Als kleiner Junge legte Johnny Cash in den 40-er Jahren sein Ohr
ans Radio und lauschte dem Country-Kinderstar June Carter. 1968
machte Johnny Cash, inzwischen selbst zum Idol geworden, June Carter
einen Heiratsantrag – nicht in romantischer Zweisamkeit,
sondern im ausverkauften Konzertsaal, und auch nicht den ersten,
sondern
den 40.! Johnny Cashs Leben bietet viel Erzählenswertes, doch "Walk
The Line" verfolgt konsequent diesen einen Schwerpunkt: Die
Geschichte der Liebe von Johnny Cash zu June Carter. Durch diese
Selbstbeschränkung sowie die vielseitig hochtalentierten Schauspieler
vermag "Walk The Line" grandios zu unterhalten und
zugleich einen weiteren Zugang zu Johnny Cashs Werk zu öffnen.
Der private Johnny Cash ist der Öffentlichkeit vor allem
durch seine schwarze Kleidung und seine Liebe zu June Cash bekannt.
Weniger verbreitet ist die Zeit davor. Der Film beleuchtet auch
diese frühen Jahre, die zum Verständnis der Liebesgeschichte,
aber auch vieler späterer Lieder Cashs wesentlich beitragen.
1932 wurde Johnny Cash in Arkansas geboren. Die Eltern waren arm,
die Arbeit in den Baumwollfeldern hart, und der trinksüchtige
Vater hielt Johnny für einen Taugenichts. Johnnys Mutter allerdings
vermochte die Spannung zu glätten, indem sie mit den Kindern
Lieder sang. Eine weitere willkommene Abwechslung war das Radio – besonders
die Lieder von June Carter. Als Johnny Cash zur Luftwaffe nach
Landsberg am Lech eingezogen wurde, schenkte seine Mutter ihm ihr
Liederbuch. Mehr als eine Dokumentation es könnte, vermittelt
die konkrete Veranschaulichung durch den Film den unermesslichen
Wert des Geschenks. Und ermöglicht so ein tieferes Verständnis
des Werkes Cashs: Gleich mehrere Alben rekurrieren auf dieses Buch – insbesondere
das letzte, das Johnny Cash kurz vor seinem Tod 2003 aufnahm: „My
Mother's Hymn Book“.
Eine
Leistung des Films besteht also darin, bis dahin weithin unbekannte Fakten
bekannter zu machen. Die noch weitaus größere
Leistung ist es jedoch, schon bekannte Tatsachen um die Nachfühlbarkeit
von Emotionen zu ergänzen. Durch Dokumentationen und Biographien
ist die Liebesgeschichte berühmt, doch um die Liebesgeschichte
nachzuempfinden und in der Konsequenz die dadurch geprägten
Lieder Cashs in ihrer Tiefe verstehen zu können, reichen keine
Fakten. „Walk The Line“ verschafft einen Einblick
in die emotionalen Zusammenhänge: Johnny Cash, der Finsterling,
dem lebenslanges Leiden an der Welt nachgesagt wird, wird durch
die Liebe zu June Carter, einer fröhlichen und zugleich lebenserfahrenen
Frau aus der Tiefe gerissen. Seit der ersten Begegnung, bei der
beide hinter der Bühne gegeneinander stolpern und sich Junes
Kleid im Cashs Gitarrengurt verhakt, fühlt der Zuschauer
mit Cash die kaum auszuhaltende emotionale Spannung, die zwei Stunden
später im von Schauspielern und Regisseur hervorragend inszenierten
Heiratsantrag auf der Bühne gipfelt.
Die Bereicherung der Verständlichkeit von Cash durch den
Gesamtfilm wird erst durch die hervorragenden Einzelleistungen
ermöglicht, insbesondere von Regie, Ton und Schauspielern,
allen voran Cash-Darsteller Joaquin Phoenix. Phoenix hat über ein
Jahr lang
gelernt, sich zu bewegen wie Cash, zu singen und Gitarre
zu spielen
wie er. Und so sind die Lieder des Cash-Doubles fast genauso
mitreißend wie die des Originals. Durch Lernen allein ist
die Authentizität seines Spiels jedoch kaum zu erklären.
Statt dessen gibt es Parallelen im Leben: Cash litt unter dem Tod
seines Bruders. Phoenix' Bruder River brachte es zum Hollywood-Star,
ehe er an Drogen starb. Cash kam aus armen Verhältnissen.
Phoenix wurde in Puerto Rico geboren und verdiente sein erstes
Geld durch
Straßenauftritte.
Eine Frage hingegen wirft der Titel auf. Mit „I Walk The
Line“ schaffte
es Johnny Cash erstmals an die Spitze der Charts (1956). In der
Biographie „Man in Black“ erklärt Cash den Hintergrund:
Er habe ein Lied schreiben wollen, das Aufrichtigkeit ausdrückt – gegenüber
seinen Zuhörern und Freunden, aber auch gegenüber sich
selbst und Gott. Ein Lied, das dem Publikum und ihm selbst Mut
gibt. Die englische Phrase „Walk The Line“ beschreibt
eine moralische Grenze, der man zwar nahe kommt, die man jedoch
nicht überschreitet.
Bei diesen Hintergründen drängt sich allerdings die Frage
auf, ob es nicht passendere Titel für den Film gegeben hätte
als einen Hit aus einer Zeit, in der Johnny Cash und June Carter
sich noch gar nicht begegnet waren – etwa „Jackson“,
das Duett des Heiratsantrages 1968, oder „Ring of Fire“,
das June Carter für ihren Mann schrieb.
Auch
das Casting scheint durchaus zweiseitig zu sein – auf
den ersten Blick. Vergleicht man das Äußere von Johnny
Cash und June Carter mit Phoenix und Reese Witherspoon, so ist
zwar eine Grundähnlichkeit nicht zu bestreiten. Die Darsteller
wirken jedoch wie zwei nach Hollywoodscher Waschanleitung weichgespülte
Kopien der Originale. Während die Darsteller ästhetisch-perfekt
sind, waren Johnny Cash und June Carter Charakterköpfe, keine
Schönheitsideale. Johnny Cash sah schon als junger Mann aus
wie ein Eigenbrötler, mit klobiger Figur und steifer Haltung,
ohne die Eleganz des Film-Cashs. June Carter hingegen hatte harte
Gesichtszüge und strahlte keine liebliche Schönheit
aus wie Reese Witherspoon. Doch sind diese Abweichungen wirklich
dem Hollywood-Klischee zuzuschreiben? Sicherlich wird die märchenhafte
Liebesgeschichte so noch überhöht, sie wird „bigger
than life“. Doch kritisieren lässt sich die Besetzung
angesichts der Klasse kaum. Phoenix und Witherspoon wirken nahezu
wie die Originale, singen nahezu wie die Originale – dass
sie nicht auch noch genau so aussehen, ist verschmerzbar. Und dass
sich
die
Abweichung in Richtung ästhetischer Perfektionierung bewegt,
auch.
Hervorzuheben
sind des Weiteren die Toningenieure. Durch sie gelangen die Lieder
des Films zwar nicht zu neuer musikhistorischer Bedeutung,
verbreiten allerdings eine Dynamik, die in der Zeit der Originalaufnahmen
nicht möglich war. So manches Cash-Original ist bis heute
nur in Mono zu haben und in dieser technischen Qualität dem
modernen Dolby-System unterlegen. Und so ist es kein Sakrileg,
dass ein Soundtrack der Cash-„Coverband“ veröffentlicht
wurde.
Walk The Line
Originaltitel: Walk the Line (USA 2005) Regie: James Mangold;
Buch: Gill Dennis,
James Mangold; Darsteller: Joaquin Phoenix (Johnny
Cash), Reese Witherspoon (June Carter),
Ginnifer Goodwin (Cashs erste Frau Vivian), Robert Patrick (Ray Cash), Dallas
Roberts (Sam Phillips), Dan John Miller (Luther Perkins), Larry Bagby (Marshall
Grant), Shelby Lynne (Carrie Cash), Tyler Hilton (Elvis Presley), Waylon Payne
(Jerry Lee Lewis), Shooter Jennings (Waylon Jennings), Sandra Ellis Lafferty
(Maybelle Carter),
Dan Beene (Ezra Carter), Johnathan Rice (Roy Orbison), Lucas Till (junger Jack Cash) u.a.; Länge: 136
Minuten; FSK: ab 6 Jahren; Verleih: 20th Century Fox; Film-Homepage:www.walktheline-derfilm.deAuszeichnungen: Golden Globe (2005), Oscar-Nominierungen
(2006)
"Love is a burning thing and it makes a fiery ring
bound by wild desire."
Aus dem Lied "Ring of Fire" (1963), das June Carter
mit Johnny Cash schrieb.
Johnny
Cash
1932
26.02.: J. R. Cash wird in Kingsland, Arkansas,
geboren
1944
Bruder Jack stirbt bei einem Unfall. Johnny
Cash beginnt Gedichte zu schreiben.
1950
Militärdienst bei der US Air Force in Landsberg.
Erhält den Namen "John".
1954
Heirat mit Vivian Liberto. Gründung der
Band
"The Tennessee Two" in Memphis
1955
John nimmt als "Johnny Cash" bei Sam
Philipps "Hey Porter", "Cry, Cry, Cry" und "Folsom Prison"
auf. Geburt seiner ersten Tochter.
1956
"I Walk The Line" erster Nummer-Eins-Hit
(Country/Western-Charts).
1960
Erstes Gefängniskonzert in San Quentin (Kalifornien)
Wende 50er/60er
Cash lernt bei einem Konzert June Carter kennen.
Ehe zu Vivian leidet wegen Konzertreisen. Alkohol- und Drogenmissbrauch,
mehrere eintägige Gefängnisstrafen wegen
Drogenbesitzes.
1961
Johnny Cash und die Carter Family gehen gemeinsam
auf Tournee
1963
In "Ring of Fire " beschreiben Johnny Cash
und June Carter ihre verbotene Liebe.
Mitte der 60er
Scheidung Vivans vom drogenabhängigen Cash.Entziehungsversuche,
da June Carter ihm als Süchtigen
die Heirat verwehrt.
1967
Duett "Jackson" mit June Carter
1968
22.02.: Heiratsantrag
01.03.: Heirat mit June Carter.
Entschluss zur konsequenten Abstinenz nach Tod zweier Freunde. Konzert im Gefängnis
von Folsom.
ca. 1970
Schwarze Kleidung soll Ernst der Botschaft
signalisieren
1980
Aufnahme in die Country Music Hall of Fame
1986 ff
Columbia kündigt Plattenvertrag, Niedergang
der Karriere Cashs
1994
Comeback mit "American Recordings"
2003
15.05.: June Carter-Cash stirbt nach einer
Herzoperation
12.09.: Johnny Cash stirbt an Diabetes in
Nashville