08.05.2014

Vitus

Dieser Film ist herausragend und hat zu Recht eine Reihe von Preisen gewonnen. Vitus ist ein hochbegabter Junge, der schon mit sechs Jahren sehr gut Klavier spielt. Die Eltern erkennen das Talent und lassen ihn von einem Musikprofessor unterrichten. Vitus lebt in drei Welten: bei den ehrgeizigen Eltern, in der Schule, wo er mehrere Klassen überspringt, von seinen Mitschülern als "Streber" gehänselt wird und den Lehrern auf den Geist geht, und bei seinem Großvater auf dem Land, wo die beiden Pasta essen, Schach spielen und Fledermausflügel basteln: ein Fluchtraum für den Jungen. Er möchte nicht die Pianistenkarriere einschlagen, sondern ein "normales" Leben führen. Mit den Fledermausflügeln springt er vom Balkon und wird leicht verletzt. Bei den anschließenden Tests verstellt er sich aber und hat nun angeblich einen IQ von 120 (anstatt wie vorher 180). Gut Klavier spielen kann er scheinbar auch nicht mehr. Nur den Großvater weiht er in sein Geheimnis ein.

Die Firma des Vaters hat Verluste zu vermelden, er wird entlassen. Vitus verhilft mit seinen Börsenkenntnissen dem Großvater innerhalb von wenigen Tagen zu einem Millionenvermögen und richtet als dessen Scheinfirma die "Dr.Wolf Holding" ein. Wenig später stürzt der Großvater vom Dach und liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Er schreibt einen Brief an die Familie, in dem er Sohn, Schwiegertochter und Enkel mitteilt, wie sehr er sie liebt, und Vitus‘ Geheimnis aufdeckt. Nach dem Tod des Großvaters kauft Vitus mit dem geerbten Geld die bankrotte Firma des Vaters auf, wo der Vater zuvor gearbeitet hat, dieser wird als einziger Nachfahre deren Chef.

Vitus beschließt nun, doch die von den Eltern gewünschte Karriere einzuschlagen. Die Schlussszene zeigt den triumphalen Erfolg des jungen Pianisten: Er spielt in der Zürcher Tonhalle Schumanns Klavierkonzert a-Moll und wird mit Ovationen überschüttet.

Die subtile und nie vorhersehbare Handlung dieses Films schlägt den Zuschauer ebenso in ihren Bann wie die schauspielerischen Leistungen. Der zwölfjährige Vitus wird erstaunlich einfühlsam dargestellt von dem rumänisch-kanadischen Wunderkind Teo Gheorghiu (geb. 1992), der alle Klavierpassagen selbst spielt und dessen erstes Konzert real abgefilmt wurde. Der sympathische Junge, mal kindlich naiv, mal schlitzohrig, schafft es (fast) immer wieder, anderen seinen Willen aufzuzwingen. Köstlich, wie er seiner ehemaligen Babysitterin Isabel im Restaurant die Vorzüge einer Ehe mit einem jüngeren Partner klarzumachen versucht – hier leider erfolglos. Der großartige Bruno Ganz gibt der Rolle des Großvaters Altersweisheit, Verständnis für die Jugend, einen verschmitzten, augenzwinkernden Humor und einen Hauch von Anarchie: Er knackt das Tor zum Flughafen und fliegt heimlich eine Runde mit einem Sportflugzeug. Die Eltern Leo und Helen von Holzen (Urs Jucker und Julika Jenkins) sind sich nicht immer einig, glaubwürdig zeigen die Akteure aber die Schwierigkeiten, die man mit einem hochbegabten Kind haben kann, wenn man seine eigenen Träume verwirklichen will.

Das Genre ist nicht neu, es gibt eine Menge Filme über hochbegabte Kinder. Bekanntestes Beispiel: "Das Wunderkind Tate" (1991, von und mit Jodie Foster). Von dem traditionellen Schema weicht Regisseur Fredi M. Murer (geb. 1940) allerdings ab, indem er in der Mitte des Films unerwartete Wendungen einsetzt. "Für mich ist 'Vitus' auch ein Plädoyer für mehr kreative Sensibilität und Hoffnung in die Kinder", erläutert Murer. Das Motiv des Fliegens wird im Film zum Symbol dafür, dass man "abheben" und neue Welten für sich entdecken kann. Vitus ist ein kleiner Ikarus, der hoch hinaus will, dessen "Absturz" (Sprung vom Balkon) aber glücklicherweise nicht zum Tod führt, sondern zu einer Änderung seines Lebensweges.  

Manfred Lauffs / Wertung: * * * * * (5 von 5)



Filmdaten

Vitus
(Vitus)

Schweiz 2006
Regie: Fredi M. Murer;
Darsteller: Fabrizio Borsani (sechsjähriger Vitus), Teo Gheorghiu (zwölfjähriger Vitus), Bruno Ganz (Großvater), Julika Jenkins (Helen von Holzen), Urs Jucker (Leo von Holzen), Eleni Haupt (Luisa), Kristina Lykowa (junge Isabel), Tamara Scarpellini (Isabel) u.a.;
Drehbuch: Fredi M. Murer, Lukas B. Suter, Peter Luisi; Produzenten: Christian Davi, Christof Neracher; Kamera: Pio Corradi; Musik: Mario Beretta; Schnitt: Myriam Flury;

Länge: 120 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; Kinostart: 21. Dezember 2006



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