19.08.2011

Vertrauen ist gut...

Trust
- Die Spur führt ins Netz

Trust - Die Spur führt ins Netz "Hasst du mich jetzt?" Nein, Annie hasst Charlie nicht. Sie liebt ihn sogar ein bisschen mehr für seine Ehrlichkeit und seinen Mut. Es ist doch ehrlich und mutig, ihr zu gestehen, dass er nicht 16 ist. Der zwei Jahre ältere Schulathlet aus Kalifornien verwandelt sich in einen 20-jährigen College-Studenten. Von einer Sekunde auf die nächste, per Knopfdruck. So einfach geht das beim Chatten. Via Internet hat Annie (Liana Liberato) ihre erste Liebe kennengelernt. Charlie teilt ihre Interessen, Annie teilt ihre Geheimnisse. Charlie ist immer da, wenn ihr Vater Will (Clive Owen) eine neue Werbekampagne entwirft, ihre Mutter (Catherine Keener) beschäftigt ist oder sich wieder alles um Annies Bruder Tyler (Noah Crawford) dreht. Vernachlässigt fühlt Annie sich nicht. Nur ein wenig zurückgestellt von ihrer Familie und ihren Mitschülern. Nur nicht von Charlie, der ehrlich gesagt 25 ist, aber weiß, dass Annie ihn nicht missversteht, weil sie doch so reif ist und etwas Besonderes.

"Hasst du mich jetzt?" Annies Finger fliegen über die Tastatur. Nein und Ja; ja, sie wird Charlie treffen. Enter. Message sent. Der Übergang von Schwärmerei zu emotionaler Abhängigkeit ist fließend. Niemand bemerkt ihn, am wenigsten Annie. Spinnwebdünn sind die psychologischen Fallstricke, die David Schwimmers ambivalentes Drama zu einem tückischen Netz verwebt. In der Mitte sitzt Annie. Charlie (Chris Henry Coffey) ist die Spinne. Er umgarnt sie mit Komplimenten, betäubt sie mit einer Mischung falscher Versprechungen und kalkulierter Geständnisse. Dann frisst er seine Beute bei lebendigem Leib.

Annie weiß nicht, wie ihr geschieht. Sie weiß, dass sich Perverse in Internet-Foren herumtreiben, dass der gealterte schmierige Typ, dem sie schließlich gegenübersteht, in diese Kategorie passt und sie kennt das Risiko, als sie ihn ins Hotel begleitet. Aber sie kennt auch Charlie – glaubt sie. Beklemmender als der physische Missbrauch Annies ist der psychische Missbrauch, der ihr widerfährt. Die seelische Verletzung ist langwieriger und qualvoller; qualvoller für Annie und den Zuschauer, der sie in der intensivsten Phase miterlebt. Zu Filmbeginn ist sie bereits im Gange, zum Filmende nicht überstanden. Dem sexuellen Akt begegnet "Trust" mit der Mischung aus Wagemut und Verunsicherung, mit der Annie sich im Hotel zeigt. Ihre Dessous suggerieren eine Frühreife, die auf perverse Weise mit ihrer geistigen Unreife kontrastiert. Sie scheinen eine Verkleidung, die ihre Trägerin auch als Rüstung dient: gegen ihre Selbstzweifel, das Unverständnis ihrer Umwelt und die Konsequenzen der Tat. Für Charlie gibt es keine. Er löst sich in Luft auf, weil "Charlie" nie existiert hat. Sein Erfinder kann ihn im Persönlichkeitsrepertoire verstauen, um daraus einen "Brian" oder "Taylor" oder eine "Amber" zu ziehen, die für ihn im Online-Dschungel auf neue Pirsch gehen.

Die Konsequenzen treffen Annie, die ihr Erlebnis idealisiert, bis ihr die Opferrolle nahezu aufgezwungen wird. Die Fürsorge der Mutter scheint der aussichtslose Versuch, die Tochter in eine verlorene Kinderrolle zurückzuversetzen, während Will in seiner Hilflosigkeit zu Gewalt flüchtet. In seinem Drang zur Selbstjustiz kanalisiert sich auch sein Zorn über Annies vermeintliche Unkeuschheit. Die Erkenntnis, dass er selbst abgestumpft ist gegenüber pädophilen Medienmotiven, trifft ihn umso härter. Wills eigene Werbekampagnen erotisieren halb kindlich anmutende Modellkörper. In seinen eindringlichsten Momenten rührt "Trust" an die sozialen Mechanismen, die Tätern und Opfern den Weg zueinander ebnen. Annie muss den unvereinbaren Ansprüchen einer bis ins Pornografische sexualisierten Gesellschaft, die ein hochmoralisches konservatives Wertschema verehrt, genügen. Auf dem sozialen-psychologischen Minenfeld ist ein richtiger Schritt kaum möglich.

Dies zeigen Sensationsgier und Verachtung ihrer Mitschüler. An ihren zerstörten Ruf scheint Annie vor allem zu denken, wenn sie klagt, ihr Leben sei "ruiniert". Bezeichnenderweise scheut "Trust" vor diesen kontroversen und interessanten Hintergründen zurück. "Trust" enttäuscht trotz der eindrucksvollen Hauptdarstellerin und den spürbaren Ambitionen, weil es vor der eigenen Courage zurückschreckt. So weckt das zwiespältige Drama nie vollends das Gefühl, welches Annie genommen wurde: "Trust".  

Lida Bach / Wertung: * * (2 von 5)

Quelle der Fotos: Koch Media


Filmdaten

Trust - Die Spur führt ins Netz
(Trust)

USA 2010
Regie: David Schwimmer;
Darsteller: Clive Owen (Will), Catherine Keener (Lynn), Liana Liberato (Annie), Jason Clarke (Doug Tate), Viola Davis (Gail Friedman), Chris Henry Coffey (Charlie / Graham Weston), Spencer Curnutt (Peter), Aislinn DeButch (Katie), Noah Emmerich (Al Hart), Olivia Wickline (Louise), Zoe Levin (Brittany), Zanny Laird (Serena Edmonds), Yolanda Mendoza (Tanya), Shenell Randall (Alexa) u.a.;
Drehbuch: Andy Bellin, Robert Festinger; Produzenten: Ed Cathell III, Dana Golomb, Bob Greenhut, Tom Hodges, Avi Lerner, Heidi Jo Markel, David Schwimmer; Ausführende Produzenten: Boaz Davidson, Danny Dimbort, Trevor Short, John Thompson; Co-Ausführende Produzenten: Will French, Stephen Roberts; Kamera: Andrzej Sekula; Musik: Nathan Larson; Schnitt: Douglas Crise;

Länge: 106 Minuten; deutscher DVD- und Blu-ray-Start: 2. Dezember 2011



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