11. Dezember 2003

Irishmen in New York


In America


In AmericaFremdsein in Gottes eigenem Land. Davon handelt der bisher persönlichste Film des Regisseurs Jim Sheridan ("Mein linker Fuß"). Eine vierköpfige irische Familie versucht einen Neubeginn in New York. Trotz aller vorgeblichen Bemühungen der Erwachsenen sind es aber zunächst nur die beiden kleinen Töchter, die in der neuen Heimat eine Zukunftsperspektive sehen und sich mit den eigentlich kinderfeindlichen Gegebenheiten in spielerischer Manier zu arrangieren verstehen. Für die Eltern bleibt alles wie zuvor: Das Auswandern war ihre nicht zu kaschierende Flucht vor dem Tod ihres einzigen Sohnes, dem sie nicht entkommen können, zunächst nicht zu entkommen bereit sind, bis sie von den Kindern eines Besseren belehrt werden.


"You can hear it in my accent when I talk I'm an Englishman in New York". Das melancholische Lied des britischen Sängers Sting klingt in Jim Sheridans Film mit an, wenngleich es nicht zum Soundtrack gehört: Dargestellt wird in beidem das Außenseitergefühl, die Heimatlosigkeit in der Fremde, eine Wirklichkeit, mit der Emigranten in der Neuen Welt gerade in der Stadt nicht rechnen, die per Schiff anreisende Neuankömmlinge mit der Freiheitsstatue begrüßt. Das emigrierte Paar Sarah (Samantha Morton) und Johnny (Paddy Considine) und ihre Töchter Christy und Ariel (die Schwestern Sarah und Emma Bolger) sind nach ihrer Ankunft in der Stadt, die niemals schläft, zunächst einmal von der bunten Beleuchtung der Straßen um den Times Square beeindruckt, symbolisch für alle Freiheiten stehend, die das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu bieten vorgibt. Aber es ist die Ansicht eines Potemkinschen Dorfs, die Tourismus fördernde anheimelnde Außenhülle.

In America Jene Menschen, die dort wohnen bleiben möchten, spüren bald die Schattenseiten. Die Familie kommt in einer nicht gerade vertrauenswürdigen Absteige unter, nicht einmal im lebendigen Manhattan, sondern am Rand der City, in Hell's Kitchen, der verheißungsvolle Times Square ist in weite Ferne gerückt. Die vier erfahren, aus welchen Gründen man in dieser Stadt gleichfalls nicht zum Schlaf gelangen kann: Die Sommerhitze ist mörderisch, ein zurückgezogen lebender Nachbar schreit immerzu, mühevoll plagen sich die Sullivans in Aushilfsjobs mit Sonderschichten ab, gleichzeitig zermürbt von Schuldzuweisungen wegen des Todes von Frankie, dem verlorenen Sohn.

Filme über das Verlassensein und die daraus resultierende Entmenschlichung hat es schon zuhauf gegeben. Neu ist, dass das Depressive der verzweifelten Situation mit Poesie angegangen wird: Die kindliche Phantasie von Christy, der älteren der beiden Töchter im Film, erkennt die Nöte der Eltern und verdreht alles ins Gegenteil, zur Hoffnung hin; sie zieht in ihrem positiven Lebensdrang die anderen mit. Ein völlig neuer Ansatz für Problemlösungen, wie sie die Leinwand zu selten hergibt, und das zu einer Zeit, in der von der Politik bestimmte Lösungsansätze martialischer Prägung sind, ohne Alternativen gestatten zu wollen, außerdem zu einer Zeit, in der gerade die New Yorker Bewohner einem kollektiven Angstgefühl unterliegen, aber beim Jahrhundert-Stromausfall im Sommer 2003 plötzlich in der Lage waren, auch dem Nächstfremden weiterzuhelfen, bei sich selbst die Stadtneurosen abzuwerfen. Unklar bleibt in "In America" höchstens, was es die Eltern ausgerechnet dorthin, in das menschen- und vor allem kinderfeindliche New York zieht. So stellt sich eine Empathie des Zuschauers für die dadurch masochistisch veranlagt anmutenden Eltern nicht unbedingt ein, sehr wohl aber für die Kinder, die allem mit dem ihnen eigenen Vergnügen begegnen.

In America Regisseur Jim Sheridan bleibt erneut, wie in allen seinen Filmen, seiner Heimat Irland treu, aber aus neuer Perspektive. Auch "In America" ist ein sehr persönlicher Film mit autobiographischen Zügen: Sheridan selbst wanderte einst aus und erlitt das Schicksal eines Fremden in der Fremde - in Amerika. Jenes Gefühl, das Sting mit "I'm an alien, I'm a legal alien" ausgedrückt hat: So wird eine E.T.-Puppe im Film zum Objekt der Identifikation für die irische Familie, ein Kampf um diese Puppe zum Schlüsselerlebnis: Dieser Kampf ist erfolgreich, es geht doch, und der Furcht einflößende Nachbar erweist sich als Helfer in der Not, nachdem er sich als genauso ausgestoßen erwiesen hat. Fremdheit ist nur ein Empfinden, und es ist sehr wohl möglich, stellt Sheridan fest, sie eines Tages zu überwinden. Be yourself, no matter what they say, bemerkte Sting.

 
Michael Dlugosch / Wertung: * * * * (4 von 5)

Quelle der Fotos: 20th Century Fox


Filmdaten

In America
(In America)

GB / Irland 2002
Regie: Jim Sheridan;
Darsteller: Samantha Morton (zuletzt: "Minority Report"; Sarah), Paddy Considine (Johnny), Djimon Hounsou ("Amistad", "Gladiator"; Mateo), Sarah Bolger (Christy), Emma Bolger (Sarah), Ciaran Cronin (Frankie), Juan Hernandez (Papo), Nye Heron (blinder Mann), Jason Salkey (Tony), Rene Millan (Steve), Sara James (Papos Freundin), Bob Gallico (Theaterdirektor), Merrina Millsapp (Marina), Nick Dunning (Gynäkologe), Michael Sean Tigbe (Frank), Jennifer Seifert (Angela), Molly Glynn (Sarah Mateo), Jer O'Leary (Thomas Bakewell) u.a.; Drehbuch: Jim Sheridan, Naomi Sheridan, Kirsten Sheridan; Produktion: Jim Sheridan, Arthur Lappin; Co-Produzent: Paul Myler; Kamera: Declan Quinn; Musik: Gavin Friday, Maurice Seezer;
Länge: 105 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Twentieth Century Fox of Germany




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<11.12.2003>  



Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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