16.12.2010
Von Menschen und Göttern
Im algerischen Bergland lebten neun französische Trappisten-Mönche in einem Kloster nahe Tibhirine. Ihre wahre Geschichte erzählt Regisseur Xavier Beauvois bis zu ihrem mysteriösen Verschwinden 1996 in einem ruhigen und großartigen Film.
Der Hintergrund: Im Winter 1991/92 gewann die Islamistenpartei "FIS" die freien Parlamentswahlen, wurde aber zwei Wochen später vom Militär wieder von der Macht verdrängt. Der daraufhin eingesetzte Ministerpräsident Mohamed Boudiaf fiel kurz nach Ernennung einem Attentat zum Opfer. Die Glaubensfrage wurde in den Untergrund getrieben, und wie so oft dadurch, zum politischen Extremismus. Dieser militante Fundamentalismus trifft auch die Bevölkerung und der Druck auf vermeintlich "Andersgläubige" wächst, vor allem auf sich modern gebende Frauen.
Für die Mönche war es die erste direkte Konfrontation mit der realen Gewalt der Außenwelt, und es beginnen die Zweifel an ihrer Arbeit. Da gemeinschaftlich entschieden wird, diskutieren sie miteinander und stimmen ab, aber selbst die größeren Zweifler unter ihnen wissen nicht recht wohin sie gehen sollten, weil sie das familiäre Leben der Brudergemeinschaft verinnerlicht haben und auch ihrer Verantwortung der Gemeinde im Dorf bewusst sind. Die starre Haltung und die offene Tür und Hilfe für jedermann jeden Glaubens, auch gegenüber den Extremisten, stoßen beim örtlichen Militär auf Unverständnis. Man verdächtigt sie der Komplizenschaft. Hausdurchsuchungen und psychischer Druck sind die Folge. Diesem begegnen sie immer wieder mit ihrem Gegenmittel für Angst und Zweifel – dem gemeinschaftlichen Singen. Dies wird sehr schön in einer bedrohlichen Szene in Szene gesetzt, als ein Militärhubschrauber dicht über dem Kloster seine metallische, laute Präsenz zeigt, und sich alle in einen Kreis stellen, sich umarmen und zum Choral anstimmen, bis die dröhnende Maschine wieder von dannen zieht.
Die Hintergründe der Entführung der Mönche, und deren Tod, bleiben bis heute ein Mysterium. Auch spätere Massaker an der Bevölkerung, und dazu inzwischen aufgetauchte Dokumente, lassen früh Zweifel an der offiziellen Version der algerischen (und der französischen) Regierung klar werden, allerdings führten sie auch zu einer Politik der Versöhnung und einem Abebben der Gewalt. Das Schweigen über die Hintergründe der Ermordungen lässt aber die Familien der Opfer in Frankreich nicht ruhen. Parallel zu den Filmarbeiten gab es einen noch immer laufenden Prozess, bei dem auch frühere Beteiligte neue Fragen aufwerfen. Dies veranlasste Präsident Nicolas Sarkozy 2009 zu einem Versprechen, die vom Außenministerium bisher noch zurückgehaltenen Dokumente vom Amtsgeheimnis zu befreien. Vielleicht sind diese Hintergründe, und die französische Geschichte, auch einer der Gründe, warum der asketische Film in Frankreich erstaunliche drei Millionen Zuschauer in die Kinos zog. Der andere ist die Botschaft des Films über seine Grundsätze – Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Jürgen Grötzinger /
Wertung: * * * *
(4 von 5)
Quelle der Fotos: NFP Filmdaten Von Menschen und Göttern (Des hommes et des dieux) Frankreich 2010 Regie: Xavier Beauvois; Darsteller: Lambert Wilson (Christian), Michael Lonsdale (Luc), Olivier Rabourdin (Christophe), Philippe Laudenbach (Célestin), Jacques Herlin (Amédée), Loïc Pichon (Jean-Pierre), Xavier Maly (Michel), Jean-Marie Frin (Paul), Abdelhafid Metalsi (Nouredine), Sabrina Ouazani (Rabbia), Abdallah Moundy, Olivier Perrier, Farid Larbi, Adel Bencherif u.a.; Drehbuch: Etienne Comar, Xavier Beauvois; Produzent: Etienne Comar; eine Koroduktion von Armada Films, France 3 Cinéma und Why Not Productions; Kamera: Caroline Champetier; Schnitt: Marie-Julie Maille; Länge: 122,33 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von NFP; deutscher Kinostart: 16. Dezember 2010 Auszeichnungen: Filmfestival Cannes 2010: Großer Preis der Jury, Preis ökumenischen Jury, Prix de l'éducation nationale, u.a.
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