6. Juni 2000

Filmstar für 15 Minuten


Being John Malkovich


Being John MalkovichEinmal im Leben ein Star sein... Wenn auch ein ganz bestimmter Star, ein bestimmter Filmstar nämlich. Aber das Gefühl kann ja ganz interessant sein, wenn es heißt: "Being John Malkovich".
Man darf für 15 Minuten der Star John Malkovich sein. Wenn man nur gewillt ist, durch ein dreckiges Loch zu klettern und den anschließenden schlammigen Tunnel rutschend mitzunehmen. Dann landet man nämlich im Kopf des Filmschauspielers. Für die nächste Viertelstunde sieht man die Welt mit John Malkovichs Augen und fühlt seine Emotionen. Dann verlässt man seinen Kopf wieder.

So geschieht's freilich nur auf der Leinwand. John Malkovich ("Gefährliche Liebschaften" (1988), "Con Air" (1997)) spielt sich in "Being John Malkovich" selbst. Andere Stars, wie John Cusack (auch "Con Air") und Cameron Diaz ("Verrückt nach Mary"), spielen zunächst eine völlig andere Story. Eine Story, die in der ersten halben Stunde des Films niemals einen Bezug zum Titel des Films herstellt. Aber man ist nicht im falschen Film.

Der arbeitslose Puppenspieler Craig Schwartz (Cusack) und seine Frau Lotte (Diaz) führen mehr schlecht als recht ein ruhiges und bescheidenes Leben in New York. Während die introvertierte Lotte daheim Tiere pflegt, unter anderem Schimpansen, ist Craig auf den Straßen Manhattans mit seinen Marionetten unterwegs. Erfolglos, deswegen nimmt Craig einen Job als Archivar an. Im 7 ½ -ten Stockwerk eines Wolkenkratzers. Wie erreicht man diese Etage? Der Aufzug gibt die Antwort nicht, er kennt nur den siebten und den achten Stock.

Craig gewöhnt sich schnell an seine Arbeit in gebückter Lage - der 7 ½-te Stock ist natürlich nur halb so hoch. Und verliebt sich in die Arbeitskollegin Maxine (Catherine Keener, "Living in Oblivion", 1995). Diese allerdings lässt den ungepflegt wirkenden Hippie zunächst links liegen.

Wo ist John Malkovich? Die Frage stellt sich der Zuschauer, wenn er nur den Titel des Films in Erinnerung behält, spätestens nach der ersten halben Stunde des Films. Und dann ist urplötzlich John Malkovich da. Denn der Wolkenkratzer hat noch ein surreales Geheimnis parat. Craig entdeckt in einem der Büros einen Tunnel, der ihn geradewegs in das Gehirn des Schauspielers führt. Craig blickt mit Malkovichs Augen in den Spiegel, fährt mit ihm Taxi, flirtet mit ihm zusammen mit Frauen - aber nur für 15 Minuten. Dann findet Craig sich im Dreck am Straßenrand einer Fernstraße in New Yorks Nachbarstaat New Jersey wieder, Manhattans Skyline in Sichtweite. Craig weiht Maxine in das Geheimnis ein. Diese zeigt sich als eiskalt kalkulierende Geschäftsfrau: Sie erkennt den Profit, den man aus dem Tunnel herausholen kann: "Einmal ein Filmstar sein..." Und der Puppenspieler Craig stellt fest, dass man im Gehirn eines Menschen diesen zu einer Marionette machen kann. Eines Tages wird John Malkovich das große Geheimnis um die merkwürdigen Vorgänge in sich selbst feststellen und selber vor dem Tunnel stehen...

"Being John Malkovich" ist, trotz aller surrealer Einlagen und trotz allen skurrilen Humors, ein Werk mit Subtext, ein Film über das Thema Identitätsfindung. Nicht einmal die real existierende Person John Malkovich ist dem Drehbuch nach gefestigt. Es genügt, dass der Puppenspieler Craig in Malkovichs Gehirn endlich freizügig seinem Hobby nachgehen kann, schon ist Malkovichs Identität eine andere. Der ferngesteuerte Schauspieler wird gefeierter - Puppenspieler! Aber es gibt auch andere Identitätskrisen. Niemand scheint gefestigt, nicht einmal der Vamp Maxine. Aber Lotte und Craig werden im Verlauf des Films ihre biedere Ehe in Frage stellen, da der Tunnel verdeckte Krisen ihrer Beziehung aufdeckt. Der Tunnel hat vaginale Bedeutung: Man gleitet durch ihn hindurch, nachdem man von ihm aufgesogen wurde. Das Aufgesogenwerden: die Suche nach Neuem, der Wunsch nach Veränderung.

Die Identitätsprobleme des jungen Paares werden hervorragend von den beiden Schauspielern umgesetzt. Schon ihr auf den ersten Blick überraschender Einsatz hat seinen Sinn: Die in ihren Filmen stets hellblonde, extrovertiert und naiv-verspielt agierende Cameron Diaz als zurückgezogene, spießige Hausfrau mit dunkelblonder Struwwelpeter-Frisur. Der in seinen Filmen stets glattrasierte, eher kurzhaarige John Cusack als verstörter, unrasierter, langhaariger John-Lennon-Lookalike. Allein diese Besetzung stellt schon die nicht sattelfesten Identitäten von Lotte und Craig dar, da Diaz und Cusack gegen ihr eigenes Image anspielen.

Die Darstellung der Eheprobleme schadet dem Film allerdings, da der Film mit einem Bruch im Erzählstil nicht klar kommt: Sein Ton wird in der zweiten Hälfte bierernst. Das Drehbuch schreibt Craig beispielsweise Eifersucht vor. Diese wird er an Lotte auslassen. Die Szenen des Hasses gehören nicht in diesen Film, der eine ansonsten originelle und unkonventionelle und darin gar äußerst sympathische Story erzählt. Der Film wird zum Schluss gar unerträglich, wenn der surreale Ton aufgehoben wird zugunsten von Erklärungen der geschilderten Absurditäten. Denn der Film versucht plötzlich dem Zuschauer die Gründe für die Möglichkeit der Reisen in John Malkovich zu erläutern. Daran aber scheitert der Film, er verleugnet am Ende seine ihm eigene bizarre Note. Mag Spike Jonzes Regiedebüt unterhaltsam sein, eine innovative Story erzählen und auch einen Subtext in der Darstellung des fehlenden Verankertseins der Figuren haben: Manches in den Film wirkt konstruiert, vieles ist fehl am Platz. Dennoch lohnt sich der Kinobesuch, denn "Being John Malkovich" bietet Abwechslung vom Kino-Alltag.

Drehbuchautor Charlie Kaufman berichtete mal, wie die doch recht ungewöhnliche Idee seines Drehbuchs einst aufgenommen worden war, lange bevor der beim Publikum erfolgreiche Film entstand. Ein Filmproduzent beurteilte das ihm eingereichte Drehbuch mit den Worten, es sei "vermutlich auf einem anderen Planeten" geschrieben worden und könnte dort sicherlich erfolgreich verfilmt werden, aber eben nur dort - "Drehbuch abgelehnt". Der Autor des Absageschreibens gab sich immerhin Mühe: Er würdigte die Skurrilität des vorliegenden Manuskripts mit Humor, ging aber davon aus, dass eine Verfilmung keinen Sinn hätte. Er sollte sich irren: Das Drehbuch von "Being John Malkovich" war 2000 für den Oscar nominiert.

 
Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5)

Quelle des Fotos:
offizielle Film-Homepage beingjohnmalkovich.com


Filmdaten

Being John Malkovich
(Being John Malkovich)

USA 1999;
Regie: Spike Jonze;
Darsteller: John Cusack (Craig Schwartz), Cameron Diaz (Lotte Schwartz), Catherine Keener (Maxine), Orson Bean (Dr. Lester), Mary Kay Place (Floris), W. Earl Brown (Erroll), Carlos Jacott (Malkovichs Agent), Byrne Piven (Mertin), John Malkovich als er selbst, Octavia Spencer, Ned Bellamy (Derek Martini) u.a.; als Gäste: Charlie Sheen als er selbst, Regisseur David Fincher ("Se7en", "Alien 3", "Fight Club") als Christopher Bing u.a.; Drehbuch: Charlie Kaufman; Produktion: Steve Golin, Charlie Kaufman, Michael Kuhn, Vincent Landay, Sandy Stern, Michael Stipe;

Länge: 112 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 4. Mai 2000




Artikel empfehlen bei:  Mr. Wong Delicious Facebook  Webnews Linkarena  Hilfe

© filmrezension.de

home
  |  regisseure/schauspieler   |  e-mail
 über uns  |  impressum  






 
weitere Rezension zum Film
von Jessica Ridders
<2000>  



Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

Drucken

Artikel empfehlen
Mr. Wong Delicious Facebook Webnews Linkarena 
Hilfe