April 2006
"I'm masquerading!"

No Direction Home:
Bob Dylan


No Direction HomeIn einer der stärksten Szenen des Johnny-Cash-Biopics "Walk the Line" versucht sein Manager den Man in Black dem Zeitgeist anzupassen: "Everyone goes electric!" Als einen Gewährsmann dieses Trends nennt er Bob Dylan. Doch hätte er kaum ein abschreckenderes Beispiel finden können als das des Folk- und angeblichen Protestsängers Dylan. Warum ihm so viele Fans und ehemalige Kollegen seinen Griff zu der elektrischen Gitarre übel nahmen und wie Dylan dadurch der Ausnahmekünstler wurde, der er heute ist, erklärt Martin Scorsese in seiner großartigen Dokumentation "No Direction Home: Bob Dylan".

Alles kreist um jenes berühmte "Royal Albert Hall"-Konzert, das Dylan am 17.5.1966 in Manchester gab. Nach der ersten akustischen Hälfte kommt seine Band auf die Bühne. Mit antirhythmischem Klatschen, Buh- und "Verräter!"-Rufen versuchen aufgebrachte Fans Dylan aufzuhalten. Kurz vor Ende dann der legendäre Ausruf "Judas!". Dylan, gedehnt, zugedröhnt: "I don't believe you." Einige Sekunden später: "You're a liar!". Zur Band: "Play it fucking loud!" Und genau so endet das Konzert, mit einer der besten Versionen von "Like a rolling stone" und fucking loud.

Welch Kontrast dazu die folgenden Szenen. Dylans Kindheit in Duluth, Nord-Minnesota, von ihm, dem medienscheuen und -verabscheuenden Rollenspieler, kommentiert. Viele Archivaufnahmen, Werbung, Wochenschauen und natürlich Musiker, deren Name heute und außerhalb der USA kaum einer kennt. Zu den berühmteren Minuteneinschnitten gehören der tragikomische Hank Williams, dann natürlich die Legende und Dylans frühes Vorbild Woody Guthrie, später auch Cash. Sie alle und viele mehr hat Dylan aufgesogen, als er im Dezember 1960 nach New York kommt. Hier spielt er sich durch die angesagten Beat-Kaffeehäuser in Greenwich Village, wird bald entdeckt, spielt das erste, noch sehr traditionelle Album ein. Schon mit dem zweiten, das vor allem eigene Kompositionen enthält und damit seine eigentliche Begabung unter Beweis stellt, gelingt langsam der Durchbruch. Zugleich gärt Amerika: Menschenrechts- und Antikriegsbewegungen suchen sich ihre Stimme im Folk und finden sie immer mehr in Dylan. Der Mann, dem jedes Label die Pest ist, bleibt aber trotz anfänglicher Konzessionen nicht lange dabei, spielt ab '65 mit Band und Elektrogitarre und wird zur persona non grata in den Reihen der Rebellen, die elektronisch verstärkte Musik mit Kommerz gleichsetzen.

So stellt uns Scorsese in seiner offenen Hommage die wichtigsten Jahre in Dylans Karriere vor. Doch Vorsicht: Hier ist nicht der belehrende Historiker, sondern der sich erinnernde Zeitzeuge am Werk. Wer die Interviewschnipsel, Auftritte und Privataufnahmen in ihrem Kontext verstehen will, der sollte sich schon einmal mit Dylan und seiner Zeit auseinandergesetzt haben, am besten wie Scorsese enthusiastischer Zeitgenosse sein. Für letzteren sind in ihrer Kürze auch die vielen Aufnahmen gedacht, die Kunde von Dylans Zeit geben sollen: Der Marsch auf Washington, Newport, JFK und Lee Harvey Oswald - dies und vieles mehr wird nur in berühmten Aufnahmen verdichtet angedeutet, eben in Erinnerung gerufen. Heutigen Hörern, deren Dylan sich in einem erstaunlich hohem Maße erfreut, wird die Sprengkraft der Bilder und die Bedeutung seiner Protestlieder für die dort aufbegehrende Generation nicht hinreichend deutlich werden.

Darauf aber zielt "No Direction Home: Bob Dylan" auch nicht ab. Lieber erfreut Scorsese seinesgleichen, den in die Jahre gekommenen Dylan-Hörer, mit allerlei bis dato unveröffentlichtem Material und vor allem dem Kommentar des Meisters persönlich. Was das erste betrifft, so ist "No Direction Home" in der Tat eine wahre Fundgrube. Dass etwa Robert Zimmermann den Namen Bob Dylan aufgrund antisemitischer Ressentiments in der Folkszene angenommen haben soll, ist eine originelle These, die Dylan natürlich nicht kommentiert ("I don't know"). In einer anderen Aufnahme steht der spindeldürre Dylan - abermals stoned - vor einer englischen Tierhandlung; dadaistisch spielt er mit den Worten der Reklametafeln, man glaubt fast, um ein neues Lied zu komponieren. Durchweg beachtlich ist die technische Qualität dieses Materials, bedenkt man einmal Alter und Zweck dieser Aufnahmen.

Dagegen sind Dylans persönliche Kommentare - wie hätte es auch anders sein sollen - überaus ambivalent, im Grunde genommen so nichtssagend wie die früheren absurden Interviews, von denen einige in "No Direction Home" zu sehen sind. Der vom Leben gezeichnete Mann nuschelt entweder Altbekanntes in neuer Variation oder schlicht Triviales in die Kamera. Scorsese macht es ihm darin auch denkbar einfach, indem er schwierige Themen ausspart oder es bei Dylans sophistischen Antworten belässt. Auf diese Weise kommt bis auf die augenscheinlich unhaltbaren Vorwürfe der ehemaligen Folk-Freunde keine Kritik auf an Dylan. So wird sein rüdes, undankbares Verhalten gegenüber Joan Baez, einer Protest-Ikone, die seinen Ruf durch gemeinsame Auftritte befördert hat, die er aber später hat fallen lassen, - beiden sichtlich peinlich - unter den Tisch gekehrt. Dylans Kommentar entbehrt immerhin nicht seines berüchtigten Humors: "You can't be wise and in love at the same time".

Dass Scorsese der Kritik gegen Dylan wenig Aufmerksamkeit schenkt, mindert nicht den Stellenwert seiner Hommage. Über das Sentimentale und das Sammeln von Kuriosa hinaus gelingt es ihm, Dylans Erfolgskonzept herauszustellen. Eben weil dieser sich nie von irgendjemanden - Freunden, Industrie oder Presse - ein Brandzeichen hat aufdrücken lassen, hat er die zeitlose Bedeutung erlangt, die ihm heute von allen Seiten zugestanden wird. Er selbst hat das schon sehr früh zu erkennen gegeben, so etwa während des "Philharmonic Hall"-Konzerts 1964 in New York. Dort sagte Dylan, es sei Halloween und er habe deswegen seine Bob-Dylan-Maske an. "I'm masquerading!". Sprach's, lachte und spielte das nächste Lied.  

Thomas Hajduk / Wertung:  * * * * * (5 von 5) 

 
Filmdaten 
 
No Direction Home: Bob Dylan (USA 2005) 
 
Regie: Martin Scorsese;
Länge: ca. 200 Minuten


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Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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