Dezember 1999
Blair Witch Project
![]() Zu Beginn des Films erleidet der Zuschauer einen physischen Schock: Josh erzeugt derartig wacklige Bilder, daß dem Publikum zunächst die Augen schmerzen. Wacklige Bilder und ausschließlich Originaltöne sollen diesen Film wie eine Dokumentation wirken lassen. Auch die Schauspieler lassen an Authentizität nichts zu wünschen übrig, was aber kaum auf ihre schauspielerischen Fähigkeiten zurückzuführen ist, sondern auf die Regisseure Daniel Myrick und Eduardo Sanchez: Sie ließen ihre Darsteller eine Woche lang in dem Wald allein, versorgten sie nur mit dem Nötigsten und spielten ihnen nachts heimlich Streiche. Der Film kommt ohne Gewalt aus. Das Gefühl der Angst wird allein auf dem psychologischen Weg erzeugt: Dunkelheit im Wald, Streit, kein Vertrauen untereinander, Hilflosigkeit, Ungewißheit, Kälte, unerklärliche Geräusche – das nagt nicht nur an der Psyche der Studenten, sondern auch an den Nerven der meisten Zuschauer. Die Wirkung ist gut berechnet: Die Zielgruppe des Films (Zuschauer im Studentenalter) soll sich mit den "Opfern" identifizieren durch ihr Alter, ihre Kleidung, ihre Sprache.
Eine dokumentarfilmhafte Kameraführung prägt auch die "Dogma 95"-Filme wie "Mifune" und "Idioten". Sie versuchten die Zuschauer zum Nachdenken zu bringen, beabsichtigten aber nicht, ihnen vorzugaukeln, daß das Gezeigte wahr sei. Dort waren verwackelte Bilder effektiv. Anders verhält es sich beim Horrorfilm "Blair Witch Project". Hier ist alles nur daraufhin angelegt, daß die Zuschauer sich fürchten. Doch wenn man nicht an Hexen glaubt, der Film aber ständig die "Dokumentation", damit aber auch die beabsichtigte Täuschung eintrichtert: Wovor soll man sich dann fürchten? Vor nicht vorhandenen Hexen? Davor, sich veräppeln zu lassen durch die längst geplatzte Illusion? Vor der beseitigten Ungewißheit, ob es tatsächlich so passiert ist? Wer diesen Gedanken auch im Kino nicht verdrängen kann, der sträubt sich dagegen, seinen Verstand zu vergessen und so auf die Täuschung hereinzufallen, wie es die Regisseure gerne hätten. Vielleicht liegt die ausbleibende Angst aber auch am subjektiven Hexenbild: Hat eine Hexe es nötig, Zelte flachzulegen und Voodoo-Puppen zu basteln? Selbst der Schluß, der den einzigen Schrecken auslöst, ist in diesem Zusammenhang enttäuschend. Wirklich perfekt wäre der Film gewesen, wenn er auf diese bodenständigen Elemente verzichtet und die drei Filmstudenten rein psychologisch in ihr Verderben treiben gelassen hätte. So jedenfalls erscheint der gesamte Film nicht so glaubhaft, daß man die Realität für zwei Stunden vergessen könnte. Das "Blair Witch Project" ist inzwischen der erfolgreichste Film aller Zeiten: 35 000 Dollar hat er gekostet, einen dreistelligen Millionenbetrag spielte er ein. Und das, obwohl der Aufstieg ausschließlich durch Internet- und Mund-zu-Mund-Propaganda begründet wurde. Im Sommer, wenn Amerikaner gerne vor der Hitze in die klimatisierten Kinosäle fliehen, stahl die Hexe den vielen High-Budget-Produktionen die Schau. Inzwischen gibt es sogar schon ein satirisches deutsches Remake: Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte jüngst "Das Hänsel-und-Gretel-Projekt": Drei Journalisten suchen die Knusperhexe im Spessart. Na, dann: frohe Lebkuchen-Zeit! Tobias Vetter /
Wertung: * * *
(3 von 5)
Quelle der Fotos: offizielle Film-Homepage http://www.blairwitch.com Filmdaten Blair Witch Project (The Blair Witch Project) USA 1999 Regie, Drehbuch & Schnitt: Daniel Myrick, Eduardo Sanchez; Darsteller: Heather Donahue (Heather Donahue), Michael Williams (Michael Williams), Joshua Leonard (Joshua Leonard), Bob Griffith, Jim King, Sandra Sanchez u.a.; Produktion: Artisan Entertainment/Haxan Film; Produzenten: Gregg Hale, Robin Cowie, Michael Monello; Kamera: Neal Fredericks; Musik: Tony Cora; Länge: 87 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Arthaus; deutscher Kinostart: 25. November 1999
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