11.04.2008
Im Spiegelkabinett des Dichters

I'm Not There


I'm Not There: Cate Blanchett Bob Dylan ist eine Legende. Eine Legende ohne den dazugehörigen Film. Zu komplex ist das Leben des Singersongwriters mit seinen vielen Metamorphosen, um es in 90 Minuten erzählen zu können. Todd Haynes versucht es deshalb erst gar nicht. Stattdessen huldigt er in "I'm Not There" dem großen Dichter auf seine Weise - mit einem wunderschönen und rätselhaften Spiegelkabinett.

Im Gegensatz zu den Filmbiographien von Ray Charles ("Ray") und Johnny Cash ("Walk the Line") passt Dylans Leben nicht in die konventionellen Erzählmuster Hollywoods. Als Jugendlicher romantisierte und kopierte er Zeit und Musik seines großen Vorbilds Woody Guthrie, eines damals vergessenen Folksängers. 1960 verließ er das provinzielle Minnesota Richtung New York. Dort fand er schnell seinen eigenen Stil und sang eigene Lieder, mit denen er sich zu einer Ikonie der Folk-Szene, gar zum "Prince of Protest" der Bürgerrechtsbewegung aufschwang.

I'm Not There: Filmplakat In diese Zeit zu Anfang der 1960er Jahre fielen Lieder wie "The Chimes of Freedom" und "The Times They Are A-Changin'" - Lieder, mit denen Dylan seiner aufbegehrenden Generation seine Stimme lieh. 1965 kam dann die Kehrtwende: "Dylan goes electric!" Seine Anhänger aus der Folkszene haben ihm den (musikrevolutionären) Wechsel zur E-Gitarre nie verziehen. Dylan dagegen reüssierte als hochproduktiver, abgedrehter Popstar.

Mit seinem Motorradunfall 1966 kam der nächste Einschnitt. Ihm folgte ein Rückzug aus der Öffentlichkeit und Hinwendung zu einfachem Folk, zu experimenteller Musik wie auf den legendären "Basement Tapes" und zu allerlei Mischformen. Anfang der 1980er folgte der künstlerische Abstieg, eine kurzzeitige Bekehrung zum Christentum: Dylan predigte vor einer Gemeinde und auf Gospelalben die Botschaft des Herrn. Erst Anfang der 1990er Jahre kam er aus der Versenkung hervor.

I'm Not There: Heath Ledger Es sind nicht allein diese biographischen Brüche und Volten, die Dylans Biographie schwer fassbar machen. Es ist Dylans ständige Neuerfindung seiner verschiedenen (Künstler-)Rollen. Berüchtigt sind etwa seine Interviews mit Journalisten, deren immer gleiche Fragen zu seinen Protestliedern und ihrer politischen Aussage er mit abstrusen Antworten in die Irre führte. Aus seinen teils äußerst kryptischen Liedern ließen sich jedenfalls keine einfachen Aussagen über ihn ableiten. Versuche, Dylan auf eine Rolle und seine Lieder auf bestimmte Aussagen festzunageln, haben es auch heute schwer. Wissenschaftliche Tagungen, Dokumentationen und Reclam-Reader ändern nichts daran.

Und was bedeutet das für "I'm Not There"? Dass Todd Haynes zwar Dylans Leben zu fassen versucht, aber klugerweise auf klassische Erzählmuster verzichtet. Sein Film ist indessen eine eigene Interpretation von Dylans Leben und Werk, ein Tribut an den Dichter und ein Film, der selbst ein kleines Kunstwerk ist. Das gelingt Regisseur und Drehbuchautor Haynes, indem er sechs statt einen Hauptdarsteller wählt: Christian Bale, Cate Blanchett, Ben Whishaw, Marcus Carl Franklin, Richard Gere und Heath Ledger sind alle Bob Dylan. Oder verschiedene Alter Egos, die Haynes in sieben unterschiedlichen, miteinander verbundenen Episoden widerspiegelt.

I'm Not There: Marcus Carl FranklinZwei Episoden mögen die Vielschichtigkeit des Ganzen verdeutlichen. Der junge Afroamerikaner Marcus Carl Franklin spielt die Figur "Woody Guthrie". Das ist Dylan in seinen Anfängen. Ein Junge, der aus einer Besserungsanstalt flieht und durch das Land irrt. Dabei spielt er traditionelle Folklieder und lügt, was das Zeug hält. Mit der Wahl eines kleinen, schwarzen Jungen verweist Haynes auf Dylans Außenseiterrolle und sein Bedürfnis nach einer nicht nur musikalischen Identifikationsfigur. Mehr noch ist es die Lust an der Maskerade, die hier ihren Anfang nahm. Damals waren es Woody Guthrie und sein Universum voller Wanderarbeiter, Güterzüge und endloser Reisen, die den Jungen ausfüllten. Dylan, so legt Haynes in dieser Episode nahe, fing als Kopie eines Folksängers an.

Diese Anfänge waren schnell überwunden, und Dylan entwickelte bald seine eigenen Welten. Auf dem Zenit seiner Karriere 1966 brillierte er mit absurd-genialen Texten und verglühte fast in einer künstlerischen, amphetamingetriebenen Schaffensnova. Aus dem "King of Protest" war ein "King of Cool" geworden. Im Film wird dieser Dylan kongenial von Cate Blanchett verkörpert. Als Jude Quinn wandelt sie durch ein surreales Swinging London. Das körnige Schwarzweiß dieser Episode geht auf D.A. Pennebakers Dokumentarfilm "Don't look back" zurück. Damals war Dylan auf großer England-Tournee und Pennebaker versuchte den unnahbaren Künstler zu portraitieren.

Haynes Adaption der Doku ist brillant. Quinn ist umgeben von unwirklichen, total überzeichneten Figuren, durch deren Stadt er im Dauerrausch tänzelt, bis eine von ihnen den Dichter auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Wie in allen anderen Episoden gibt es wieder zahlreiche Anspielungen. So balgt Quinn in einer Einstellung mit vier Jungen in Anzügen, ehe diese von einer Menschenmenge fortgejagt werden. Das sind die damals noch braven Beatles, denen Dylan laut Legende das Kiffen beigebracht haben soll.

"I'm Not There" wimmelt nur so von Anspielungen und Interpretationen, die den Dylan-Kenner erfreuen, fast alle anderen aber abschrecken werden. Haynes hat keinen konventionellen biopic vorgelegt, sondern einen Kunstfilm über einen der wichtigsten Dichter des 20. Jahrhunderts. Bei dem Versuch, Dylan gerecht zu werden, verliert er seine Zuschauer aus den Augen. Um allein den zeitlichen Ablauf der Episoden verstehen zu können, ist eine detaillierte Kenntnis von Dylans Biographie nötig. Von der Frage, was die Episoden oder gar der Film über Dylan aussagen, ganz zu schweigen. Hier ist Kenntnis der Liedtexte unerlässlich. Leider funktioniert "I'm Not There" ohne dieses Wissen nicht, weil ihm schlicht die naive Erzählebene fehlt.

Wer in ein Spiegelkabinett geht, muss auf Verzerrungen vorbereitet sein. "I'm Not There" versucht sich einem enigmatischen Dylan zu nähern, indem der Film seine vielen Erscheinungen in verschiedenen Farben und Formen spiegelt. Das Ergebnis ist eine der besten Interpretationen über den Musiker und sein Werk. Dylan-Kenner werden das zu schätzen wissen. Der Rest bleibt besser draußen. Oder liest erst einmal eine Biographie.  

Thomas Hajduk / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Tobis

 
Filmdaten 
 
I'm Not There (I'm Not There.) 
 
USA / Deutschland 2007
Regie: Todd Haynes;
Darsteller: Christian Bale (Jack Rollins), Cate Blanchett (Jude Quinn), Heath Ledger (Robbie Clark), Richard Gere (Billy the Kid), Julianne Moore (Alice Fabian), Ben Whishaw (Arthur Rimbaud), Charlotte Gainsbourg (Claire), Marcus Carl Franklin (Woody Guthrie), Richie Havens (Arvin, alter Mann), Bruce Greenwood (Keenan Jones / Garrett), Michelle Williams (Coco Rivington), David Cross (Allen Ginsberg), Kris Kristofferson (Erzähler) u.a.; Drehbuch: Todd Haynes, Oren Moverman; Kamera: Edward Lachman; Schnitt: Jay Rabinowitz; Länge: 135 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 28. Februar 2008



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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