27.09.2023

Die sind des Teufels...

In einer kleinen Stadt

Die Kamera fliegt während des Vorspanns über eine ruhige Landschaft hinweg: über Steilklippen, über eine Straße durch den dichten Wald hin zu einer US-Kleinstadt. Der Zuschauer ahnt: Das Unheil naht. Die Beschaulichkeit ist bald verflogen. Wie sollte es anders sein in einer Stephen-King-Verfilmung? Die Kleinstadt heißt Castle Rock, liegt in den Neuengland-Staaten und wird den abgeschotteten Mikrokosmos dieses Films bilden, in dem aus Ruhe Chaos wird. Der Teufel in Menschengestalt kommt vorbei. Damit ist nicht zu viel verraten, denn der Film verrät es selbst ebenfalls früh. An den Fingernägeln. Sie sind lang, wenn der Mann alleine ist, brüchig, eklig - sie sind kurz und normal, wenn er Gäste in seinem Laden empfängt. Max von Sydow spielt den in Castle Rock vorerst fremden Leland Gaunt, der sich gegenüber allen allmählich als der Teufel entpuppt. Er eröffnet ganz harmlos ein Antiquitätengeschäft. Und er erfüllt heißbegehrte Wünsche. Die Kosten? Nicht der Rede wert. Man soll anderen im Ort einen Streich spielen. Fast alle werden sich beteiligen. Die Streiche werden blutiger und blutiger. Wobei sich eine Person nie rächen, sondern einer weiteren Person Schaden zufügen soll. Fast alle? Der Sheriff Alan Pangborn (Ed Harris), frisch mit Polly (Bonnie Bedelia) verlobt, benötigt nichts. Ist wunschlos glücklich. Er wird dementsprechend als Einziger die Ruhe bewahren, während alles um ihn herum zerstört wird.
Der Film (im Fernsehen und als DVD und BluRay unter dem Titel "Needful Things - In einer kleinen Stadt" laufend) könnte perfekt sein. Er ist es nicht, die Charaktere sind derb, grobschlächtig und dennoch meist uninteressant. Manche lernt man erst am Filmende kennen! Weil sie in der hier besprochenen Kinofassung zunächst weggeschnitten sind: Es gibt eine viel längere Fassung von drei Stunden Laufzeit.

Soll man an den Teufel glauben, wenn es ihn gibt, wenn er sich präsentiert, zumindest im Film? Dieser Frage musste sich schon Rosemary (Mia Farrow) in Roman Polanskis genialem Horror-Klassiker "Rosemaries Baby" (1968) stellen. Und gebar, ohne es zu wollen, dem Teufel ein Kind.

An den Teufel glauben... Die Frage wird Sheriff Pangborn Pater Meehan (William Morgan Sheppard), dem katholischen Pfarrer der Kleinstadt stellen. Ja, er glaubt an ihn, er müsse das wohl, entgegnet der Priester. Er hat einen Rivalen: Reverend Willie Rose (Don S. Davis), baptistischer Prediger. Sie hassen sich, schon bevor der Teufel in Gestalt von Leland Gaunt zuschlagen wird. "Say No to the Devil" ist ein Aufkleber, den Reverend Rose überall anbringt. Auch und vor allem auf dem Aushang der katholischen Kirche. Denn Pater Meehan lädt zu einem Casino ein, um Spenden zu generieren. Christus warf Händler aus dem Tempel. Eine Anspielung darauf. Der Teufel steckt im Detail, die Religionen bekommen in diesem Film ihr Fett weg. "Say No to the Devil" - den Aufkleber möchte der Reverend auch im Antiquitätenladen anbringen. Gaunt lehnt, ausnahmsweise etwas erschrocken, dankend ab.

Aber Gaunt wird beide Geistlichen glücklich machen. Mit etwas, das sie haben wollen. Sie müssen nur Gaunt eine kleine Gefälligkeit tun. Die Gefälligkeiten der Stadtbevölkerung reichen von Verschmutzung anderer Leute Wäsche über Reifen-Zerschneiden über Scheiben-Einschlagen hin zum Ermorden eines Hundes. Viele werden töten. Der nach außen hin noble Stadtobere Danforth Keeton (J. T. Walsh) wird seine Frau im Wahn umbringen. Vom Teufel besessen. Er wird auch versuchen, Pangborn zu erschießen. Klar: Der Sheriff ist Gaunt im Wege. Pangborn behält kühlen Kopf, als Häuser brennen, Tote zu beklagen sind, nichts mehr unter Kontrolle ist. Die sind des Teufels...

Worauf Stephen King mit seiner Vorlage und das Filmteam hinauswollen: Die Menschheit braucht in der Realität keinen Teufel, um sich gegenseitig Leid anzutun. Damit sind nicht nur Kriege gemeint. Auch Mobbing, Prügeleien, um zu demonstrieren, wer der Stärkere ist, Morde aus Habgier, Neid, Missgunst. Die Botschaft kommt an.

Dennoch missglückt der Film trotz eines gut charakterisierten Sheriffs, sehenswert dargestellt von Ed Harris. Das Kinopublikum lernt die anderen Stadtbewohner nie richtig kennen. Sie sind einfach da in ihrer schon vorweg kaltherzigen Art. So kaltherzig, dass es einen Teufel nicht braucht. Max von Sydow stellt diesen leidenschaftslos, teilnahmslos dar - die Besetzung spielt auf zwei Filme an: auf William Friedkins "Der Exorzist" (1973), in dem von Sydow als Priester den Gottseibeiuns bekämpft. Und auf Ingmar Bergmans "Das siebente Siegel" (1957), in dem von Sydows Filmfigur ebenfalls auf den Leibhaftigen trifft und gegen ihn Schach spielt. Im Vergleich der beiden Filme "In einer kleinen Stadt" und "Das siebente Siegel" sollte man sich lieber Letzteren zu Gemüte führen. In ihm hat der Teufel Charisma und wirkt beeindruckend.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * (2 von 5)



Filmdaten

In einer kleinen Stadt
(Needful Things)

Filmtitel im Fernsehen, auf DVD bzw. BluRay: Needful Things - In einer kleinen Stadt
USA/Kanada 1993
Regie: Fraser C. Heston;
Darsteller: Max von Sydow (Leland Gaunt), Ed Harris (Sheriff Alan Pangborn), Bonnie Bedelia (Polly Chalmers), Amanda Plummer (Nettie Cobb), J.T. Walsh (Danforth Keeton III), Ray McKinnon (Deputy Norris Ridgewick), Duncan Fraser (Hugh Priest), Valri Bromfield (Wilma Jerzyck), Shane Meier (Brian Rusk), William Morgan Sheppard (Father Meehan), Don S. Davis (Reverend Rose), Campbell Lane (Frank Jewett), Eric Schneider (Henry Beaufort), Frank C. Turner (Pete Jerzyck), Gillian Barber (Myrtle Keeton), Deborah Wakeham (Myra), Gary Paller (George Cobb) u.a.;
Drehbuch: W.D. Richter nach dem Buch von Stephen King; Produzent: Jack Cummins; Kamera: Tony Westman; Musik: Patrick Doyle; Schnitt: Rob Kobrin;

Länge: 121 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; deutscher Kinostart: 10. Februar 1994



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"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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