März 2000

Es ist nicht alles Gold, was glänzt...

Velvet Goldmine

Der Amerikaner Todd Haynes kann sich nicht entscheiden, ob er dem britischen Glam Rock ein Denkmal setzen oder eine Geschichte der sexuellen Befreiung erzählen möchte. Ein Film der vertanen Chancen.

Der Hauptteil der Geschichte spielt in England, zu Beginn der Siebziger Jahre, und handelt von Geburt und Tod der Glam Rock-Ära, verdeutlicht an der fiktiven Karriere eines Rockstars. Brian Slade (Jonathan Rhys Meyers) soll eine Figur darstellen, die sich an David Bowie orientiert. Es bleibt dem Zuschauer überlassen, ob er vermag mehr in dieser Figur wiederzuerkennen. Slade erfindet die Kunstfigur Maxwell Demon, welche er auf der Bühne darstellt, und als ihn das überfordert, läßt er sich auf der Bühne durch einen gestellten Mord aus dem Verkehr ziehen.

Zum Jahrestag dieses spektakulären Ereignisses wird 1984 der Zeitungsreporter Arthur Stuart (Christian Bale) ausgesandt, um herauszufinden, was dahintersteckte und was aus den Beteiligten von damals geworden ist. Er selbst war als Fan hautnah am Geschehen dabei. So erfahren wir in Rückblenden, aus seinen Erinnerungen sowie aus den Berichten der von ihm interviewten Augenzeugen, was passierte.

Erzählt wird vom altbekannten Rock'n'Roll Circus: den Erfolgen und Mißerfolgen, den Managern, dem Image, den Drogen, den Orgien - und dazwischen gibt es die große Liebesgeschichte. Weniger die zwischen Slade und seiner Frau Mandy (gespielt von Toni Collette, "Muriel's Wedding"), sondern die zwischen ihm und seinem Musikerkollegen Curt Wild (Ewan McGregor, "Trainspotting"). Der soll wiederum so eine Art Iggy Pop darstellen. Spätestens wenn man versucht, die Geschichte nicht nur als farbenfrohes Märchen zu betrachten, sondern es auf die Realität übertragen möchte, bekommt man arge Schwierigkeiten. Der echte Iggy Pop versichert, er habe nie mit David Bowie das Bett geteilt. Aber genau das scheint für den Regisseur das Wichtigste an der ganzen Handlung zu sein.

Obwohl sich alle Darsteller bemühen, bleiben sie doch recht grau und fremd. Einzig Ewan McGregor spielt seine Rolle mit einem derartigen Enthusiasmus, daß er eine bleibende Erinnerung hinterläßt. Er hüpft so ausgelassen und unbändig auf der Bühne herum und wackelt mit seinem nackten Hintern, als könne er sich nicht Schöneres vorstellen. Das gesteht er in Interviews auch ein: "Ich hatte schon immer das verzweifelte Bedürfnis, ein Rockstar zu sein."

Eine durchgehende Handlung sucht man im Film vergebens. Die zahllosen Rückblenden wirken zu verworren für den Zuschauer und zerstückeln den Film in viele Einzelteile. Wo sich beim Orson-Welles-Klassiker "Citizen Kane" die einzelnen Puzzleteile der Rückblenden zu einem Gesamtbild zusammenfügen, funktioniert es hier nicht.

Haynes präsentiert uns einen Film, der vollgestopft ist mit Symbolen und Ideen, viel zu viel von allem und nicht besonders subtil noch obendrein. Mag sein, daß genau dies seine höchst subjektive Auffassung von den Siebzigern ist, doch kommt er der Wahrheit nah? Sein Bild dieser Zeit ist zu einseitig, zu beschönigt. Wo sind denn die ganzen peinlichen - modischen und musikalischen - Geschmacksverirrungen geblieben? Will man heute die echten Goldstücke dieser Ära ausgraben, so muß man doch etwas tiefer schürfen. Der Film spannt den Bogen zum Schriftsteller und Selbstinszenierer Oscar Wilde, der hiermit zum ersten Popstar überhaupt erklärt wird. An sich keine schlechte Idee, doch anstatt es bei einem Querverweis zu belassen, wird der Zuschauer per Holzhammermethode noch einige Male darauf verwiesen.

Die Musiker werden im Film überhöht, mystifiziert, sie sind nicht nur Ikonen und Heilige - falls irgendmöglich sind sie noch viel mehr als dies. Sie sind Stars, Sterne, unantastbar, außer Reichweite. Sie leuchten den Weg und hinterlassen ein schwarzes Loch, wenn sie verglüht sind. Wenn es doch wenigstens um deren Werk gehen würde. Aber eigentlich geht es hier nur um ein paar bestimmte Popstars oder Rockgötter, kaum kann man sich hinter deren Maske echte Menschen vorstellen.

In dieser Filmwelt machen Menschen nicht Musik, weil sie Geld verdienen möchten oder weil sie Spaß daran haben: In "Velvet Goldmine" hat irgendwie alles mit Bisexualität bzw. mit schwuler Identität zu tun, als hätte es keine anderen Hintergründe für diese Musik gegeben. Zudem bleibt die Selbstdarstellung stets wichtiger als die Musik und artet in extravagante, jedoch wenig aussagekräftige, Kostümbälle aus. Immerhin bekamen die Kostüme eine Oscar-Nominierung.

Der Film scheint sich selbst so furchtbar ernst zu nehmen, daß dem Zuschauer ein Teil des Vergnügens geraubt wird. - Ist es denn nicht denkbar, daß z.B. ein David Bowie und ganz sicher ein Alice Cooper (der als einer der Erfinder des Glam Rocks hier im Film leider ausgelassen wurde) einfach spielerisch in neue Rollen schlüpfen wollte? Daß da doch Spaß an der Provokation und am Ausprobieren zumindest eine Rolle spielte? Natürlich ist jede Kunstform auch immer eine Art von Selbstfindung, der Versuch einer Definition der eigenen Identität - gleichfalls für Künstler und Publikum. Wenn das Publikum aus Teenagern besteht, ist dies sicher sogar von fataler Bedeutung. Doch dieser Film will uns weismachen, alles sei eindimensional.

Der Soundtrack - welcher im Gegensatz zum Film von der Kritik fast einstimmig gelobt wurde - ist an dieser Stelle hervorzuheben. Er ist eine Mischung aus alten Originalsongs und neu eingespieltem Material, oft liegt das erstaunlich nah beieinander. Zum Beispiel sind da Lou Reed und Brian Eno vertreten, an neueren Bands "Pulp" und "Placebo". "Placebo" haben mit Marc Bolans "20th Century Boy" sicher einen der stärksten Songs interpretiert - nicht unbedingt besser als das Original und auch nicht wesentlich anders, aber hörenswert. Ihnen ist ebenfalls ein allzu kurzer Auftritt im Film gewährt. Auch sonst ist die Besetzung des Soundtracks prominent: "Radiohead"-Sänger Thom Yorke kann mit seiner abwechslungsreichen Stimme begeistern, und Michael Stipe ("R.E.M.") ist Produzent des Soundtracks und des Films.

Da hätte man sich gewünscht, daß im Film doch wenigstens mal ein Song bis zum Ende gespielt wird, doch in den meisten Fällen werden sie recht brutal abgewürgt. Anstatt ein paar ausgesuchte Songs wirken zu lassen, hetzt die Story immer weiter. Es ist einfach traurig.

Dabei wäre es unfair zu behaupten, der gesamte Film sei mißlungen. Zwischendurch gibt es doch ein paar treffende und überzeugende Szenen, wenn sich z.B. der Teenager Arthur im Wunschtraum vorstellt, wie er auf die aufgetakelte Figur auf dem Fernsehbildschirm deutet und seine bürgerlich-konservativen Eltern anschreit: "Da! Das bin ich!" Ähnliches wird sich wohl so mancher in dem Alter gewünscht haben. - Die Filmkritik war geteilter Meinung und reichte vom Lob bis zum völligem Verriß. So schrieb etwa die "Cinema": "Ein Denkmal für den Glamrock? Dieser Film schaufelt ihm ein Grab." Trotzdem bekam "Velvet Goldmine" in Cannes die "Goldene Palme" für den besten künstlerischen Beitrag des Filmfestivals.

Etwas Gutes könnte der Film allerdings bewirken: So mancher wird Lust bekommen, den nächsten Plattenladen zu durchstöbern oder wird nachforschen, wie es denn in echt war.  

Jessica Ridders / Wertung: * * (2 von 5)



Filmdaten

Velvet Goldmine
(Velvet Goldmine)

GB / USA 1998
Regie & Drehbuch: Todd Haynes;
Darsteller: Ewan McGregor (Curt Wild), Jonathan Rhys Meyers (Brian Slade), Christian Bale (Arthur Stuart), Toni Collette (Mandy Slade), Eddie Izzard (Jerry Devine), Janet McTeer u.a.

Länge: 123 Minuten; FSK: ab 12 Jahren



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