11.04.2008
I'm Not There
![]() Im Gegensatz zu den Filmbiographien von Ray Charles ("Ray") und Johnny Cash ("Walk the Line") passt Dylans Leben nicht in die konventionellen Erzählmuster Hollywoods. Als Jugendlicher romantisierte und kopierte er Zeit und Musik seines großen Vorbilds Woody Guthrie, eines damals vergessenen Folksängers. 1960 verließ er das provinzielle Minnesota Richtung New York. Dort fand er schnell seinen eigenen Stil und sang eigene Lieder, mit denen er sich zu einer Ikonie der Folk-Szene, gar zum "Prince of Protest" der Bürgerrechtsbewegung aufschwang.
Mit seinem Motorradunfall 1966 kam der nächste Einschnitt. Ihm folgte ein Rückzug aus der Öffentlichkeit und Hinwendung zu einfachem Folk, zu experimenteller Musik wie auf den legendären "Basement Tapes" und zu allerlei Mischformen. Anfang der 1980er folgte der künstlerische Abstieg, eine kurzzeitige Bekehrung zum Christentum: Dylan predigte vor einer Gemeinde und auf Gospelalben die Botschaft des Herrn. Erst Anfang der 1990er Jahre kam er aus der Versenkung hervor.
Und was bedeutet das für "I'm Not There"? Dass Todd Haynes zwar Dylans Leben zu fassen versucht, aber klugerweise auf klassische Erzählmuster verzichtet. Sein Film ist indessen eine eigene Interpretation von Dylans Leben und Werk, ein Tribut an den Dichter und ein Film, der selbst ein kleines Kunstwerk ist. Das gelingt Regisseur und Drehbuchautor Haynes, indem er sechs statt einen Hauptdarsteller wählt: Christian Bale, Cate Blanchett, Ben Whishaw, Marcus Carl Franklin, Richard Gere und Heath Ledger sind alle Bob Dylan. Oder verschiedene Alter Egos, die Haynes in sieben unterschiedlichen, miteinander verbundenen Episoden widerspiegelt.
Diese Anfänge waren schnell überwunden, und Dylan entwickelte bald seine eigenen Welten. Auf dem Zenit seiner Karriere 1966 brillierte er mit absurd-genialen Texten und verglühte fast in einer künstlerischen, amphetamingetriebenen Schaffensnova. Aus dem "King of Protest" war ein "King of Cool" geworden. Im Film wird dieser Dylan kongenial von Cate Blanchett verkörpert. Als Jude Quinn wandelt sie durch ein surreales Swinging London. Das körnige Schwarzweiß dieser Episode geht auf D.A. Pennebakers Dokumentarfilm "Don't look back" zurück. Damals war Dylan auf großer England-Tournee und Pennebaker versuchte den unnahbaren Künstler zu portraitieren. Haynes Adaption der Doku ist brillant. Quinn ist umgeben von unwirklichen, total überzeichneten Figuren, durch deren Stadt er im Dauerrausch tänzelt, bis eine von ihnen den Dichter auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Wie in allen anderen Episoden gibt es wieder zahlreiche Anspielungen. So balgt Quinn in einer Einstellung mit vier Jungen in Anzügen, ehe diese von einer Menschenmenge fortgejagt werden. Das sind die damals noch braven Beatles, denen Dylan laut Legende das Kiffen beigebracht haben soll. "I'm Not There" wimmelt nur so von Anspielungen und Interpretationen, die den Dylan-Kenner erfreuen, fast alle anderen aber abschrecken werden. Haynes hat keinen konventionellen biopic vorgelegt, sondern einen Kunstfilm über einen der wichtigsten Dichter des 20. Jahrhunderts. Bei dem Versuch, Dylan gerecht zu werden, verliert er seine Zuschauer aus den Augen. Um allein den zeitlichen Ablauf der Episoden verstehen zu können, ist eine detaillierte Kenntnis von Dylans Biographie nötig. Von der Frage, was die Episoden oder gar der Film über Dylan aussagen, ganz zu schweigen. Hier ist Kenntnis der Liedtexte unerlässlich. Leider funktioniert "I'm Not There" ohne dieses Wissen nicht, weil ihm schlicht die naive Erzählebene fehlt. Wer in ein Spiegelkabinett geht, muss auf Verzerrungen vorbereitet sein. "I'm Not There" versucht sich einem enigmatischen Dylan zu nähern, indem der Film seine vielen Erscheinungen in verschiedenen Farben und Formen spiegelt. Das Ergebnis ist eine der besten Interpretationen über den Musiker und sein Werk. Dylan-Kenner werden das zu schätzen wissen. Der Rest bleibt besser draußen. Oder liest erst einmal eine Biographie. Thomas Hajduk /
Wertung: * * * * *
(5 von 5)
Quelle der Fotos: Tobis Filmdaten I'm Not There (I'm Not There.) USA / Deutschland 2007 Regie: Todd Haynes; Darsteller: Christian Bale (Jack Rollins), Cate Blanchett (Jude Quinn), Heath Ledger (Robbie Clark), Richard Gere (Billy the Kid), Julianne Moore (Alice Fabian), Ben Whishaw (Arthur Rimbaud), Charlotte Gainsbourg (Claire), Marcus Carl Franklin (Woody Guthrie), Richie Havens (Arvin, alter Mann), Bruce Greenwood (Keenan Jones / Garrett), Michelle Williams (Coco Rivington), David Cross (Allen Ginsberg), Kris Kristofferson (Erzähler) u.a.; Drehbuch: Todd Haynes, Oren Moverman; Kamera: Edward Lachman; Schnitt: Jay Rabinowitz; Länge: 135 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 28. Februar 2008 |
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