09.01.2003
"Wir sind Büßerinnen, wir müssen leiden. Schon vergessen?"
Die unbarmherzigen Schwestern
Peter Mullans "Die unbarmherzigen Schwestern" hat den Goldenen Löwen der Filmfestspiele Venedig 2002 gewonnen. Prämiert wurde ein Film über subtile Macht und Ohnmacht am Beispiel des katholischen Irland Mitte der 1960 Jahre.
![]() Die jungen Frauen werden ihres freien Willens, ihrer Selbsteinschätzung, ihrer Identität beraubt. Alle fühlen sich bald schuldig. Nur Bernadette ist von dem Unrecht - "Was haben wir denn getan?" - überzeugt und verliert nie ihr trotziges Gemüt, sie "will nicht enden, wie eine von denen" und versucht sich selbst zu retten, als Einzige. Sie hat die Alternative einer vermeintlich schützenden Familienidylle als Waise ohnehin nie erfahren. Ein Fluchtversuch scheitert an dem Wäscherei-Jungen Brandon, der sie kurz vor dem Ziel im Stich lässt. Margret findet einen zufälligen Weg aus dem Kloster und geht aus Angst vor der Außenwelt unbemerkt zurück zu ihren Peinigern. Nach vier Jahren wird sie unerwartet von ihrem jüngerer Bruder abgeholt aus deren bigotten Klauen: "Ist es zu fassen, dass es so einfach ist?"
Unvermeidbar bleiben Assoziationen der Bilder mit Konzentrationslagern, z.B. als alle Mädchen nackt vor den Nonnen stehen, die ihre kranken Spielchen mit ihnen treiben. "Ei, wer hat die größten Brüste von euch?" Das Quälen beschert den Schwestern Lust, trotzdem werden sie auch als Opfer gezeigt, längst des freien Geistes entwöhnt und Teil der Maschinerie, in der man nach oben buckelt und nach unten knüppelt. Wie zufällig wird die Erfindung der Waschmaschine, feierlich geweiht, in die Handlung eingestreut. Von da an löst sich ein Knoten, die Klosterfolter nimmt einen neuen Rhythmus als fehle ihr die Legitimation. Oft sieht man die Vorsteherin Bridget (Geraldine McEwan) die Einnahmen lächelnd zählen. "Einer der rentabelsten Geschäftsleute ganz Dublins" spendiert dem Heim eine Filmvorführung. Patricia und Bernadette schließlich gelingt es davon zu laufen, sie schlagen Randale und erhalten von Schwester Bridget selbst den Schlüssel zum Ausgang - im Tauschgeschäft mit dem Schlüssel zur Geldkassette. Aus Profitgier lässt sie die Schutzbefohlenen laufen. Patricia und Bernadette nehmen keine Rache und keine der anderen Mädchen nutzt die Gelegenheit ihnen zu folgen. In Freiheit freut sich Bernadette über eine Lehrstelle, denn "die können einem nichts tun, wenn man ehrbar ist."
Der aus Angst gespeiste Katholizismus steht exemplarisch, die Botschaft des Films: Jeder ist für sein Handeln verantwortlich. Mullan hält ein Plädoyer dafür, sich seines Verstandes zu bedienen. Er geht weiter: Wer das nicht tut, wird selbst böse - wie die alten Schwestern (die einst an Stelle der Margarets, Unas und der anderen waren) oder die Familien der Mädchen. Jeder selbst setzt die Maßstäbe nach denen er handelt und muss sich selbst gegenüber Rechenschaft ablegen. Für Mullan wird schuldig, wer sich nicht wehrt. Einem (maroden) Machtapparat kann man sich widersetzen, wie er an Margrets Bruder -"Ich musste erst älter werden" - oder dem Ausbruch zweier Mädchen, die an sich glauben, zeigt. Magdalenen-Heime hat es in Irland bis 1996 gegeben, über 30.000 Frauen waren dort. So zu lesen als Schlusswort Mullans auf der Leinwand.
Vera Schankath
/ Wertung:
* * * *
(4 von 5)
Filmdaten Die unbarmherzigen Schwestern (The Magdalene Sisters) Gb / Irland 2002 Regie und Drehbuch: Peter Mullan ("Orphans"; Schauspieler in "My Name is Joe" und "Das Reich und die Herrlichkeit") Darsteller: Geraldine McEwan (Schwester Bridget), Anne-Marie Duff (Margaret Maguire), Dorothy Duffy (Patricia / Rose), Eileen Walsh (Crispina), Nora-Jane Noone (Bernadette), Daniel Costello (Father Fitzroy), Mary Murray (Una) u.a.; Produktion: Frances Higson; Co-Produzent: Alan J. (Willy) Wands; Line Producer: Paddy Higson; Ausführende Produzenten: Ed Guiney und Paul Trijbits; Kamera: Nigel Willoughby; Produktionsdesign: Mark Leese; Schnitt: Colin Monie; Originalmusik: Craig Armstrong; Länge: 119 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Concorde Filmverleih Länge: 119 Minuten
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