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19.03.2019
Wintermärchen (2018)
Die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sind tot oder lebenslänglich im Gefängnis, zehn Menschen ermordete das Trio, Zeit für Aufarbeitung. Das hat sich Regisseur Jan Bonny filmisch vorgenommen. Es bleibt beim Versuch. Er ekelt sich zweifellos vor dem NSU, macht aus dem Abscheu keinen Hehl. Aber "Wintermärchen" ekelt vor allem den Zuschauer, ohne Rechtsterroristen und ihren Absichten, ihrem Werdegang, den Gründen für ihr Verhalten nahe zu kommen. Es sind nicht Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, die im Film vorkommen, ein anderes Trio wird stellvertretend in seiner Primitivität gezeigt. Was für eine Primitivität! Der Film besteht fast ausschließlich aus Ficken, Saufen, Fluchen, nochmal Ficken, nach einer dreiviertel Stunde das Begehen der ersten Morde, nochmal Ficken. Klar, dass ein an den NSU angelehnter Filminhalt verstörend sein muss. Die Vorgehensweise ist aber abzulehnen. Zuschauer werden den Kinosaal verlassen. Zu recht? Ja, zu recht.Jan Bonny drehte seinen ersten Kinolangfilm "Gegenüber" 2007: Ein Polizist (Matthias Brandt) lässt sich von seiner Frau (Victoria Trauttmansdorff) schlagen. Häusliche Gewalt mal andersherum. Bonny, der zwischenzeitlich einen "Tatort" und zwei "Polizeiruf 110"-Episoden realisierte, ist damit eigentlich für die Aufgabe "Wintermärchen" prädestiniert. Er bleibt dem "Gegenüber"-Konzept treu: Vor allem in Wohnungen, oft auch in Kneipen spielt "Wintermärchen". Was passiert in den Wohnungen? Die noch nicht aktiv agierenden Rechtsterroristen Tommi (Thomas Schubert) und Becky (Ricarda Seifried) ficken miteinander, oder reden drüber; bald ist Maik (Jean-Luc Bubert) dabei, Maik vögelt mit Becky, Eifersucht gibt's, noch später sind alle auch sexuell ein Dreigespann; ja, Tommi und Maik haben's dann miteinander, mehrfach alleine. Wenn der Führer das gewusst hätte.
Ein Vergleich mit Pier Paolo Pasolinis "Die 120 Tage von Sodom" (1975) sei gestattet: Wer diesen Film schätzt, könnte auch "Wintermärchen" hoch einordnen. Oder das Gegenteil ist jeweils der Fall. Denn Pasolini quälte (oder erfreute?) das Publikum durch Ekelsex, Grundlage war eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, die in Sadomasochismus abdriftet. Das Beste an Bonnys Film ist das Abspann-Lied, es ist der Ärzte-Song "Schrei nach Liebe" (1993) in einer leisen, melancholischen Version.
"Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe
In "Wintermärchen" ist es kein stummer Schrei nach Liebe, sondern lautes Verlangen nach: Ficken. Michael Dlugosch /
Wertung:
0 von 5 Punkten
Quelle der Fotos: W-film / Heimatfilm Filmdaten Wintermärchen (2018) Deutschland 2018 Regie: Jan Bonny; Darsteller: Thomas Schubert (Tommi), Ricarda Seifried (Becky), Jean-Luc Bubert (Maik), Victoria Trauttmansdorff (Mutter), Lars Eidinger (Watzek), Merle Wasmuth (Nadja), Diana Maria Breuer (Rosa), Judith Bohle (Susann), Mats Thiersch (Junge) u.a.; Drehbuch: Jan Bonny, Jan Eichberg; Produzentin: Bettina Brokemper; Produktion: Heimatfilm; Kamera: Benjamin Loeb; Musik: Lucas Croon; Schnitt: Stefan Stabenow, Christoph Otto; Länge: 129,13 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih von W-film; deutscher Kinostart: 21. März 2019
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