April/Mai 2001

Brisantes Juwel von Warren Beatty

Bulworth

Nachdem Warren Beatty schon einmal mit "Bonnie & Clyde" eine kleine Revolution eingeleitet hat, geht er mit "Bulworth" noch einen ganzen Schritt weiter. Beatty entfacht als Politiker Bulworth ein antikapitalistisches und marxistisches Feuer, das nicht zuletzt den meisten Filmverleihern mehrere Spuren zu heiß war.

Senator Bulworth, ein Demokrat, steht pünktlich zur Wahl am Scheideweg. Sein Programm, seine Reden sind nichts anderes als leeres, verlogenes Geschwätz zur Köderung von Wählern. Die zu Medienzwecken aufrecht erhaltene Bilderbuch-Ehe ist eine Farce und ein Ausweg aus dieser Situation scheint unmöglich. Der Politiker zieht die Konsequenzen: Er heuert einen Killer an, ihn zu ermorden. Seine Lebensversicherung über zehn Millionen Dollar soll seine Tochter erhalten. Bulworths bevorstehendes Ende lässt ihn alle Masken abwerfen. In seinen Reden sagt er ausnahmslos die Wahrheit und lernt so die schwarze Aktivistin Nina kennen. Auf seinem Streifzug durch das nächtliche L.A. entdeckt er den Hip-Hop, er erobert die Wähler, erzürnt seine Geldgeber und er erkennt, dass ihm sein Leben noch etwas bedeutet...

Die anti-kapitalistische Systemkritik des Films hat es wahrlich in sich. Als Adressaten entdeckt Bulworth die schwarze Bevölkerung, die von der Politik seit je her hintergangen wurde. In einer Rede enthüllt er, warum die Interessen der Schwarzen von der Politik ignoriert werden: Die Spendengelder fließen von den großen Konzernen auf die Konten der Parteien. Mit diesen Geldern sind Verpflichtungen gegenüber den Spendern verbunden, die den Bedürfnissen der weniger Begüterten entgegen stehen. Sie werden schlicht ignoriert. So funktioniert das System. Um seine schwarzen Hörer zu erreichen, muss er sich ihrer Sprache bedienen. Diese Sprache ist Hip-Hop. Beatty thematisiert auch die vermittelnde Kraft der Musik: Mit den Worten "You need a song to become a spirit" (von "Bulworth" existiert sinnvollerweise keine deutsche Synchronfassung) bringt ein geheimnisvoller Obdachloser den Senator auf die Idee, seiner Kritik mittels des Hip-Hop eine Stimme zu verleihen.

Eine Kenntnis der Geschichte des Hip-Hop und der Afro-Amerikanischen Kultur ist unabdingbar für eine richtige Einschätzung von "Bulworth". Oft scheint es, als verdanke der Film seine Hip-Hop-Fixierung rein marktstrategischen Erwägungen, denn die Zeit von "Bulworth" ist auch die Zeit des kommerziellen Durchbruchs des Hip-Hop. Doch Warren Beatty und sein Co-Autor Jeremy Pikser beweisen Fingerspitzengefühl. Von der Schwarzenbewegung, vertreten durch Martin Luther King, Malcolm X und den Black Panthers schlägt "Bulworth" die Brücke zum Rap und Hip-Hop. Public Enemy, Polit-Rap-Veteranen, die Ende der 80er mit ihren politisch motivierten, revolutionären Texten und ihrem militaristischen Outfit den Kampf gegen das weiße, kapitalistische Establishment propagierten, tummeln sich an zentraler Stelle des Films auf dem Soundtrack. Hip-Hop ist in "Bulworth" identisch mit Systemkritik.

Dabei vermeidet der Film jegliche Anbiederei: Nachdem Senator Bulworth im Hip-Hop-Outfit die Massen begeistert hat und auch sein schmieriger Gehilfe (wunderbar: Oliver Platt) die Genialität der "Neuen Masche" erkannt hat, schlüpft der Politiker wieder wie selbstverständlich in seinen schwarzen, eleganten Anzug - die Show ist zu Ende.

Bulworths Verwendung des Hip-Hop spiegelt sich auch in Beattys Verwendung des Mediums Film (in den er wiederum den Hip-Hop einbindet). In dieser reflexiven Haltung verdeutlicht Beatty seinen manipulativen Ansatz. Als der Senator kurz vor Schluss sein "love interest" Nina in die Arme schließt, ironisiert Beatty das Geschehen durch eine unglaublich kitschige Ausleuchtung und Musik. Er enttarnt so die Mechanismen seines Mediums. Ja, auch vor seiner eigenen Branche macht Beatty nicht halt. In einer Szene entgegnet Bulworth einem Filmproduzenten sinngemäß: "Ihr gebt immer mehr Geld aus und macht immer beschissenere Filme...".

Beattys Film ist jedoch nicht nur hochintelligent, sondern auch unglaublich witzig. Wenn Bulworth reichen, schmierigen Geldhaien und verlogenen Medienleuten die ungeschminkte Wahrheit ins Gesicht schleudert - sehr zum Entsetzen seiner heuchlerischen Wahlhelfer -, dann ist das einfach urkomisch. Dabei gerät der Film niemals in Humor-Niederungen, die sonst so typisch für viele amerikanische Komödien sind. Der Subplot um den Killer verleiht dem Film zudem dramatische Dichte und Spannung, die bis zum konsequenten und ungeschönten Ende durchgehalten wird. Und auch aus psychologischer Sicht ist "Bulworth" interessant: Dass die Schlaflosigkeit erstes Anzeichen für Bulworths Sinnkrise ist, weckt zudem Erinnerungen an "Fight Club".

"Bulworth" war ein Flop. Aufgrund seines Themas eh zu brisant für die großen Multiplexe, versauerte der Film in den USA - trotz Hip-Hop-Soundtrack. In Deutschland hat von seinem Start vermutlich niemand etwas mitbekommen, der Verzicht auf die Synchronisation, eigentlich ein lobenswerter Schritt, hat ihm wohl den kommerziellen Todesstoß versetzt. Das ist schade, denn einen ehrlicheren, radikaleren Film hat man seit langem nicht mehr gesehen.  

Oliver Nöding / Wertung: * * * * (4 von 5)



Filmdaten

Bulworth
(Bulworth)

USA 1998
Regie: Warren Beatty;
Produzenten: Warren Beatty, Pieter Jan Brugge; Drehbuch: Warren Beatty und Jeremy Pikser; Kamera: Vittorio Storaro; Darsteller: Warren Beatty (Senator Jay Billington Bulworth), Halle Berry (Nina), Don Cheadle (L.D.), Barry Shabaka Henley, Oliver Platt, Paul Sorvino, Jack Warden, Isaiah Washington u.a.

Länge: 108 Min.; FSK: ab 12 Jahren.



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