18.06.2023

Der Aufstieg Churchills: Kampf an allen Fronten

Die dunkelste Stunde

Mai 1940: Die Appeasement-Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain (Ronald Pickup) ist gescheitert, Hitler-Deutschland überrollt Westeuropa. Großbritannien ist davor durch den Ärmelkanal geschützt, doch: Wie lange noch? Ein starker Leader wird für das Land benötigt. Auftritt Winston Churchill (Gary Oldman), da die erste Wahl Lord Halifax (Stephen Dillane) nicht Chamberlains Nachfolger werden möchte. Kann man mit Diktator Hitler um ein freies Land verhandeln? Churchill kapiert: Früher oder später hielte der Friede nicht mehr stand, der Obernazi strebt die Weltherrschaft an.
Regisseur Joe Wright ("Abbitte", "Pan", "Stolz und Vorurteil") inszeniert Machtspiele, Hintergrundgespräche, ja Kungelrunden genüsslich, was eine besondere Stärke des Films neben der guten Latexmaske für Gary Oldman als Churchill ist. Diese Prothese ist ausdrücklich zu loben: Oldmans Mimik hat ihre Freiheiten. Das Drehbuch sieht für den Hitler-Gegner alle erdenklichen Klischees (Scotch am Morgen, Zigarre immer im Mund, Dauergrimm etc.) vor. Doch die basieren auf der Realität. Somit fluchen sämtliche Abgeordnete, ein Säufer würde Premierminister. Aber Churchill wird sich als der richtige Mann zur dunkelsten Stunde erweisen.

Die oppositionelle Labour Party unter Clement Attlee wird zum Premierminister-Macher im Vereinigten Königreich, dies zeigt die erste Szene des Films. Für eine Beteiligung an der Regierung verlangt sie, dass Neville Chamberlain zurücktritt und der bisherige Erste Lord der Admiralität, Winston Churchill, das Amt übernimmt. Die konservativen Torys fluchen. Aber es kommt so: Der bisherige Premierminister verlässt seinen Posten, will aber zusammen mit Lord Halifax innerparteilich opponieren. Beide halten einen Kampf gegen die Nationalsozialisten für aussichtslos. Sie kommen in Churchills Kabinett - Rivalen-Beobachtung nennt der 65-Jährige das. Für Churchill ist es ein Kampf an allen Fronten: gegen die Appeasement-Politiker, für Krieg gegen Hitler, und er muss irgendwie seine Armee aus dem Kessel von Dünkirchen heimholen. Alles wird Churchill gelingen - wie, zeigt der Film bravourös. Wenn nur manchmal das Pathos nicht wäre. Am Anfang des Films sagt Churchill mal, er sei noch nie mit der U-Bahn gefahren. Am Ende wird er es tun und die Fahrgäste fragen, wie man mit Hitler umgehen solle. "Nieder mit den Faschisten!" rufen sie. Jetzt weiß er, der fast das Italien Mussolinis um Vermittlung gebeten hätte, dass die Leute kampfbereit sind. Er, der in aussichtsloser Lage fast einknickte, ist es auch wieder. Dieses Pathos wirkt übertrieben, gehört aber zum Staatsmann Churchill. Nur die U-Bahn-Szene ist zu dick aufgetragen, lockert aber den Film durch Abwechslung auf.

Dies ist vonnöten, denn der Ton, den Regisseur Joe Wright für den Film wählt, ist lange zu einseitig. Gelbstichige Bilder begleiten den Machtpoker, die Ränkespiele, die Unterbringung des Kriegskabinetts unter der Erde, die Politik, die dort gemacht wird, die Diskussion um Krieg oder vermeintlichen Frieden, sogar Churchills Privatleben mit Frau Clementine (Kristin Scott Thomas). Als Historiendrama überzeugt "Die dunkelste Stunde" allerdings, denn für den Zuschauer ist das Geschehende greifbar. Und alles dominiert Gary Oldman trotz Maske mit seiner ungeheuren Präsenz. Oldman gewann dafür den Academy Award, den Oscar als Bester Hauptdarsteller.

2017 gedreht, ist der Film heutzutage hochaktuell, verlangen doch wieder bestimmte Menschen Appeasement-Politik, angeblich streben sie Frieden an. Doch der Film zeigt: Diesen Frieden gibt es so nicht, Verhandlungen mit Despoten, die mehr wollen, sind brüchig.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5)



Filmdaten

Die dunkelste Stunde
(Darkest Hour)

GB/USA/China 2017
Regie: Joe Wright;
Darsteller: Gary Oldman (Winston Churchill), Kristin Scott Thomas (Clementine), Ben Mendelsohn (König George VI), Lily James (Elizabeth Layton), Ronald Pickup (Neville Chamberlain), Stephen Dillane (Viscount Halifax), Nicholas Jones (Sir John Simon), Samuel West (Sir Anthony Eden), David Schofield (Clement Atlee), Richard Lumsden (General Ismay), Malcolm Storry (General Ironside), Stimme von David Strathairn im Original als US-Präsident Franklin D. Roosevelt u.a.;
Drehbuch: Anthony McCarten; Produzenten: Tim Bevan, Lisa Bruce, Eric Fellner, Anthony McCarten, Douglas Urbanski; Kamera: Bruno Delbonnel; Musik: Dario Marianelli; Schnitt: Valerio Bonelli;

Länge: 125 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; deutscher Kinostart: 18. Januar 2018



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Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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