15.10.2010
Die kommenden Tage
Zukunftsvision im Retro-Look. Lars Kraumes Film "Die kommenden Tage" ändert wenig, trotz drohendem Weltuntergang: globale Bedrohungen und übliches Beziehungseinerlei. Ein simples Drama vor der bebenden Kulisse des großen Untergangs. Kein Grund zur Aufregung.
Wie könnte sie aussehen, unsere Welt von Morgen, und was wird werden in den kommenden Tagen? Zeit als Möglichkeitsform ist die Mutter aller Fiktionen. "Imagination" heißt das kreative Spiel zwischen Film und Zuschauer. Auch in der so erschaffenen künstlichen Welt muss der Kontakt zur guten alten Realität gehalten werden. Dieser Film erzeugt seine Zukunft nicht mit einem Druck auf die Fast-forward-Taste. Was in den kommenden Tagen passiert, sieht mehr so aus, als hätte man unsere Welt nochmal in die späten Siebziger zurückgespult. Passend dazu weht ein bisschen deutscher Herbst durch den Film, der sich mit der Terrorzelle der "Schwarzen Stürme" nochmal der aggressiven Leidenschaftlichkeit des Guerilla-Chics bedient. August Diehl spielt den sinistren Revoluzzer mit dunklen Augen und blutverklebter Haartolle, an seiner Seite Johanna Wokalek, die als Terroristenbraut aussieht wie der zweite Aufguss einer Gudrun Ensslin wider Willen. Ist das ein Zusammenschnitt aus dem Bildband Deutsche Geschichte oder einfach ein Requisitenrecycling des deutschen Kinos? Trifft hier "The Day After Tomorrow" den "Baader-Meinhof-Komplex"?
Bleibt der Plot, aber auch der ist ausgesucht einfallslos geraten. "Schwestergeschichte" ist hier das Stichwort und das funktioniert folgendermaßen. Zwei Schwestern sind mal wieder grundverschieden. Cecilia zieht es zu Konstantin (August Diehl), dem Revolutionär mit Sexappeal und fanatischen Umsturzvisionen. Gemeinsam mit ihm schließt sie sich der Terrorgruppe "Die schwarzen Stürme" an, um dem morschen Gesellschaftssystem den Rest zu geben. Laura verliebt sich in Hans (Daniel Brühl) und will sich mit ihm ihren lang gehegten Kinderwunsch erfüllen. Revolution interessiert Hans nicht besonders. Statt Visionen zu entwickeln, geht er lieber zum Arzt, der bei ihm eine Augenkrankheit findet. Was ihm an Augenlicht bleibt, will Hans für die Vogelbeobachtung opfern und zieht sich auf die Berghütte seines Großvaters zurück. Zwei Männer, zwei Handlungsmodelle, entweder Rückzug oder Revolte.
Auch bei den beiden Frauenfiguren gibt es wenig Alternativen. Sie sind dazu nicht nur recht simpel, sondern auch noch reichlich reaktionär. Entweder behütende Mutter wie Laura oder heilige Hure der Revolution wie Cecilia. Den passenden Mann gibt es zum Glück für beide Schwestern- und Frauenprototype. Entweder den testosteronstarken Revoluzzertypen Konstantin oder den stillen bebrillten Anwalt Hans auf seiner Suche nach Vögeln. Das Schlimme an dieser Zukunft ist der gesellschaftliche Roll-Back. 2020 scheint es für Frauen nur eine Möglichkeit zu geben, die Welt zu retten – Kinder kriegen!
Die Massen- und Demonstrationsszenen sind lieblos gestaltet, so dass man eher die atemlosen Statisten bemitleidet, als verzweifelte Menschen in Panik zu sehen. Der fanatische Mann in der Fußgängerzone sieht nicht aus wie ein Endzeitapostel mit Ölkanister, sondern wirkt lächerlich wie ein peinlicher Performance-Künstler.
"Die Zukunft gehört denen, die um sie kämpfen", dieser prächtige Blockbusterslogan ziert das Filmplakat wie eine römische Grabschrift. Wie es scheint, kämpft hier mehr das deutsche Kino um seine eigene Zukunft und besonders mutig sieht das Ergebnis nicht gerade aus.
Man sollte dem Titel dieses Films folgen und ihn auf sich zukommen lassen, denn das Ende ist doch großartig unfreiwillig originell.
Ganz ohne Augenzwinkern lässt sich jedoch eine wunderbar kreative Mutation bemerken: Daniel Brühl als leicht verkommener Reinhold-Messner-Verschnitt mit Brille, Bart und Daunenjacke, das Gewehr im Anschlag. Nicolas Oxen /
Wertung: * *
(2 von 5)
Quelle der Fotos: Universal Filmdaten Die kommenden Tage Deutschland 2010 Regie & Drehbuch: Lars Kraume; Darsteller: Bernadette Heerwagen (Laura), Daniel Brühl (Hans), Johanna Wokalek (Cecilia), August Diehl (Konstantin), Susanne Lothar (Mutter), Ernst Stötzner (Vater), Jürgen Vogel (Melzer), Mehdi Nebbou (Vincent), Vincent Redetzki (Philip Kuper), Michael Abendroth (Förster), Numan Acar (Botschafter), Sebastian Blomberg (Demonstrant), Teresa Harder (Eva), Irina Potapenko (Alice), Götz Schubert (Dr. Rüther), Aljoscha Stadelmann (Redakteur), Johann von Bülow (Arzt) u.a.; Produktion: Katrin Schlösser, Frank Döhmann, Lars Kraume, Jürgen Vogel, Matthias Glasner; Co-Produktion: Thomas Peter Friedl (Ufa Cinema), Claudia Dummèr-Manasse u. Rainer Kalex (Dream Team Film Production), Barbara Buhl (WDR), Jörg Klamroth (ARD Degeto), Andreas Schreitmüller (Arte); Kamera: Sonja Rom; Musik: Christoph Kaiser, Julian Maas; Länge: 129 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Universal Pictures International; deutscher Kinostart: 04. November 2010
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