des Max Ophüls Preises, Gabriella Bandel und Philipp Bräuer. Das war sie, für alle Beteiligten, vom Montag, dem 20. bis Sonntag, dem 26. Januar 2014. Intensiv war die Woche vor allem für die Teilnehmer, die über die Festivalpreise zu entscheiden hatten: Die Jury des Hauptwettbewerbs Langfilm beispielsweise sichtete in vier Tagen, Dienstag bis Freitag, von morgens bis spät abends sechzehn Spielfilme. Das 35. Filmfestival Max Ophüls Preis bot außerdem weitere Wettbewerbs- und Nebenreihen auf mit insgesamt 157 Filmen. In der Filmszene nimmt das Ophüls-Festival einen wichtigen Platz ein, es ist eines der wichtigsten Foren für den jungen deutschsprachigen Film. Nachwuchsregisseure kommen gerne nach Saarbrücken. Ihre ersten Filme finden hier große Aufmerksamkeit. Mit etwas Glück tragen sie die ersten Auszeichnungen und etwas Geld nach Hause. Der Sieger des Hauptwettbewerbs Langer Spielfilm ist mit einem Preisgeld von 18.000 Euro und einer Verleihförderung in gleicher Höhe ausgestattet. Der Preisträger ist im Februar in einer Sektion der Berlinale zu sehen. Der 1981 geborene Berliner Filmemacher Jakob Lass gewann die Siegertrophäe für "Love Steaks".

"Ein Masseur. Eine Köchin. Ein junges Paar auf's Maul." Diese kurze Beschreibung wird demnächst deutschlandweit auf Filmplakaten zu lesen sein. So schief und verdreht wie der Abschlusssatz dieser Deskription ist auch der dazugehörige Film, der am Samstag, dem 25. Januar 2014 die Hauptauszeichnung, den Max Ophüls Preis, gewann: "Love Steaks". Die Jury war begeistert. Er sei "nicht nur ein Film, sondern vielmehr ein Geschenk an die Zuschauer, das nur so strotzt vor Kraft, Spielfreude, Farben und Liebe und einmal mehr zeigt, wozu Kino in der Lage ist." Spielfreude kann man den Darstellern nicht absprechen. Trotzdem: Der Film hinterlässt einen unfertigen, manchmal schlichten Eindruck. Wer Filme des dänischen Regisseurs Lars von Trier kennt, zum Beispiel "Idioten", weiß in etwa, was bei "Love Steaks" beabsichtigt war. Jakob Lass hält sich an die von Lars von Trier einst aufgestellten Dogmen-Regeln. Unter anderem: eine wackelnde, Authentizität suggerierende Handkamera. Kein künstliches Licht. Dreh außerhalb eines Studios. Aber Jakob Lass ist nicht von Trier.

Gedreht wurde in einem Hotel, mit teilweise echten Hotelangestellten. Der frisch ausgebildete Masseur Clemens (Franz Rogowski) bekommt einen Job in einem Luxushotel an der Ostsee. Er und die Küchenazubine Lara (Lana Cooper) verlieben sich ineinander. Die extrovertierte Lara hat ein Alkoholproblem; Clemens ist schüchtern. Es folgt ein Katz-und-Maus-Spiel der Gefühle. Denn die beiden jungen Leute lieben sich zwar innig, prügeln sich aber auch gerne verbal – und nicht nur verbal. Jakob Lass ließ den Darstellern Raum für Improvisation. Den nutzen sie für viele sinnfreie Dialoge und Aktionen. Franz Rogowski nuschelt sich durch seine Rolle, so wie Lass sich durch seine Regie wurschtelt. Es ist erkennbar, warum die Jury "Love Steaks" mochte: Der Film ist zwar anders als die anderen Filme des Hauptwettbewerbs. Aber er ist nicht besonders originell. Er ist vielmehr ein recht unbeholfener Versuch, originell zu sein.

Bereits auf dem Münchner Filmfest 2013 räumte "Love Steaks" alle vier möglichen Auszeichnungen des Förderpreises Neues Deutsches Kino ab, darunter auch den Drehbuchpreis, obwohl der Film kein richtiges Drehbuch hat. "Love Steaks" kommt am 27. März 2014 in die Kinos. Der Film hatte zwar schon vorher einen Verleih (daredo media), doch mithilfe des Max Ophüls Preises ist nun ein größerer Kinostart möglich: Die 36.000 Euro Preisgeld werden zu gleichen Teilen aufgeteilt auf Produktion und Verleihförderung.

Die meisten Filme auf dem 35. Filmfestival Max Ophüls Preis waren ansonsten oft erstaunlich professionell inszeniert. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt: Es sind Jungfilmer, Nachwuchsregisseure, die in Saarbrücken ihren ersten bis dritten Film vorstellen. Einer der perfekt gedrehten Filme ist "Und morgen Mittag bin ich tot", ein Spielfilmdebüt von Frederik Steiner. Der Regisseur hatte zuvor Erfahrung mit Kurzfilmen und dem TV-Katastrophenfilm "Die Todeswelle – Eine Stadt in Angst" (2000) gesammelt. Steiner, 1975 geboren, wagt sich an ein brisantes Thema: Freitod durch Sterbehilfe. Mehr noch: Es ist eine sehr junge Frau, die freiwillig aus dem Leben scheiden will. Die 22-jährige Lea (Liv Lisa Fries) hat Mukoviszidose, eine schwere Lungenkrankheit, und nur noch wenige Monate zu leben. Lea fährt in die Schweiz. Dort ist Sterbehilfe legal, in Deutschland nicht. Von Zürich aus ruft sie ihre Familie herbei. Einen Tag, ihren Geburtstag, möchte sie noch mit ihren Vertrauten verbringen und dann in ihrem Beisein ein tödliches Getränk zu sich nehmen. Aber die Mutter (Lena Stolze) will dies nicht einfach akzeptieren. Ein Konflikt bahnt sich an.

Wie aktuell der Film ist, zeigt eine Nachricht vom 27. Januar, einen Tag nach dem Festival: Katholische Bischöfe forderten das Verbot von organisierter Sterbehilfe. Über das Thema kann man verschiedener Meinung sein – wie der Film umgesetzt ist, ist hervorragend. Auf dem Festival sah man keinen Film, in dem die Darsteller besser geführt wurden als in "Und morgen Mittag bin ich tot": Frederik Steiner weiß mit Schauspielern umzugehen, sie in Szene zu setzen. Liv Lisa Fries in der Hauptrolle bekam verdientermaßen die Auszeichnung als Beste Nachwuchsdarstellerin. Vermutlich wegen der Sterbehilfe-Kontroverse ging der Film bei der Jury ansonsten leer aus.

Die Jury bestand aus dem Co-Regisseur des Vorjahressiegers "Der Glanz des Tages", Rainer Frimmel, den Schauspielern Götz Otto und Ronald Zehrfeld, der Produzentin Maria Köpf und der Schweizer Casterin Corinna Glaus. Frau Glaus geriet, ohne dass es die Öffentlichkeit groß mitbekam, zweimal in einen Interessenkonflikt. Sie war die Co-Casterin bei zwei Wettbewerbsfilmen, "Viktoria – A Tale of Grace and Greed" und "Sitting Next to Zoe". Letzterer erhielt einen Preis, allerdings keinen, über den Corinna Glaus mitentschied: den Fritz-Raff-Drehbuchpreis, verliehen durch eine andere Jury.

"Sitting Next to Zoe", ein Schweizer Film, erzählt die Geschichte zweier miteinander befreundeter Schülerinnen. Zoe (Runa Greiner), 15, hat daheim Stress. Sie darf nicht mit Asal (Lea Bloch) aufs Gymnasium wechseln, da ihre schulischen Leistungen es nicht zulassen. Sie träumt dafür von einer Karriere als Make-Up-Artistin. Asal möchte endlich ihre Unschuld verlieren. Zoe hilft ihr bei der Suche nach einem Mann, der dafür in Frage kommt. Sie finden ihn in Kai (Charlie Gustafsson), einem jungen Schweden. Zu dritt machen sie sich auf einen Trip in die Alpen. Dann geschieht etwas, das die Freundschaft der beiden Mädchen auf die Probe stellen wird. Überzeugende junge Darstellerinnen ergänzen eine von Regisseurin Ivana Lalovic sehenswert inszenierte Handlung.

Den Film "Viktoria – A Tale of Grace and Greed" über eine ungarische Prostituierte in Zürich kennzeichnet knallharter Realismus. "Pretty Woman" mit Julia Roberts und Richard Gere schrumpft im Vergleich mit "Viktoria – A Tale…" zu dem, was er eigentlich ist, zu einem Märchenfilm, auch Ken Russells "Die Hure" sieht blass aus verglichen mit dem Film des 1968 in Chur geborenen Regisseurs Men Lareida: Wie der Alltag einer Prostituierte wirklich ist, nämlich alles andere als märchenhaft, zeigt Lareida ohne Beschönigung am Beispiel Viktorias (Franciska Farkas). In der Masse der guten Filme des Wettbewerbs ging "Viktoria – A Tale…" leider leer aus.

Der politisch brisanteste Wettbewerbsbeitrag war "Der blinde Fleck". Auch dem Film war keine Auszeichnung vergönnt. Benno Fürmann spielt Ulrich Chaussy, einen Hörfunkjournalisten des Bayerischen Rundfunks. Chaussy lässt sich mit dem Statement der Behörden nicht abspeisen, das Oktoberfest-Attentat 1980 sei von einem Einzeltäter verübt worden, und ermittelt jahrelang investigativ weiter. Der Journalist entdeckt: Der Attentäter hatte Komplizen in der rechten Szene. Dies passte der Regierung Franz Josef Strauß kurz vor den Bundestagswahlen 1980 nicht. "Der blinde Fleck" verweist an seinem Ende auf die NSU-Terrorakte, bei denen der Staat ebenfalls auf dem rechten Auge blind war. Immerhin hat der Film dieser Tage die Bayerische Staatsregierung zum Umdenken verleitet. Jetzt wird wieder ermittelt, 34 Jahre später.

Chaussy gibt es wirklich; der BR-Journalist kam auch nach Saarbrücken. Auf seinen Recherchen und seinem Buch basiert der interessante Film, der Chaussys Erfahrungen bei den Ermittlungen wiedergibt. "Der blinde Fleck" konzentriert sich so sehr auf die Nachforschungen, dass manche Figuren eindimensional bleiben, zum Beispiel degradiert der Film Chaussys Frau (Nicolette Krebitz) zur Stichwortgeberin, manchmal zur meckernden Eifersüchtigen. "Der blinde Fleck" startete schon in den deutschen Kinos, als der Film noch im Saarbrücker Wettbewerb lief.

Ebenfalls im Wettbewerb: "Totale Stille", ein Genrefilm über einen Amoklauf. Zwei junge Männer führen den Amoklauf gemeinsam durch. Sie überfallen ihre Universität, die fiktive Carl-Friedrich-Gauß-Universität Berlin. Nicht alle Studenten und Professoren können rechtzeitig fliehen, manche verschanzen sich vor den Attentätern in vermeintlich sicheren Räumen. Regisseurin Zarah Ziadi verpasst es, die realistische Anlage ihres Films konsequent durchzuhalten, am Ende des Films gibt es, wie Ziadi es selbst in Saarbrücken genannt hat, eine "Gewaltphantasie". Das Drehbuch von Jens Becker und Ziadis Regie setzen zum Teil auf peinliche Soap-Opera-Elemente, um ihre Story zu erzählen.

Zarah Ziadi war eine von immerhin sechs Regisseurinnen im sechzehn Filme umfassenden Hauptwettbewerb des Max Ophüls Preises 2014. Die Zahl dürfte einer der anderen Regisseurinnen, Isabell Suba, besonders gefallen haben. Bei den 65. Internationalen Filmfestspielen in Cannes 2012 war das anders: Keine einzige Regisseurin war im Hauptwettbewerb von Cannes vertreten. Das empörte Suba. Die deutsche Regisseurin durfte dort ihren Kurzfilm "Chica XX Mujer" vorführen. Isabell Suba dachte sich etwas aus, woraus sie ihr Langfilmdebüt machte, das jetzt in Saarbrücken im Wettbewerb lief: "Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste". Den Film drehte Suba während Cannes 2012 mit Schauspielerin Anne Haug als Isabell Suba und ihrem Produzenten Matthias Weidenhöfer als David, Produzent der falschen Suba. Die echte Suba akkreditierte sich unter anderem Namen. Und filmte die falsche Suba und David in ihrem Geschlechterkampf. Auch auf der Bühne bei der Kurzfilmvorführung in Cannes trat Anne Haug als Isabell Suba auf, was in "Männer zeigen Filme..." kurz vorkommt.

In dem in Saarbrücken gezeigten Film geht es weniger um Subas Empörung über die mangelnde Präsenz von Regisseurinnen in Cannes, als vielmehr um die Auseinandersetzung zweier egozentrischer Streithähne. Die beiden kriegen sich während des Festivals ständig in die Haare, weil Produzent David, ein Chauvinist, unfähig ist, etwas zu organisieren, dafür selbstbewusst genug, sich gegenüber Suba zu verteidigen. Suba ihrerseits ist nicht in der Lage, bei Davids Fehlern ruhig zu bleiben. Der Fight beider gegeneinander trotz Abhängigkeit voneinander ist herrlich gefilmt und wurde gleich mit zwei Saarbrücker Festivalpreise gewürdigt, dem neugestifteten "Preis für den gesellschaftlich relevanten Film", verliehen ebenfalls durch die Hauptjury, und der Auszeichnung der Jugendjury als Bester Film.

Einer der letzten Sätze in "Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste" lautet: "Lasst uns doch einfach mal schauen, was die anderen so für Filme machen." Dies kann man als Motto für das 35. Filmfestival Max Ophüls Preis 2014 verstehen. Aufgeführt wurden viele sehenswerte Filme. Die Nachwuchsfilmer bewiesen ihr oft professionelles Können.

Zwei Nachträge: Am letzten Tag des Festivals schlug die Saarbrücker Verkehrspolizei mit einer Strafe zu. Der breite, von der Straße durch einen Grünstreifen abgetrennte Bürgersteig vor dem CineStar, in dem die meisten Festivalfilme gezeigt werden, müsse unbedingt frei bleiben. Auf dem Bürgersteig hielten stets für kurze Zeit die Festivaltaxis und -shuttles, um prominente Gäste wie Corinna Harfouch, Benno Fürmann oder Heiner Lauterbach in Empfang zu nehmen oder aussteigen zu lassen. Das Festival bekam ein Protokoll aufgebrummt, Co-Festivalleiterin Gabriella Bandel war zu recht außer sich. Der Max Ophüls Preis ist das Aushängeschild der Stadt Saarbrücken, des Saarlandes schlechthin und eines der wichtigsten Filmfestivals Deutschlands. Man kann mit dem Dienst nach Vorschrift auch übertreiben.

Und in eigener Sache: Matthias vom Schemm, der einst für filmrezension.de u.a. "Alien" und "Der weiße Hai" rezensierte, macht als Regisseur und Drehbuchautor Karriere in der Filmbranche. In Saarbrücken begleitete vom Schemm den Film "A Promised Rose Garden", für den er das Drehbuch schrieb. Der Film lief im Wettbewerb Mittellanger Film, ging aber leer aus.





Quelle der Fotos siehe jedes einzelne Foto

 

alle Preisträger 2014:


Max Ophüls Preis:
Love Steaks
Regie: Jakob Lass

Filmpreis der saarländischen Ministerpräsidentin:
Familienfieber
Regie: Nico Sommer

Beste Nachwuchsdarstellerin:
Liv Lisa Fries (Film Und morgen Mittag bin ich tot)

Bester Nachwuchsdarsteller:
Vincent Krüger (Film Sunny; Regie: Barbara Ott)

Fritz-Raff-Drehbuchpreis:
Sitting Next to Zoe
Regie: Ivana Lalovic

Publikumspreis:
High Performance
Regie: Johanna Moder

Preis der Jugendjury:
Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste
Regie: Isabell Suba

Preis für den gesellschaftlich relevanten Film:
Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste
Regie: Isabell Suba

Kurzfilmpreis:
Wo wir sind
Regie: Ilker Catak

Publikumspreis Kurzfilm:
Alter Egon
Regie: Levin Hübner

Interfilmpreis:
Seme - Schlage nicht um zu gewinnen...
Regie: Il Kang

Publikumspreis Mittellanger Film:
Besuch im Wald
Regie: David und Elena Gruschka

Dokumentarfilmpreis:
Earth's Golden Playground
Regie: Andreas Horvath

Förderpreis der DEFA-Stiftung:
Journey to Jah
Regie: Noel Dernesch, Moritz Springer




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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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