Filmfestival
Max Ophüls Preis 2011
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Es war ein gutes Filmfestival. Perfekt organisiert, wurde es auch straff durchgezogen, so dass der Besucher nie Langeweile verspürte. Dies galt insbesondere für die Eröffnungs- und für die Abschlussveranstaltung: Bei der Eröffnung waren die obligatorischen Reden nach einer Rekordzeit von 20 Minuten vorbei, bevor der Dokumentarfilm "Bad Boy Kummer" aufgeführt wurde. Der Abschluss mit Preisverleihung am Samstag, dem 22. Januar ging ebenfalls schnell, ohne die üblichen musikalischen Einlagen, über die Bühne. Und noch in anderer Hinsicht war dies ein gelungenes Festival: Die gezeigten Filme waren gut. Die überragende Auswahl des Vorjahres toppte der Jahrgang ’11 qualitativ zwar nicht, aber meistens konnte das Publikum zufrieden nach Hause gehen.
Schon der Eröffnungsfilm "Bad Boy Kummer" des Schweizer Journalisten Miklós Gimes war hochinteressant. Gimes sagte in Saarbrücken süffisant, er freue sich, dass er in seinem Alter (der Regisseur ist 60 Jahre) noch als Nachwuchsfilmer bezeichnet werde – "Bad Boy Kummer" ist sein dritter Film. In ihm geht es um das Leben des Journalisten Tom Kummer, der im Jahr 2000 als Interviewfälscher aufflog. Dabei wartet Gimes auf clevere Weise mit einer impliziten Medienschelte auf: Viele Printmedien-Herausgeber gingen Kummer auf den Leim, weil sie gierig dessen interessante Gespräche mit Pamela Anderson, Sean Penn, Quentin Tarantino etc. verwerteten. Gespräche, die es so nicht gab, aber lesenswert waren: Mike Tyson soll im Gefängnis Kakerlaken gegessen haben, erzählte er angeblich Kummer, und sich für Literaten wie Tolstoi interessieren. Kummer selbst sagt im Dokumentarfilm: Niemand habe wirklich annehmen können, diese perfekten Interviews hätten tatsächlich stattgefunden. Tom Kummer ist heute Tennislehrer. Mit seinem Reichtum an Phantasie hätte er das Zeug zum Romancier – oder zum Regisseur.
Ein Mann kommt mit einem besonderen Problem zu einem Psychiater. Benno (Fabian Krüger) löst sich allmählich in Sand auf. Eine interessante Metapher, findet der Psychiater. Doch für Benno ist es keine Metapher. Sondern ein bedrohlicher Zustand. Es begann mit ein paar harmlosen Körnern in seinem Bett und an seinem Arbeitsplatz, und steigert sich zu Bergen von Sand. Der noch recht junge Mann findet heraus, er rieselt, wenn er seine Umgebung belügt und schlecht behandelt. Charles Dickens' Ebenezer Scrooge und Bill Murrays Figur aus dem Film "... und täglich grüßt das Murmeltier" waren zwar zweifellos Vorbilder für die von Luisi erdachte Figur des Benno, der zum "Sandmann" wird. Aber was Luisi daraus macht, ist sehr hintergründig, der Film zeigt viel Liebe zum Detail, noch mehr Humor und besticht durch eine intelligente Behandlung des Themas Identitätskrise. Natürlich ist der rieselnde Sand eine Metapher. Für das vorbeiziehende Leben, dem man Positives abgewinnen sollte. In Saarbrücken waren zwar nicht so sehr die Juroren, dafür aber umso mehr die Festivalbesucher von dem Film begeistert: Er erhielt den mit 3000 Euro dotierten Publikumspreis.
Was für Meret Beckers Roberta gilt, trifft auch auf die Figur der Pelin in "Abgebrannt" zu: Es gibt zu viele Probleme, also werden sie gar nicht erst angegangen. Stattdessen flüchten die Frauen in den Hedonismus, obwohl sie damit als Mütter versagen. Zwischen beiden Filmen gibt es trotz der Gemeinsamkeit einen großen Unterschied: "Abgebrannt" ist keine Komödie, sondern eine künstlerisch überzeugende Sozialstudie von Regisseurin Verena S. Freytag. Pelin (sehr gut: Maryam Zaree) ist eine Deutschtürkin in Berlin, für die ihr Dasein als alleinerziehende Mutter dreier Kinder zu viel ist, die ihren Job als schwarz arbeitender Tätowiererin verliert und noch das Glück hat, zur Mutter-Kind-Kur an die Ostsee geschickt zu werden. Ihr bisheriger Freund Edin (Lukas Steltner), der versehentlich eines ihrer Kinder mit Ecstasy-Pillen fast vergiftet hatte, reist ihr, ohne dass Pelin das will, nach, das Verhängnis nimmt seinen Lauf.
Diese Jury verlieh den Drehbuchpreis zu gleichen Teilen an "Abgebrannt" und "Der Mann der über Autos sprang". Der letztgenannte Film stammt von Nick Baker Monteys und ist äußerst einfallsreich. Baker Monteys hat sich für seinen Film, zu dem er auch das Drehbuch schrieb, eine skurril anmutende Geschichte über Selbstfindung ausgedacht, in der vier Menschen aus dem Alltag fliehen und sich der Heilkraft des Gehens überlassen, um einen kranken Mann zu kurieren. "Der Mann der über Autos sprang" ist hochinteressant, wenngleich nicht ganz perfekt. Perfekt brauchen die Filme beim Saarbrücker Filmfestival auch nicht zu sein: Es sind Nachwuchsregisseure, die am Wettbewerb teilnehmen. Wichtiger ist, dass sie was zu erzählen haben. "Der Mann der über Autos sprang" leistet dies. Julian, ein junger Mann (Robert Stadlober), hat was vor. Er entfernt sich unerlaubt aus einer Nervenheilanstalt, in der er vier Jahre verbringen musste. Jetzt will er eine Mission erfüllen: von Berlin nach Tuttlingen in Schwaben zu Fuß zu gehen. Durch das Gehen möchte er einen herzkranken Mann heilen. Julian steht bei dem Mann in einer Schuld. Zwei Frauen (Jessica Schwarz, Anna Schudt) und ein Mann (Martin Feifel) werden sich ihm anschließen. "Der Mann der über Autos sprang" ist ein gelungenes Stück Leinwandkunst, das dem Zuschauer ein schönes Erlebnis bietet, ein Film, dessen Figuren mit sehr viel Liebe gezeichnet sind. (Siehe auch eine ausführliche Rezension zu dem Film.) "Der Mann der über Autos sprang" verdeutlicht eine Tendenz, welche Themen die junge Filmemacher heute bewegen: Die Figur, die Jessica Schwarz in dem Film spielt, steckt mitten in einem Lebensabschnitt, in dem sie auf der Suche nach sich selbst ist. Es ist eine Identitätskrise, die auch den Antihelden Benno in "Der Sandmann" dazu bringt, sich langsam in Sand aufzulösen. Die Protagonisten der verschiedensten Max-Ophüls-Preis-Filme flüchten vor ihrem Dasein und den anstehenden Problemen in eine hedonistische Lebensweise – sie leben schnell, stets den eigenen Vorteil suchend und doch nur scheinbar glücklich. Schlimmer noch: Sie denken nicht an die Zukunft.
Auch an dem jungen Mann in "Das System – Alles verstehen heißt alles verzeihen" (Regie: Marc Bauder) läuft das Leben vorbei, und er kümmert sich nicht darum. Ein Joint mit seinem Kumpel ist ihm wichtiger. Dann wird Mike bei einem Einbruch ertappt. Das Opfer reagiert anders als erwartet. Mike wird gespielt von Jacob Matschenz, der mit diesem Film in Saarbrücken seinen Rekord erweitert: Kein anderer Schauspieler war so häufig in Wettbewerbsfilmen beim Max Ophüls Preis vertreten. Den Anfang machte 2005 der Film "Das Lächeln der Tiefseefische", für den Matschenz damals als Bester Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet wurde. Es folgten "Neandertal", "42 plus", "Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung" und nun dieser Film, "Das System", in dem Matschenz' Mike es mit immer noch existierenden Stasi-Seilschaften zu tun bekommt. Leider wirkt die Handlung des Films wie eine Seifenblase, sie baut sich schön und groß auf, platzt aber bald und löst sich im Nichts auf. Ein Film hatte im Hauptwettbewerb nichts verloren: "Gegengerade" von Regisseur Tarek Ehlail. Der Film wurde nach Saarbrücken eingeladen, weil Ehlail aus dem Saarland, aus Homburg / Saar stammt. Da sind viele Saarländer stolz, wenn einer der ihren einen Kinofilm stemmt und dazu ein Staraufgebot präsentiert: In dem Film spielen Mario Adorf, Fabian Busch, Dominique Horwitz, Denis Moschitto, André Eisermann, Moritz Bleibtreu und andere mit. Der Saarländer Tarek Ehlail ist mittlerweile Wahl-Hamburger und St.-Pauli-Fan. Dem Club und seinen Fans widmete er den Film. Diese Widmung bei einem nicht gelungenen Film hat der Verein nicht verdient. Die verschiedenen Charaktere des Films überzeugen nicht und wirken künstlich. Sie treten auf, als ob sie bekifft wären. Das trifft auf den normalen Fan, die einen der Fans jagenden Fahnder und den Staatsanwalt zu. Es gibt keine lineare Struktur der Handlung. Am Ende wird der Film sogar fragwürdig: Ehlail, der das Drehbuch mit Dr. "Moses" Arndt geschrieben hat, lässt seinem offenbar vorhandenen Hass auf alle "Bullen" freien Lauf. Man sieht in "Gegengerade", wie ein Sondereinsatzkommando grundlos unschuldige St.-Pauli-Fans blutig niederknüppelt. Das sollte ein Film nicht machen: Polizisten pauschal eine Zuschlagmentalität attestieren, der harmlose Menschen zum Opfer fallen.
Ein anderer bemerkenswerter Film, "Der Brand" von Brigitte Maria Bertele, ging bei der Preisverleihung leider leer aus. Es ist das kluge und sensible Psychogramm einer nach einer Vergewaltigung seelisch verletzten Frau, die auf eine besondere Weise um Gerechtigkeit kämpft. (Siehe auch eine ausführliche Rezension zu dem Film.)
Naber nutzte bei der Preisverleihung spontan die Gelegenheit und übte Kritik daran, dass jene deutschen Filme, die Kunstwerke sind, gegenüber Mainstream-Produktionen wegen fehlender Unterstützung durch die Medien und nicht finanzierbarer Werbung immer den Kürzeren ziehen. "Da muss sich vieles ändern", sagte Naber. Hoffentlich findet er Gehör. Zu befürchten ist, dass auch sein Film "Der Albaner" sein Publikum nicht finden wird.
alle Preisträger 2011:
Max Ophüls Preis: Der Albaner Regie: Johannes Naber Filmpreis des Saarländischen Ministerpräsidenten: Fliegende Fische müssen ins Meer Regie: Güzin Kar Spezialpreis der Jury: Inside America Regie: Barbara Eder Lobende Erwähnung: Tage die bleiben Regie: Pia Strietmann Lobende Erwähnung: 180 Grad Regie: Cihan Inan Beste Nachwuchsdarstellerin: Sarah Horváth Bester Nachwuchsdarsteller: Burak Yigit SR/ZDF-Drehbuchpreis: zu gleichen Teilen an: Abgebrannt Regie: Verena S. Freytag und Der Mann der über Autos sprang Regie: Nick Baker Monteys Publikumspreis: Der Sandmann Regie: Peter Luisi Preis der Schülerjury: Stationspiraten Regie: Michael Schaerer Kurzfilmpreis: Zwischen Himmel und Erde Regie: York-Fabian Raabe Interfilmpreis: Silberwald Regie: Christine Repond Preis für Mittellange Filme: Halbe Portionen Regie: Martin Busker Dokumentarfilmpreis: The Other Chelsea Regie: Jakob Preuss Förderpreis der DEFA-Stiftung: Anduni - Fremde Heimat Regie: Samira Radsi
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