09.04.2010
Zeit des Zorns
Symbolkräftig erzählt "Zeit des Zorns" von einem Schuss aus persönlicher Rache
und der Auflehnung gegen die Willkür einer Diktatur. In dieser absurden Welt greift
ein Mann zur Waffe.
Rafi Pitts wurde 1976 im Iran geboren. Seit 30 Jahren betrachtet er sein Land aus dem Exil. Sein Kino ist eine Auseinandersetzung mit dem Regime und eine Suche nach filmischer Repräsentation der herrschenden "Verhältnisse". Seinen neuen Film "Zeit des Zorns" hat er im Iran gedreht, zu sehen sein wird er dort wahrscheinlich nicht. Rafi Pitts erzählt von der Diktatur und dem Leben in ihr, das sich neue Freiräume suchen muss. Wie filmt man ein repressives System, wie lässt sich hinter die Fassaden blicken und das Gefühl der Ohnmacht und Unterdrückung sichtbar machen? Ali Alavi greift zu seinem Gewehr. Oben auf dem Hügel über dem Smog und der flirrenden Hitze Teherans steht er, hat angelegt und zielt. Vor ihm das staubige Land und das Gewirr der Autobahnschleifen. Ein erster Schuss geht ins Leere. Dann taucht ein Polizeiwagen im Visier auf.
Ali Alavi lebt in mehreren Welten. Die Nachtschichten im gedämpften Licht der Fabrik, die Autofahrten durch den staubigen Großstadtjungel. Kalte Zirkulation, Funktionsweise einer kafkaesken Existenz in der man nie sicher sein kann, wer "eines Morgens verhaftet wird". Der Wald ist das romantische Gegenbild zur urbanen Hölle. In diese andere Welt flüchtet
sich Ali auf seinen Jagdausflügen. Allein am Feuer mit seinem Gewehr in der Hand, so
inszeniert "Zeit des Zorns" seine Hauptfigur schon in den ersten Szenen in einem
archaisches Symbolbild der Freiheit.
Privates gegen Politisches, Stadt gegen Natur, individuelle Rache gegen gesellschaftliche Moral. "Zeit des Zorns" bedient sich der Antagonismen der Moderne und ihren künstlerischen Darstellungsformen. So still und enigmatisch dieser Film ist, sind es die wichtigen Brüche und Revolutionen aus Kunst und Literatur, die in diesem Film verdichtet werden. Alvi führt ein Leben wie einer von Kafkas traurigen Helden, in einer Welt die sich eindeutig auf eine politische Realität bezieht und doch so willkürlich und abstrakt erscheint wie absurdes Theater. Manchmal scheinen die Landschaften wie die leeren Bildwüsten Michelangelo Antonionis, dann hat der Wald etwas von dem "Erhabenen" in der Naturdarstellung der deutschen Romantik. Mit "Zeit des Zorns" ist Rafi Pitts eine bewusst künstlerische Systemkritik gelungen, die sich nicht nur auf die Dokumentation des Lebens in der Diktatur reduziert, sondern etwas tut, das totalitäre Regime in Unbehagen versetzt: die Wirklichkeit so zu verdichten, dass ihre erschreckenden Züge deutlich hervortreten und die Unterdrückung sichtbar wird. Nicolas Oxen /
Wertung: * * * *
(4 von 5)
Quelle der Fotos: Neue Visionen Filmdaten Zeit des Zorns (The Hunter / Shekarchi) Iran / Deutschland 2010 Regie & Drehbuch: Rafi Pitts; Darsteller: Rafi Pitts (Ali Alavi), Mitra Hajjar (Sara Alavi), Saba Yaghoobi (Saaba), Malak Kahzai (Mutter), Ossta Shaa-Tir (Vater), Ali Nicksaulat, Hassan Ghalenoi (Polizisten) u.a.; Produktion: Twenty twenty Visionen, Aftab Negaran, Pallas, ZDF, Arte; Produzenten: Thanassis Karathano, Mohammad Reza Takhtkeshian; Kamera: Mohammad Davudi; Schnitt: Hassan Hassandoost; Länge: 88 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Neue Visionen; Ein Film im Wettbewerb der Berlinale 2010; deutscher Kinostart: 08.04.2010
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