15.02.2016
Death in Sarajevo
In Sarajevo redet fast niemand je über die Zukunft, sagt Danis Tanovic. Kein Wunder, reden doch alle ständig von der Vergangenheit. Jedenfalls gilt das für die Protagonisten seines kuriosen Kammerspiels. Darin stellt der bosnische Regisseur im angekratzten Ambiente des symbolträchtig betitelten "Hotel Europa" die Frage: Ist für die Zukunft noch ein Zimmer frei?
"Death in Sarajevo" ist Polittheater im buchstäblichen Sinne. Tanovic webt seine Geschichte um eine Bühnenvorlage Bernard-Henri Levys. Deren Titel "Hotel Europa" prangt nun über dem Handlungsort, der dadurch zugleich als artifiziell und universell konnotiert ist, eben wie eine Theaterkulisse. Hinter der luxuriösen Fassade von Europa (Achtung: Doppeldeutigkeit!) herrscht alles andere als Einigkeit. Der Handlungstag soll ein Ehrentag sein, doch die Feststimmung ist in erster Linie Anordnung von oben. Dabei ist Hotelmanager Omer (Izudin Bajrovic) selber nicht nach Feiern zumute, droht doch angesichts der wachsenden Schulden der Bankrott. Da hat ihm ein Streik, zu dem die Wäscherei-Angestellte Hatidza (Faketa Salihbegovic-Avdagic) ihre Kollegen aufruft, gerade noch gefehlt. Die beste Methode, auf die entschlossene Aufrührerin einzuwirken, ist durch ihre Tochter Lamija (Snezana Vidovic). Die ambitionierte Rezeptionistin sieht sich immer brutalerer und schließlich physischer Bedrängung ausgesetzt. Unterdessen drängt für den illustren französischen Hotelgast Jacques (Jacques Weber) vor allem die Zeit. Die Rede, die er probt, ist der zentrale Monolog der Bühnenvorlage und wird von einer Kamera aufgezeichnet. Eine ironische Anspielung auf die Beobachterrolle der Filmkamera und den dezent anklingenden magischen Realismus. Ausgangspunkt ist die Auferstehung eines Nationalhelden in Gestalt seines schneidigen Nachfahren gleichen Namens (Muhamed Hadzovic). Der historische Gavrilo Princip ermordete am 28. Juni 1914 Erzherzog Franz Ferdinand und schoss quasi als Bonus dessen hochschwangerer Frau in den Bauch, mit ebenfalls tödlichen Folgen. Das Attentat wurde zum Auslöser des Ersten Weltkriegs, der wiederum ein maßgeblicher historischer Faktor für den Zweiten Weltkrieg war. Die Debatte darum, ob Gavrilo ein Freiheitskämpfer war oder ein Terrorist, ist über hundert Jahre später in Tanovics Heimat noch immer nicht ausdiskutiert. Wie praktisch für die Fernsehreporterin Vedrana (Vedrana Seksan), die auf dem Dach des Hotels ein Interview mit dem nach guter, alter Familientradition nationalistisch motivierten Gavrilo junior abhält. Ihm stünde der Sinn eigentlich auch nach Mord und Totschlag, aber dazu ist die Stimmung viel zu pessimistisch. Sogar Attentäter werden da total demotiviert: "Kein Anschlag könnte heute irgendwas ändern!" Das gilt ebenso auf dramaturgischer Ebene, die selbst eine gewagtere Was-wäre-wenn-Situation nicht aus ihrer Steifheit reißen könnte. Der Filmemacher, der 2001 für "No Man's Land" einen Oscar und 2013 für "Aus dem Leben eines Schrottsammlers" den Silbernen Bären gewann, scheint sich über seine Story ebenso uneins zu sein wie seine Landsleute über Gavrilo. Satirisches Drama, Groteske, sozialkritische Komödie? "Death in Sarajevo" ist von allem etwas und in nichts überzeugend. Wie Tanovic auf der Pressekonferenz sagt: "Wir kommen nie über diesen Berg an Geschichte hinweg." Das schafft auch der Film nicht. Lida Bach /
Wertung: * *
(2 von 5)
Quelle der Fotos: Margo Cinema & SCCA/pro.ba Filmdaten Death in Sarajevo (Smrt u Sarajevu/Mort à Sarajevo) Frankreich/Bosnien und Herzegowina 2016 Regie & Drehbuch: Danis Tanovic; Darsteller: Jacques Weber (Jacques), Snezana Vidovic (Lamija), Izudin Bajrovic (Omer), Vedrana Seksan (Vedrana), Muhamed Hadžovic (Gavrilo), Faketa Salihbegovic Avdagic (Hatidza), Edin Avdagic (Edo) u.a.; Produzenten: François Margolin, Amra Baksic Camo; Kamera: Erol Zubcevic; Musik: Mirza Tahirovic; Schnitt: Redzinald Simek; Länge: 85 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt Auszeichnung:
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