12.02.2013
Die Unglücksbärchis

Vic + Flo haben einen Bären gesehen


Vic + Flo haben einen Bären gesehen: Pierrette Robitaille, Romane Bohringer "Kommt ziemlich oft vor, so was: Leute stolpern in Bärenfallen." Kommt sogar verdächtig oft vor, so was. Jedenfalls auf der 63. Berlinale. Da trat schon am zweiten Festivaltag in Thomas Arslans Wettbewerbsbeitrag "Gold" ein Protagonist in das fiese Gerät, was nach seiner Reaktion zu urteilen unangenehmer ist als wenn das einem bei einem Hundehaufen passiert. Denis Côtés vierter Langspielfilm bestätigt diesen Eindruck. Letztes tut seine filmische Abstraktion äußerst nachdrücklich, so dass bei niemandem im Publikum noch Fragen zum Thema Bärenfalle offen bleiben dürften. Lahme Scherzfrage: Was ist schlimmer als in eine Bärenfalle zu treten? Die Antwort darauf gibt "Vic + Flo ont vu un ours".

Gäbe es eine Preis für den originellsten Filmtitel, hätte der ebenfalls im Wettbewerb laufende "Vic + Flo haben einen Bären gesehen" gute Chancen darauf. Da diese Kategorie trotz zahlreicher aussichtsreicher Kandidaten immer noch nicht existiert, ergeht es dem frankokanadischen Regisseur wahrscheinlich wie seinen weiblichen Hauptfiguren. Die 61-jährige Victoria (Pierette Robitaille), die frisch aus dem Gefängnis von ihrer lebenslangen Haftstrafe auf Bewährung entlassen wurde, und ihre weit jüngere Freundin Florence (Romane Bohringer), die sich nicht mehr von ungebetenen Gästen wie Bewährungshelfer Guillaume (Marc-André Grondin) auf die Nerven gehen lassen muss, bekommen das Titeltier bis zuletzt nicht zu Gesicht. "Ich habe im Wald etwas gesehen. Einen Fuchs oder so", sagt Vic einmal, aber das ist auch alles, was sich an Fauna in den zugleich malerischen und vage bedrohlichen Wäldern herumtreibt. Dafür begegnen Vic, die halbherzig ihre eingerostete Beziehung mit Flo aufpoliert, und Flo, die alles auf jene einzige ihr erträgliche Gesellschaft setzt, vegetativen und animalischen menschlichen Zeitgenossen.

Vic + Flo haben einen Bären gesehen: Marie Brassard, Romane Bohringer Vics schmieriger Bruder Yvon (Guy Thauvette), der sich von den impliziten Forderungen der mittellosen Schwester und des invaliden Onkels Émile (Georges Molnar) mit ein paar Scheinen freikauft. Einen Go-Kart-Fahrer (Dany Boudereault) und einen Billardspieler (Ted Pluviose) aus der Ortskneipe, die Flo für One-Night-Stands aufgabelt. Einen wortlosen Handlanger (Ramon Cespedes), der Gitarrentöne als diegetischen Soundtrack spielt. Seine Auftraggeberin stellt sich Vic als Marina (Marie Brassard) vor und gibt ihr Ratschläge im Gärtnern. Flo hingegen stellt sie sich als Jacki vor und gibt ihr Stockschläge im Wald. "Da draußen ist es wie der Tod", sagt Flo, die bereits vor dem Racheakt, dessen Motivation wie nahezu alle der Tropen und Metaphern rätselhaft bleiben, spürt, dass im Dickicht Gefahren lauern. "Es regnet und gleichzeitig scheint die Sonne", beschreibt Vic eine der Naturallegorien, mit denen der Regisseur von "Bestiaire" die bizarre Stimmung zwischen Trübsinn und sarkastischer Komik bebildert. "Von Genre-Elementen inspirierte Autorenfilme können ziemlich interessant sein", erklärt Côté.

"Wenn die Balance stimmt, werden sie aufregende Hybriden. Aber das ist schwer zu erreichen." Zu schwer für die sich mit den Titelfiguren in der seelischen und landschaftlichen Wildnis verlierenden Groteske. "Vic + Flo" liest sich wie eine Gleichung, aber dramatisch und romantisch geht sie letztendlich nie auf. Chopins Der Trauermarsch in Moll, den ein Pfadfinder (Raoul Fortier-Mercier) gen Ende spielt, und Flos Schlusserkenntnis kommt nicht nur für sie, sondern auch die Zuschauer erlösend: "Es ist vorbei."  

Lida Bach / Wertung: * (1 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Yannick Grandmont

 
Filmdaten 
 
Vic + Flo haben einen Bären gesehen (Vic + Flo ont vu un ours) 
 
Kanada 2013
Regie & Drehbuch: Denis Côté;
Darsteller: Pierrette Robitaille (Victoria), Romane Bohringer (Florence), Marc-André Grondin (Guillaume), Marie Brassard (Jackie / Marina St-Jean) u.a.;
Produzenten: Stéphanie Morisette, Sylvain Corbeil; Kamera: Ian Lagarde; Schnitt: Nicolas Roy;

Länge: 90 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt



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der Film im Katalog der 63. Berlinale 2013
<12.02.2013>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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