02.02.2006
Über
die Liebe von Johnny Cash zu June Carter
Walk The Line
Als kleiner Junge legte Johnny Cash in den 40-er Jahren sein Ohr
ans Radio und lauschte dem Country-Kinderstar June Carter. 1968
machte Johnny Cash, inzwischen selbst zum Idol geworden, June Carter
einen Heiratsantrag – nicht in romantischer Zweisamkeit,
sondern im ausverkauften Konzertsaal, und auch nicht den ersten,
sondern
den 40.! Johnny Cashs Leben bietet viel Erzählenswertes, doch "Walk
The Line" verfolgt konsequent diesen einen Schwerpunkt: Die
Geschichte der Liebe von Johnny Cash zu June Carter. Durch diese
Selbstbeschränkung sowie die vielseitig hochtalentierten Schauspieler
vermag "Walk The Line" grandios zu unterhalten und
zugleich einen weiteren Zugang zu Johnny Cashs Werk zu öffnen.
Der private Johnny Cash ist der Öffentlichkeit vor allem
durch seine schwarze Kleidung und seine Liebe zu June Cash bekannt.
Weniger verbreitet ist die Zeit davor. Der Film beleuchtet auch
diese frühen Jahre, die zum Verständnis der Liebesgeschichte,
aber auch vieler späterer Lieder Cashs wesentlich beitragen.
1932 wurde Johnny Cash in Arkansas geboren. Die Eltern waren arm,
die Arbeit in den Baumwollfeldern hart, und der trinksüchtige
Vater hielt Johnny für einen Taugenichts. Johnnys Mutter allerdings
vermochte die Spannung zu glätten, indem sie mit den Kindern
Lieder sang. Eine weitere willkommene Abwechslung war das Radio – besonders
die Lieder von June Carter. Als Johnny Cash zur Luftwaffe nach
Landsberg am Lech eingezogen wurde, schenkte seine Mutter ihm ihr
Liederbuch. Mehr als eine Dokumentation es könnte, vermittelt
die konkrete Veranschaulichung durch den Film den unermesslichen
Wert des Geschenks. Und ermöglicht so ein tieferes Verständnis
des Werkes Cashs: Gleich mehrere Alben rekurrieren auf dieses Buch – insbesondere
das letzte, das Johnny Cash kurz vor seinem Tod 2003 aufnahm: „My
Mother's Hymn Book“.
Eine Leistung des Films besteht also darin, bis dahin weithin unbekannte Fakten bekannter zu machen. Die noch weitaus größere Leistung ist es jedoch, schon bekannte Tatsachen um die Nachfühlbarkeit von Emotionen zu ergänzen. Durch Dokumentationen und Biographien ist die Liebesgeschichte berühmt, doch um die Liebesgeschichte nachzuempfinden und in der Konsequenz die dadurch geprägten Lieder Cashs in ihrer Tiefe verstehen zu können, reichen keine Fakten. „Walk The Line“ verschafft einen Einblick in die emotionalen Zusammenhänge: Johnny Cash, der Finsterling, dem lebenslanges Leiden an der Welt nachgesagt wird, wird durch die Liebe zu June Carter, einer fröhlichen und zugleich lebenserfahrenen Frau aus der Tiefe gerissen. Seit der ersten Begegnung, bei der beide hinter der Bühne gegeneinander stolpern und sich Junes Kleid im Cashs Gitarrengurt verhakt, fühlt der Zuschauer mit Cash die kaum auszuhaltende emotionale Spannung, die zwei Stunden später im von Schauspielern und Regisseur hervorragend inszenierten Heiratsantrag auf der Bühne gipfelt. Die Bereicherung der Verständlichkeit von Cash durch den Gesamtfilm wird erst durch die hervorragenden Einzelleistungen ermöglicht, insbesondere von Regie, Ton und Schauspielern, allen voran Cash-Darsteller Joaquin Phoenix. Phoenix hat über ein Jahr lang gelernt, sich zu bewegen wie Cash, zu singen und Gitarre zu spielen wie er. Und so sind die Lieder des Cash-Doubles fast genauso mitreißend wie die des Originals. Durch Lernen allein ist die Authentizität seines Spiels jedoch kaum zu erklären. Statt dessen gibt es Parallelen im Leben: Cash litt unter dem Tod seines Bruders. Phoenix' Bruder River brachte es zum Hollywood-Star, ehe er an Drogen starb. Cash kam aus armen Verhältnissen. Phoenix wurde in Puerto Rico geboren und verdiente sein erstes Geld durch Straßenauftritte. Eine Frage hingegen wirft der Titel auf. Mit „I Walk The Line“ schaffte es Johnny Cash erstmals an die Spitze der Charts (1956). In der Biographie „Man in Black“ erklärt Cash den Hintergrund: Er habe ein Lied schreiben wollen, das Aufrichtigkeit ausdrückt – gegenüber seinen Zuhörern und Freunden, aber auch gegenüber sich selbst und Gott. Ein Lied, das dem Publikum und ihm selbst Mut gibt. Die englische Phrase „Walk The Line“ beschreibt eine moralische Grenze, der man zwar nahe kommt, die man jedoch nicht überschreitet. Bei diesen Hintergründen drängt sich allerdings die Frage auf, ob es nicht passendere Titel für den Film gegeben hätte als einen Hit aus einer Zeit, in der Johnny Cash und June Carter sich noch gar nicht begegnet waren – etwa „Jackson“, das Duett des Heiratsantrages 1968, oder „Ring of Fire“, das June Carter für ihren Mann schrieb. Auch das Casting scheint durchaus zweiseitig zu sein – auf den ersten Blick. Vergleicht man das Äußere von Johnny Cash und June Carter mit Phoenix und Reese Witherspoon, so ist zwar eine Grundähnlichkeit nicht zu bestreiten. Die Darsteller wirken jedoch wie zwei nach Hollywoodscher Waschanleitung weichgespülte Kopien der Originale. Während die Darsteller ästhetisch-perfekt sind, waren Johnny Cash und June Carter Charakterköpfe, keine Schönheitsideale. Johnny Cash sah schon als junger Mann aus wie ein Eigenbrötler, mit klobiger Figur und steifer Haltung, ohne die Eleganz des Film-Cashs. June Carter hingegen hatte harte Gesichtszüge und strahlte keine liebliche Schönheit aus wie Reese Witherspoon. Doch sind diese Abweichungen wirklich dem Hollywood-Klischee zuzuschreiben? Sicherlich wird die märchenhafte Liebesgeschichte so noch überhöht, sie wird „bigger than life“. Doch kritisieren lässt sich die Besetzung angesichts der Klasse kaum. Phoenix und Witherspoon wirken nahezu wie die Originale, singen nahezu wie die Originale – dass sie nicht auch noch genau so aussehen, ist verschmerzbar. Und dass sich die Abweichung in Richtung ästhetischer Perfektionierung bewegt, auch. Hervorzuheben
sind des Weiteren die Toningenieure. Durch sie gelangen die Lieder
des Films zwar nicht zu neuer musikhistorischer Bedeutung,
verbreiten allerdings eine Dynamik, die in der Zeit der Originalaufnahmen
nicht möglich war. So manches Cash-Original ist bis heute
nur in Mono zu haben und in dieser technischen Qualität dem
modernen Dolby-System unterlegen. Und so ist es kein Sakrileg,
dass ein Soundtrack der Cash-„Coverband“ veröffentlicht
wurde.
Tobias Vetter /
Wertung:
* * * * *
(5 von 5)
Quelle der Fotos: 20th Century Fox Filmdaten Walk The Line Originaltitel: Walk the Line (USA 2005) Regie: James Mangold; Buch: Gill Dennis, James Mangold; Darsteller: Joaquin Phoenix (Johnny Cash), Reese Witherspoon (June Carter), Ginnifer Goodwin (Cashs erste Frau Vivian), Robert Patrick (Ray Cash), Dallas Roberts (Sam Phillips), Dan John Miller (Luther Perkins), Larry Bagby (Marshall Grant), Shelby Lynne (Carrie Cash), Tyler Hilton (Elvis Presley), Waylon Payne (Jerry Lee Lewis), Shooter Jennings (Waylon Jennings), Sandra Ellis Lafferty (Maybelle Carter), Dan Beene (Ezra Carter), Johnathan Rice (Roy Orbison), Lucas Till (junger Jack Cash) u.a.; Länge: 136 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; Verleih: 20th Century Fox; Film-Homepage: www.walktheline-derfilm.de Auszeichnungen: Golden Globe (2005), Oscar-Nominierungen (2006) |
|