28.11.2014

Philomena


Spätestens durch Peter Mullans Spielfilm "Die unbarmherzigen Schwestern" (2002) sind die unglaublichen Vorgänge bekannt geworden: Im streng katholischen Irland der letzten Jahrhundertmitte wurden junge Mädchen von Klosterschwestern gedemütigt und gequält. Unverheiratete Mütter mussten im Kloster entbinden und danach Zwangsarbeit leisten, um die "Sünden" zu büßen. Bei den Geburten war kein Doktor zugegen, Schmerzmittel wurden nicht verabreicht, Schmerzen waren die Strafe für die "Lust".

Eine weitere Bebilderung der furchtbaren Verhältnisse liefert der Film "Philomena" von Stephen Frears. Philomena Lee (Judi Dench) ist pensionierte Krankenschwester und erinnert sich am 50. Geburtstag ihres Sohnes Anthony an die Vergangenheit: Er wurde als uneheliches Kind mit vier Jahren zur Adoption freigegeben, für 1000 Pfund. In einer ergreifenden Szene im Kloster musste Philomena mit ansehen, dass ihr Kind von amerikanischen Adoptiveltern im Auto abgeholt wird. Heute aber will sie sich endlich auf die Suche nach dem verschollenen Sohn machen. Dabei hilft ihr der Reporter Martin Sixsmith (Steve Coogan), der sich von der Recherche eine gute Story verspricht. Im Kloster sind die Adoptionsunterlagen angeblich bei einem Brand vernichtet worden. In einer Kneipe erfährt Sixsmith jedoch, dass Beweismittel wohl absichtlich verbrannt worden sind. Der Reporter reist nun mit Philomena nach Washington. Dort stellt sich heraus, dass man Anthony einen neuen Namen gab, dass er zum Berater der Präsidenten Reagan und Bush sen. aufgestiegen war, dass er jedoch homosexuell war und – ein Schock für Philomena – schon 1995 an AIDS gestorben ist. Trotzdem will sie noch mehr über den Lebensweg ihres Sohnes wissen. Es gelingt ihr, mit Anthonys früherem Lebenspartner Pete Olsson Kontakt auszunehmen. Von ihm erfährt sie, dass Anthony sich seiner irischen Herkunft bewusst war, dass er vor seinem Tode noch in Irland war, um seine Mutter zu finden, und dass er sich sogar auf dem Klosterfriedhof beerdigen ließ. All dies hatten die Nonnen Philomena verschwiegen. Philomena und Martin reisen zum Kloster zurück, wo der Reporter die alte Schwester Hildegard zur Rede stellt. Die ist sich aber keiner Schuld bewusst und behauptet weiterhin, dass Mütter unehelicher Kinder Sünderinnen seien. Doch Philomena überwindet sich und vergibt ihr. Sie ist damit einverstanden, dass Martin ihre Geschichte publiziert.

Der Film basiert auf dem Buch "The Lost Child of Philomena Lee" von Martin Sixsmith und hat seit der Weltpremiere im August 2013 viele Auszeichnungen und Nominierungen erhalten. Hier wird mit großer Intensität ein menschliches und soziales Problem behandelt, dessen filmische Umsetzung den Zuschauer besonders berührt, weil hier keine Fiktionen, sondern Tatsachen geschildert werden. Tausende junger Frauen sind gequält worden. Sie mussten harte Arbeit leisten, ihre Haare wurden geschoren, Kontakte zu Familie und Freunden waren verboten, eine Stunde pro Tag durfte man sein Kind sehen, das Kind wurde einem fortgenommen, verkauft, und das Geld kam dem Kloster zugute. Es gab systematischen Missbrauch, der von pädophilen Priestern an jungen Menschen betrieben und von den Nonnen geduldet wurde. Das alles wurde in einem Bericht der irischen Regierung aus dem Jahre 2009 nachgewiesen.

Doch ein Einzelschicksal rührt stets mehr als statistische Zahlen. Judi Dench, die für ihre Leistung für einen Oscar nominiert war, spielt die Philomena mit einer eindringlichen Mischung aus Sanftmut, Bescheidenheit, aber auch Eigensinn und Entschlossenheit. Sie beharrt auf der Wahrheit des Satzes aus dem Neuen Testament: "Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm". Der Schmerz, der sich einstellt, wenn Sie ins Kloster zurückkehrt, wo sie die Hölle erlebte, spiegelt sich in ihrem faltenreichen Gesicht. Mit Martin bildet sie ein kontrastreiches Paar: Beide sind auf der Suche nach der Wahrheit, sie verhalten und ein bisschen naiv, er zynisch und kämpferisch, sie gläubig, er atheistisch. Das ergibt – meistens in Großaufnahmen präsentiert – einige Streitgespräche, die aber immer in friedlicher Atmospäre verlaufen. Coogan, der auch das Drehbuch verfasst hat, spielt wie Dench seine Rolle mit feinem Humor; so entsteht das Paradox, dass man öfter während der köstlichen Dialoge schmunzeln oder lachen muss, obwohl der Film von einer Tragödie handelt.

Die große Leistung des Regisseurs Stephen Frears ("Mein wunderbarer Waschsalon" 1985, "Gefährliche Liebschaften" 1988, "Die Queen" 2006) besteht darin, diese Balance zwischen Tragik und Heiterkeit geschaffen zu haben, so dass der Film niemals ins Melodramatische abrutscht. Das Schicksal dieser Frau, die an ihrem Leid nicht zerbricht, sondern ihren inneren Frieden findet, zeigt sich auch an ihrem Namen: "Philomena" ist griechisch und bedeutet „die der Liebe und Freundschaft treu bleibt; eine die geliebt wird".  

Manfred Lauffs / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Philomena (Philomena) 
 
GB 2013
Regie: Stephen Frears;
Darsteller: Judi Dench (Philomena), Steve Coogan (Martin Sixsmith), Michelle Fairley (Sally Mitchell), Sophie Kennedy Clark (die junge Philomena), Anna Maxwell Martin (Jane), Barbara Jefford (Schwester Hildegard) u.a.;
Drehbuch: Steve Coogan, Jeff Pope nach dem Buch von Martin Sixsmith; Produzenten: Steve Coogan, Tracey Seaward, Gabrielle Tana; Kamera: Robbie Ryan; Musik: Alexandre Desplat; Schnitt: Valerio Bonelli;

Länge: 98,27 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; ein Film im Verleih der Universum Film GmbH; deutscher Kinostart: 27. Februar 2014



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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