21. Oktober 2004
struggle: Anstrengung, Streben, Kampf ums Dasein
Struggle
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Ruth Mader sagt über "Struggle" aus, dass der Film "nicht prime-time-tauglich" sei. Sie hat recht. Leider. Zeit für einen Paradigmenwechsel.
Man könnte den Film als kommunistischen Film bezeichnen. Besser ist es, ihn als österreichischen Film zu deklarieren, denn seine Machart steht in bester Tradition von Robert Musil und Thomas Bernhard über Helmut Qualtinger, Hermes Phettberg und Michael Haneke bis hin zur zum Zeitpunkt des deutschen Kinostarts von "Struggle" frisch gebackenen Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek: Diese österreichischen Kulturschaffenden haben einen Stil entwickelt, mit einer überwältigenden Portion Sarkasmus die Missstände und die Falschheit der österreichischen Gesellschaft auszusprechen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ruth Mader hat ebensoviel dazu zu sagen. Sie allerdings lässt ihre Protagonisten nicht viel aussprechen. Sie zeigt dafür alles, knallhart.
Ein Erdbeerfeld. Es ist windig. Ewa sammelt, wie andere Frauen auch. Wieder das Erdbeerfeld, ein anderer Tag. Es regnet. Ewa sammelt. Ein weiterer Tag. Das Erdbeerfeld. Weitere Früchte werden gesammelt, bezahlt wird nach Gewicht, schwarz. Am Abend bleibt Ewa stumm. Sie ist zu müde, um noch Konversation mit ihrer Tochter zu betreiben. Für diese und sich selbst nimmt sie einiges auf sich. Wie karg der Stundenlohn sein muss, erahnt man, wenn Ewa für einen neuen Job wie eine Prostituierte am Straßenrand steht. Einen neuen Job, den Ewa mit der gleichen derben Präzision durchführen wird. Die anhaltenden Autofahrer sind Freier ganz anderer Art, das Anschaffen ist hier Schaffen, Arbeiten, welche Drecksarbeit auch immer, schwarz.
Im Sommer 2004 wurde bekannt gegeben, dass sächsische Erdbeerpflücker diejenigen Menschen in Deutschland mit dem niedrigsten Stundenlohn - nicht einmal vier Euro - sind. Erdbeerpflücker. Ruth Mader weiß, was sie darstellt, wenn sie Ewa als Polin zum Arbeiten auf österreichische Felder schickt. Oder in Metzgereien, Fleisch zerschneiden, wieder in für den Zuschauer schmerzhaft endlosen Bildern. Oder zum Putzen eines Swimmingpools einer reichen Familie. Die Abgründigkeit ist beißend. Die Familie sieht man nicht. Bis der Sohn der Familie aus dem Haus tritt: "Meine Mutter lässt ausrichten, Sie dürfen jetzt Pause machen." Und verschwindet wieder im Haus. Dessen Mauern die Grenze der Wohlstandsbürger sind zu den - in deren Augen - Paria. Im Sommer 2004 gab ein deutscher Manager bekannt, aus seiner Sicht hätte er für acht Monate Arbeit sogar mehr verdient als die erhaltenen 30 Millionen Euro Abfindung. Ruth Mader weiß, warum sie "Struggle" gedreht hat. Warum sie den Film gedreht hat, wie sie ihn gedreht hat, ohne zuviele Verbalisierungen. Warum der Film so dermaßen zum Jahr 2004 passt, dem Jahr, in dem er in die Kinos kam, dem Jahr, in dem das Auseinanderklaffen der Arm-Reich-Schere endlich in seinen Dimensionen erkannt wird. Wir wissen das. Wir wissen auch, warum der Film in Deutschland mit gerade einmal vier Kopien in die Kinos kam. Denn kann der Film in seiner Machart wider alle Konventionen in der Lage sein, ein Publikum anzuziehen, haben wir, die Gesellschaft, vor, etwas an kaputten Verhältnissen zu ändern, aktiv? Ruth Mader schon.
Michael Dlugosch
/ Wertung:
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(5 von 5)
Filmdaten Struggle (Struggle) Österreich 2002 Regie: Ruth Mader; Darsteller: Aleksandra Justa (Ewa), Gottfried Breitfuß (Marold), Martin Brambach (Martin), Wiktoria Nowak (Simi), Margit Wrobel (Ärztin), Rainer Egger (Folterknecht) u.a.; Drehbuch: Ruth Mader, Martin Leidenfrost, Barbara Albert; Produktion: Ruth Mader, Struggle Films, Amour Fou Filmproduktion; Kamera: Bernhard Keller; Schnitt: Niki Mossböck; Co-Produzenten: Gabriele Kranzelbinder, Alexander Dumreicher-Ivanceanu Länge: 74 Minuten; ein Film im Verleih von GM films
Auszeichnungen:
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